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Stand: 21. Juli 2023 - Jugendämter außer Kontrolle I - Jugendämter außer Kontrolle II - Sorgerechtsmissbrauch (GutachterIn)

Gesetzestexte (mit Leitsätzen der Rechtsprechung) - Links (nützliche Verknüpfungen) - Sorgerecht (Grundlagen)

Die zitierten Entscheidungen des BGH sind unter http://www.bundesgerichtshof.de/ im Volltext ab dem 01.01.2000 abrufbar.

WICHTIGER HINWEIS

Die zitierten Leitsätze vermitteln im Zusammenhang mit der jeweiligen Gesetzesbestimmung eine erste Orientierung. Sie werden daher auch „Orientierungssätze" genannt. Die schlichte Lektüre von Leitsätzen ist keine juristische Arbeitsweise und macht die Arbeit am Sachverhalt ebensowenig entbehrlich wie das Studium der zitierten Entscheidungen im Volltext.

Gesetzestexte (mit Leitsätzen aus der Rechtsprechung)

§ 1626 BGB Elterliche Sorge, Grundsätze
§ 1626 a BGB Elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
zum Verfahren zur Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge § 155a FamFG
§ 1626 b Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen der Sorgeerklärung
§ 1626 d BGB Sorgeerklärung, Form, Mitteilungspflicht
§ 1627 BGB Ausübung der elterlichen Sorge
§ 1628 BGB Gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern
§ 1629 BGB Vertretung des Kindes
§ 1631 b BGB Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung
§ 1631 d Beschneidung des männlichen Kindes
§ 1632 BGB Personensorge
§ 1664 Beschränkte Haftung der Eltern
§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
§ 1666 a BGB Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen
§ 1667 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindesvermögens
§ 1671 BGB Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern
§ 1672 BGB Getrenntleben bei elterlicher Sorge der Mutter
§ 1673 BGB Ruhen der elterlichen Sorge bei rechtlichem Hindernis
§ 1674 BGB Ruhen der elterlichen Sorge bei tatsächlichem Hindernis
§ 1678 BGB Folgen der tatsächlichen Verhinderung oder des Ruhens für den anderen Elternteil
§ 1680 BGB Tod eines Elternteils oder Entziehung des Sorgerechts
§ 1682 Verbleibensanordnung zugunsten von Bezugspersonen
§ 1686 Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes
§ 1687 BGB Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben
§ 1687 a BGB Entscheidungsbefugnisse des nicht sorgeberechtigten Elternteils
§ 1687 b BGB Sorgerechtliche Befugnisse des Ehegatten
§ 1688 BGB Entscheidungsbefugnisse der Pflegeperson
§ 1696 BGB Abänderung und Überprüfung gerichtlicher Anordnungen
§ 1747 BGB Einwilligung der Eltern des Kindes

***
FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit)
ZPO (Zivilprozessordnung)

*nach oben*

§ 1626 BGB Elterliche Sorge, Grundsätze

(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).

(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.

(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.

Leitsätze/Entscheidungen:

„... Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 28. Dezember 2011, mit der dieses den Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung des Oberlandesgerichts München - 4. Familiensenat - vom 18. August 2010 über die Übersendung von Verfahrensakten an das Amtsgericht K. zurückgewiesen hat, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG).

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 104, 220 <231>; 129, 1 <20>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 2. Dezember 2014 - 1 BvR 3106/09 -, NJW 2015, S. 610; stRspr). Als öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG werden auch die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit aufgrund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts (vgl. BVerfGE 96, 27 <39 ff.>; 104, 220 <231 ff.>; 107, 395 <406>) oder im Rahmen der Übermittlung von Aktenbestandteilen oder Auskünften aus einem laufenden Verfahren gegenüber Dritten (vgl. BVerfGE 138, 33 <39ff.>) tätig werden.

b) Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zu verfolgen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>) und den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 44, 302 <305>; 69, 381 <385>; 77, 275 <284>; 134, 106 <117 Rn. 34>). Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht geht dementsprechend in solchen Fällen bei der Verfassungsbeschwerde in ständiger Rechtsprechung vom Fortbestand eines Rechtsschutzinteresses aus (vgl. BVerfGE 96, 27 <39 f.>; 104, 220 <232 ff.>; 110, 77 <85 f.>; 117, 71 <122 f.>; 117, 244 <268>).

c) Gemessen daran hat das Oberlandesgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Denn das Oberlandesgericht hat zwar nicht verkannt, dass die Erheblichkeit eines Grundrechtseingriffs für sich genommen die Annahme eines Feststellungsinteresses gebieten kann. Es hat das Vorliegen eines erheblichen Grundrechtseingriffs jedoch mit einer Begründung verneint, die der Funktion des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht wird. Denn das Oberlandesgericht hat seine Annahme, dass die Übersendung der Sorgerechtsakten an das Amtsgericht keinen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstelle, alleine auf den Umstand gestützt, dass bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht beziehungsweise über die Übersendung von Akten im Wege der Amtshilfe auf beiden Seiten widerstreitende Persönlichkeitsrechte - im hier betroffenen Fall die jeweiligen Interessen der am Ausgangsrechtsstreit Beteiligten - zu berücksichtigen wären. Es gibt damit dem in § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG einfachrechtlich vorgegebenen Begriff des "berechtigten Interesses" eine Auslegung, die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhält. Denn nach der Begründung des Oberlandesgerichts ist eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erledigten Grundrechtseingriffs schon allein deshalb ausgeschlossen, weil dessen Rechtmäßigkeit von einer Interessenabwägung im Einzelfall abhängt, ohne dass es noch auf das Ergebnis dieser Abwägung ankommt. Eine individuelle Prüfung, ob die Veranlassung der Übersendung der streitbefangenen Sorgerechtsakten an das Prozessgericht etwa aufgrund der möglicherweise höchstpersönlichen Natur ihres Inhalts (vgl. BVerfGE 27, 344 <351 f.>, 138, 33 <43>) oder der Umstände der Aktenversendung - etwa ihrer Veranlassung durch das Oberlandesgericht ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin (vgl. BVerfGE 138, 33 <43>) - als schwerwiegender Grundrechtseingriff verstanden werden musste, wird mit dieser Argumentation von vorneherein vermieden. Dies ist mit der Funktion des Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar und verletzt die Beschwerdeführerin daher in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zu verweisen.

2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 28. Dezember 2011 verletzt die Beschwerdeführerin zugleich in ihrem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 46, 315, <319>; 105, 279 <311>; stRspr). Um dem Anspruch auf rechtliches Gehör gerecht zu werden, ist zugleich geboten, dass das Gericht die wesentlichen Rechtsausführungen der prozessführenden Parteien zur Kenntnis nimmt (vgl. BVerfGE 60, 175 <210>; 86, 133 <144>).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Denn das Oberlandesgericht ist dem Vortrag der Beschwerdeführerin, dass ihre konkrete Absicht zur Erhebung einer Amtshaftungsklage ein berechtigtes Feststellungsinteresse begründe, zwar unter Hinweis auf das Fehlen eines schützenswerten Interesses an der Inanspruchnahme mehrerer Gerichte entgegengetreten. Mit dem Kern des Vorbringens der Beschwerdeführerin, dass die Fortführung des Anfechtungsverfahrens im Wege des Feststellungsbegehrens bei der gebotenen abstrakten Betrachtung jedenfalls dann der Sicherung der "Prozessfrüchte" des Anfechtungsverfahrens diene, wenn dieses vor Erledigung der Maßnahme rechtshängig geworden sei, hat sich das Oberlandesgericht jedoch nicht auseinandergesetzt. Dies wird insbesondere daran erkennbar, dass das Oberlandesgericht zur Begründung der von ihm vertretenen Rechtsauffassung allein auf eine oberlandesgerichtliche Entscheidung verweist, die die Beschwerdeführerin ebenfalls zum Beleg der von ihr vertretenen Rechtsauffassung angeführt hatte. Diese verneint zwar das Vorliegen eines Feststellungsinteresses im Fall der Erledigung vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 11. Oktober 2001 - 6 VA 5/01 -, NJW-RR 2002, S. 718 <718>), stützt im Übrigen aber die auch von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsauffassung, dass prozessökonomische Gründe im Fall der Erledigung nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses streiten. Hieraus wird offenkundig, dass das Oberlandesgericht die im Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung stehenden Rechtsausführungen der Beschwerdeführerin entweder nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat.

c) Die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs setzt sich in dem Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge fort, der eine sachliche Auseinandersetzung mit den Rechtsausführungen der Beschwerdeführerin nicht erkennen lässt.

d) Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist auch entscheidungserheblich.

3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Dezember 2011 ist wegen des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG und gegen Art. 19 Abs. 4 GG gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen. Der Beschluss vom 25. Januar 2012 wird damit gegenstandslos. ..." (BVerfG, Beschluss vom 13.03.2017 - 1 BvR 563/12)

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Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Adoption des angenommenen Kindes eines eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) zu ermöglichen, lässt sich daraus nicht ableiten. Zwei Personen gleichen Geschlechts, die gesetzlich als Elternteile eines Kindes anerkannt sind, sind auch im verfassungsrechtlichen Sinne Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Eine Person, die bislang weder in einer biologischen noch in einer einfachrechtlichen Elternbeziehung zu einem Kind steht, ist grundsätzlich nicht allein deshalb nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Elternteil im verfassungsrechtlichen Sinne, weil sie in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind lebt. Leben eingetragene Lebenspartner mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners in sozial-familiärer Gemeinschaft, bilden sie mit diesem eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes. Bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres verpflichtet, denjenigen, die tatsächlich soziale Elternfunktion wahrnehmen, allein deswegen eine Adoptionsmöglichkeit zu schaffen. Indem § 9 Abs. 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) verwehrt, wohingegen die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des Ehepartners und die Möglichkeit der Annahme eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners (Stiefkindadoption) eröffnet sind, werden sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt (Art. 3 Abs. 1 GG; BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 - 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09).

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Dem sich aus der gesetzlichen Gesamtvertretung des minderjährigen Kindes durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ergebenden Bedürfnis für eine Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnisse kann durch Erteilung einer Vollmacht entsprochen werden. Das Grundverhältnis für diese Vollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis. Daraus ergeben sich insbesondere Kontrollbefugnisse und -pflichten und gegebenenfalls auch Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils. Eines gesonderten Vertrags zwischen den Eltern bedarf es für das Grundverhältnis nicht. Die Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils kann eine andernfalls notwendige Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Hierfür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern erforderlich, soweit eine solche auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (BGH, Beschluss vom 29.04.2020 - XII ZB 112/19).

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Zu den Voraussetzungen einer Trennung des Kindes von den Eltern wegen erzieherischer Defizite der Eltern. Das Umgangsbestimmungsrecht ist selbstständiger Teil der Personensorge, der im Fall der Kindeswohlgefährdung gesondert entzogen werden kann. Bei einem Konflikt unter den Eltern sind eine gerichtliche Umgangsregelung und die Bestimmung eines Umgangspflegers als mildere Mittel stets vorrangig. Das Verbot der reformatio in peius gilt in Beschwerdeverfahren über eine (teilweise) Sorgerechtsentziehung nur eingeschränkt und schließt - nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten - eine im Sinne des Kindeswohls gebotene Entziehung weiterer elterlicher Sorgebefugnisse auch dann nicht aus, wenn nur die Eltern Beschwerde eingelegt haben (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2007, XII ZB 42/07, FamRZ 2008, 45; BGH, Beschluss vom 06.07.2016 - XII ZB 47/15):

(1) Die nachfolgenden Bestimmungen dieses Paragrafen gelten für das Verfahren nach § 1626a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Antrag auf Übertragung der gemeinsamen Sorge sind Geburtsdatum und Geburtsort des Kindes anzugeben.

(2) § 155 Absatz 1 ist entsprechend anwendbar. Das Gericht stellt dem anderen Elternteil den Antrag auf Übertragung der gemeinsamen Sorge nach den §§ 166 bis 195 der Zivilprozessordnung zu und setzt ihm eine Frist zur Stellungnahme, die für die Mutter frühestens sechs Wochen nach der Geburt des Kindes endet.

(3) In den Fällen des § 1626a Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll das Gericht im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamts und ohne persönliche Anhörung der Eltern entscheiden. § 162 ist nicht anzuwenden. Das Gericht teilt dem nach § 87c Absatz 6 Satz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch zuständigen Jugendamt seine Entscheidung unter Angabe des Geburtsdatums und des Geburtsorts des Kindes sowie des Namens, den das Kind zur Zeit der Beurkundung seiner Geburt geführt hat, zu den in § 58a des Achten Buches Sozialgesetzbuch genannten Zwecken formlos mit.

(4) Werden dem Gericht durch den Vortrag der Beteiligten oder auf sonstige Weise Gründe bekannt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, gilt § 155 Absatz 2 mit der Maßgabe entsprechend, dass der Termin nach Satz 2 spätestens einen Monat nach Bekanntwerden der Gründe stattfinden soll, jedoch nicht vor Ablauf der Stellungnahmefrist der Mutter nach Absatz 2 Satz 2. § 155 Absatz 3 und § 156 Absatz 1 gelten entsprechend.

(5) Sorgeerklärungen und Zustimmungen des gesetzlichen Vertreters eines beschränkt geschäftsfähigen Elternteils können auch im Erörterungstermin zur Niederschrift des Gerichts erklärt werden. § 1626d Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend.

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§ 1626 b Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen der Sorgeerklärung

(1) Eine Sorgeerklärung unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung ist unwirksam.

(2) Die Sorgeerklärung kann schon vor der Geburt des Kindes abgegeben werden.

(3) Eine Sorgeerklärung ist unwirksam, soweit eine gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge nach den § 1626a Absatz 1 Nummer 3 oder § 1671 getroffen oder eine solche Entscheidung nach § 1696 Absatz 1 Satz 1 geändert wurde.

Leitsätze/Entscheidungen:


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§ 1626 d BGB Sorgeerklärung, Form, Mitteilungspflicht (n. F. ab 19.05.2013)

(1) Sorgeerklärungen und Zustimmungen müssen öffentlich beurkundet werden.

(2) Die beurkundende Stelle teilt die Abgabe von Sorgeerklärungen und Zustimmungen unter Angabe des Geburtsdatums und des Geburtsorts des Kindes sowie des Namens, den das Kind zur Zeit der Beurkundung seiner Geburt geführt hat, dem nach § 87c Abs. 6 Satz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch zuständigen Jugendamt zu den in § 58a des Achten Buches Sozialgesetzbuch genannten Zwecken unverzüglich mit.

Leitsätze/Entscheidungen:

Sorgeerklärungen können formwirksam gemäß § 1626 d BGB auch in Form einer gerichtlich gebilligten Elternvereinbarung erfolgen. Die Motive des Elternteils für seinen Auswanderungsentschluss stehen grundsätzlich genauso wenig zur Überprüfung des Familiengerichts wie sein Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren. Verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung allerdings (auch) den Zweck, den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu vereiteln, steht die Bindungstoleranz des betreuenden Elternteils und somit seine Erziehungseignung in Frage (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 23 f.). Das Gericht darf die Verfahrenspflegschaft nicht dadurch ineffektiv machen, dass es ohne nachvollziehbare Begründung den mit der Angelegenheit und vor allem dem Kind vertrauten Verfahrenspfleger kurz vor Abschluss des Sorgerechtsverfahrens entpflichtet und einen neuen bestellt, der nicht mehr die Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise mit der Sache vertraut zu machen (BGH, Beschluss vom 16.03.2011 - XII ZB 407/10 zu BGB §§ 1626 a ff., 1671, 1696; KSÜ Art. 16, 53; FGG §§ 12, 50, 50 b).

§ 1627 BGB Ausübung der elterlichen Sorge

Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 1628 BGB Gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

Leitsätze/Entscheidungen:

Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt. Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 - XII ZB 157/16).

***

Beantragt ein Elternteil die Übertragung der Entscheidungsbefugnis über eine Namensänderung des Kindes, so hat das Familiengericht neben allgemeinen Kindeswohlbelangen auch die Erfolgsaussicht eines entsprechenden Antrags zu prüfen. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis hat zu unterbleiben, wenn sich nach umfassender Amtsaufklärung keine Erforderlichkeit der Namensänderung für das Kindeswohl ergibt (Fortführung von BVerwG, 20. Februar 2002, 6 C 18/01, BVerwGE 116, 28 = FamRZ 2002, 1104 und Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001, XII ZB 88/99, FamRZ 2002, 94; BGH, Beschluss vom 09.11.2016 - XII ZB 298/15).

*** (OLG)

Bei fehlender Vertretungsmacht wegen eines paritätischen Wechselmodells ist für den Kindesunterhalt begehrenden Elternteil Ergänzungspflegschaft anzuordnen. Die Geltendmachung von Unterhalt im Wechselmodell stellt regelmäßig keine situative Angelegenheit dar, die bei der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis nach dem Normzweck des § 1628 BGB erforderlich ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.03.2023 - 11 UF 214/22).

***

Bestellung eines Ergänzungspflegers bei konkretem Interessenkonflikt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.09. 2022 - 9 UF 74/22):

„ ... Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für den Sohn P… R… zu übertragen, zurückgewiesen. Der Streitfall bietet keine hinreichend tragfähigen Anknüpfungstatsachen, die darauf schließen ließen, dass zur Auflösung einer konkreten Interessenkollision nicht von der Möglichkeit der Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen auf einen Elternteil allein Gebrauch gemacht werden könnte, sondern vorliegend die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich wäre.

Betreuen die Eltern ihr Kind im Wege eines sogenannten paritätischen Wechselmodells fehlt es an der alleinigen Vertretungsbefugnis eines von beiden Elternteilen im Sinne von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB für die Durchsetzung von Barunterhaltsansprüchen des gemeinsamen Kindes. Vielmehr muss derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält und dies gerichtlich klären lassen will, entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil muss beim Familiengericht beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die der Senat teilt, besteht grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen diesen beiden Möglichkeiten (BGH, Beschluss vom 12. März 2014, Az. XII ZB 234/13 - Rdnr. 16 bei juris - und Urteil vom 21. Dezember 2005, Az. XII ZR 126/03 - Rdnr. 9 bei juris; erkennender Senat, Beschluss vom 29. Juni 2020, Az. 9 UF 36/20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Juli 2016, Az. 6 UF 60/16; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 10 Rdnr. 45).

Das stellt im Grunde auch der Antragsgegner nicht (mehr) in Zweifel, der zwar immer noch meint, die konkreten Umstände des vorliegenden Falles gebieten die Bestellung eines Ergänzungspflegers, dies aber durch Anknüpfungstatsachen nicht tragfähig untermauert und im Übrigen hilfsweise nun auch die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis auf sich erstrebt. Es liegt auch im wohlverstandenen Interesse des betroffenen Kindes, dass sein Unterhaltsanspruch, über den die Eltern seit geraumer Zeit streiten und der - wie das Amtsgericht mit Recht betont hat - von der zwischen den Eltern im Januar 2021 (für den Regelunterhalt) getroffenen Freistellungsvereinbarung einschließlich der dortigen Wesentlichkeitsgrenze für eine Abänderung nicht berührt wird, endlich und ggf. gerichtlich geklärt wird.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich das Vorgehen nach § 1628 BGB gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers schon deshalb als vorteilhafter erweist, weil damit auch die Entscheidungsbefugnis über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens geklärt wird (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15.08.2018 - 2 UF 70/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2016, Az. 6 UF 242/16) und den Eltern darüber hinaus die auch nicht unerheblichen Kosten eines Ergänzungspflegers erspart werden.

Die Entscheidungsbefugnis ist im konkreten Fall auf die Antragstellerin zu übertragen. Die vom Amtsgericht für die als notwendig erachtete Anordnung einer Ergänzungspflegschaft bemühten Interessengegensätze liegen tatsächlich nicht vor.

Es ist richtig, dass bei aufgeteilter Betreuung kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt. Vielmehr steht dem Kind gegen beide Eltern ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den diese gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (BGH a.a.O.). Im Ergebnis der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen dem auf ihn und den anderen Elternteil entfallenden Anteil als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rdnr. 450). Der vertretende Elternteil mag deshalb geneigt sein, den eigenen Haftungsanteil möglichst gering anzusetzen. Ähnliche Interessengegensätze bestehen aber auch in anderen unterhaltsrechtlichen Konstellationen, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge geben würden. So sind etwa im Falle der Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB Interessengegensätze bei der Verfolgung von Kindes- und Ehegattenunterhalt abstrakt vorstellbar, weil der Höhe nach insoweit Abhängigkeiten bestehen können. Zu nennen sind auch die Fälle, in denen der vertretungsbefugte Elternteil wegen eines erheblichen Einkommensunterschieds oder wegen der Gefährdung des angemessenen Selbstbehalts des in Anspruch genommenen Elternteils mit für den Barunterhalt haftet. Deshalb kann nur ein konkreter Interessenkonflikt im festzustellenden Einzelfall den Rückgriff auf § 1628 BGB ausschließen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2016, Az. 6 UF 242/16). Dafür aber sind im Streitfall keine ausreichend tragfähigen Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Ebenso wie bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung im Januar 2022 erwirtschaftet nach Lage der Akten der Antragsgegner auch weiterhin ein um rund 1.000 EUR höheres Nettoerwerbseinkommen als die Antragstellerin, die mit Blick auf dieses Einkommensgefälle schon seit Februar 2022 gegen den leistungsfähigeren Antragsgegner zielstrebig Kindesunterhaltsansprüche im Stufenverfahren durchzusetzen sucht. Das monatsdurchschnittliche Nettoerwerbseinkommen der Antragstellerin übersteigt die bei Abschluss der notariellen Vereinbarung festgestellten 2.100 EUR monatlich nicht. Der Antragsgegner erzielt im/seit März 2022 ein Bruttoeinkommen von 4.303,95 EUR, was einem Nettoeinkommen von 3.358,87 EUR (vor Abzug der Beiträge zur privaten Krankenversicherung). Es mag sein, dass dieses erhebliche Einkommensgefälle im gesetzlichen Netto mit Blick auf - erfahrungsgemäß allerdings beiderseits veranlasste - unterhaltsrechtliche Bereinigungen (die im Übrigen grundsätzlich auch schon in gleicher oder ganz ähnlicher Weise im Januar 2021 angezeigt gewesen sein dürften) im Ergebnis geringer ausfällt. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sich schlussendlich die Antragstellerin als der leistungsfähigere Elternteil herausstellen könnte, lassen sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragsgegners nicht feststellen.

Bei dieser Ausgangslage entspricht es dem Wohl des betroffenen Sohnes, der Antragstellerin die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen. Die Frage, ob ein derartiger Anspruch letzten Endes zu bejahen sein wird, ist allein im Unterhaltsverfahren zu klären, bedarf jedenfalls - entgegen der Auffassung des Familiengerichts - keiner weiteren Vertiefung im vorliegenden Verfahren der teilweisen Sorgerechtszuweisung. ..."

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Für die Entscheidung gemäß § 1628 BGB ist gemäß § 1697a BGB maßgebend, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt, wobei das Gericht nicht anstelle der Eltern eine eigene Sachentscheidung zu treffen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. Dezember 2002 - 1 BvR 1870/02, BeckRS 2003, 20004 Rn. 8). Im Rahmen der nach § 1697a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung ist auch der Kindeswille beachtlich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann (OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.07.2022 - 13 UF 42/22).

Schulwahl im Anwendungsbereich des § 1628 BGB (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2022 - 13 UF 156/21):

„ ... " ... Die Antragsbeteiligten streiten im zweiten Rechtszug nur noch um die Übertragung des Rechts zur alleinigen Ausübung der Schulwahl im Wege der einstweiligen Anordnung. ...

Das Recht zur alleinigen Ausübung der Schulwahl fällt grundsätzlich ohne weiteres in den Anwendungsbereich des § 1628 BGB (BeckOKG/Amend-Traut, 1.11.2021, BGB § 1628 Rn. 34; MüKoBGB/Huber, 8. Aufl. 2020, BGB § 1628 Rn. 14; BeckOK BGB/Veit, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 1628 Rn. 9). Die Übertragung einer Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB setzt grundsätzlich voraus, dass dem Elternstreit eine Angelegenheit der elterlichen Sorge zugrunde liegt, über die die Eltern einen punktuell-sachbezogenen Konflikt führen (BeckOGK/Amend-Traut BGB § 1628 Rn. 34), der einen konkreten situativen Bezug zu einem bestimmten Einzelfall hat (MüKoBGB/Huber BGB § 1628 Rn. 10). Streiten die Eltern - wie vorliegend - in der Sache zugleich über den zukünftigen Aufenthalt des Kindes und das Betreuungsmodell, ist regelmäßig eine Entscheidung am Maßstab des § 1671 BGB zu treffen, da über den Weg der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für die Schulwahl nach § 1628 BGB nicht ein Aufenthaltswechsel erstritten werden kann (OLG Stuttgart, BeckRS 2018, 43543; OLG Koblenz, BeckRS 2018, 42038). Da jedoch vorliegend die Entscheidung über die Einschulung des Jungen zum Beginn des Schuljahrs 2022/2023 unmittelbar bevorsteht, die Auswahl der konkreten Schule nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Einvernehmen beider sorgeberechtigter Eltern erfordert (KG BeckRS 2017, 144822; OLG Schleswig, NJW-RR 2011, 581; BeckOGK/Tillmann BGB § 1687 Rn. 24), mithin nicht von demjenigen Elternteil bewerkstelligt werden kann, dessen Haushalt das Kind einwohnermelderechtlich zugeordnet ist, besteht ein dringendes Regelungsbedürfnis für eine vorläufige Übertragung des Rechts zur Ausübung der Schulwahl auf ein Elternteil, so das eine Entscheidung im Wege des § 1628 BGB erfolgen muss (vgl. KG BeckRS 2017, 144822).

Maßstab für die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung ist das Kindeswohl, § 1697a BGB. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine einzelne sorgerechtliche Angelegenheit trifft das Gericht keine eigene Sachentscheidung, sondern prüft nur, welche Auffassung welches Elternteils dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Entscheidungsbefugnis ist auf den Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Kindeswohl besser gerecht wird. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (BGH FamRZ 2017, 1057; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; BeckOGK/Amend-Traut BGB § 1628 Rn. 58; BeckOK BGB/Veit BGB § 1628 Rn. 12). Dabei sind sämtliche relevanten Kriterien zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Bei der Entscheidung über die Wahl der Schule ist die Auswirkung der jeweiligen Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes in die Erwägung mit einzubeziehen (BVerfG FamRZ 2003, 511; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; Döll in: Ermann, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1628 BGB Rn. 13a), insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - das Schulkonzept kein entscheidendes Kriterium für die zwischen den Eltern streitige Frage ist, an welcher Schule die Einschulung für das Kind am besten ist (KG BeckRS 2017, 144822).

Das Kindeswohl ist bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl auf die Antragstellerin am besten gewahrt. Bei ihr ist der Aspekt der Auswirkung der Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes L... besser gewährleistet als beim Antragsgegner. Die sozialen Kontakte, die der Junge durch den Kitabesuch im Umfeld des mütterlichen Haushalts geknüpft hat, sind für das Gelingen des Wechsels von der Kita zur Schule von erheblicher Bedeutung. Dem steht nicht entgegen, dass L... erst seit November 2020 die Kita in Wohnortnähe der Antragstellerin besucht, da gerade das letzte Kitajahr vor der Einschulung mit der Vorbereitung auf den Wechsel in die Grundschule regelmäßig Kinderfreundschaften prägt. Die Wahrscheinlichkeit, dass L... in der von der Antragstellerin favorisierten Grundschule Kinder antrifft, die er aus der Kita kennt, ist hoch, auch wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig nicht sämtliche Kitakinder die der Kita nächstgelegene Grundschule besuchen. Die Einschulung in einer Schule zusammen mit Kindern, die das einzuschulende Kind bereits kennt, dient dem Kindeswohl, da dadurch bereits geknüpfte soziale Beziehungen aufrechterhalten werden können und die Umstellung leichter verkraftet werden kann (vgl. KG BeckRS 2017, 144822, Rn. 19). Anhaltspunkte für eine vergleichbar hohe Wahrscheinlichkeit, bei Einschulung an bereits bestehende Spielfreundschaften aus der Zeit vor der Schule anzuknüpfen, bestehen bei einer Einschulung in die vom Antragsgegner favorisierte Grundschule nicht. Die Teilnahme am selben Fußballtraining schafft in der Regel nicht vergleichbar intensive soziale Beziehungen wie der gemeinsame Kitabesuch. Auch die tatsächliche und seelische Unterstützung, die L... in der vom Antragsgegner favorisierten Schule durch die Anwesenheit seiner Schwester Lu... erfahren kann, überwiegt nicht die Bedeutung der in der Kitazeit geknüpften sozialen Beziehungen, zumal die Geschwister typischerweise nicht demselben Klassenverband angehören werden.

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl auf die Antragstellerin ist auch die Einbeziehung des sachlich begründeten Willens des Jungen sicher gewährleistet, was der Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens als bedeutsamem Aspekt des Kindeswohls dient (Senat, Beschluss v. 20.09.2018, 13 UF 21/17, juris). L...´ im erstinstanzlichen Anhörungstermin geäußerte Erwartung, die Kitafreunde in der Schule wiederzutreffen, ist - ungeachtet der Frage, ob sich diese Erwartung realisiert - zu berücksichtigen, auch wenn der Junge wenige Tage vorher diesbezüglich noch unentschlossen war. Es ist nachvollziehbar, dass eine mit dem Wechsel von der Kita zur Schule einhergehende Anspannung durch die Hoffnung, in der Schule an bereits bestehende Freundschaften anzuknüpfen, gemildert wird.

Weiter streitet auch das Argument der Antragstellerin betreffend den fußläufig zu bewältigenden Schulweg für die Kindeswohldienlichkeit ihres Lösungsvorschlags. Zwar wird die Begleitung des Jungen durch einen Erwachsenen auch bei einer fußläufigen Entfernung von wenigen Minuten nicht von Anbeginn der Schulzeit an entfallen. Jedoch ist zu erwarten, dass der Junge nach einer gewissen Zeit den Schulweg unbegleitet bewältigen können wird, was aufgrund der damit einhergehenden Selbständigkeit und Übernahme von Selbstverantwortung seinem Wohl besser dient als die deutlich später erst mögliche selbständige Bewältigung des 4 km langen Schulwegs zu der vom Antragsgegner favorisierten Schule.

Demgegenüber spielt bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl vorliegend keine Rolle, dass der Antragsgegner sich für die Grundschule ausspricht, die L...´ Schwester Lu... besucht. Soweit der Antragsgegner hervorhebt, der Besuch unterschiedlicher Schulen würde zur Geschwistertrennung führen, betrifft dieses Argument die - im Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht Strausberg zum Aktenzeichen 29 F 29 F 167/21 - verfahrensgegenständliche - Zuordnung des Lebensmittelpunkts. Die Vermeidung einer Geschwistertrennung zum Zweck der Aufrechterhaltung der Geschwisterbindung kann einen gewichtigen Aspekt des Kindeswohls darstellen, wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Betreuungsmodell in Rede steht (OLG Brandenburg, 1. Senat für Familiensachen, BeckRS 2012, 23811). Für die hier allein streitentscheidende Frage der Schulwahl spielt aber die Geschwisterbindung eine untergeordnete Rolle, insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - nicht Mehrlinge betroffen sind, sondern Geschwister, die ohnehin typischerweise nicht in demselben Klassenverband unterrichtet werden. ..."

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Sorgerechtliche Fragen bilden grundsätzlich in verfahrens- und kostenrechtlicher Hinsicht einen einheitlichen Gegenstand. Streiten Eltern nach Beendigung eines Wechselmodells in einem Hauptsacheverfahren um die Schulwahl (§ 1628 BGB) und stellt ein Elternteil während des Verfahrens den Antrag, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen (§ 1671 Abs. 1 BGB), kann nicht vorab in der Hauptsache über die Schulwahl entschieden werden und das nicht entscheidungsreife Verfahren nach § 1671 BGB abgetrennt und in einem gesonderten Verfahren weiter geführt werden. In einem solchen Fall liegt (analog § 301 ZPO) eine unzulässige Teilentscheidung vor, das in der zweiten Instanz gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens führt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.11.2021 - 6 UF 180/21).

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Es ist nicht zu beanstanden, bei einer Entscheidung gemäß § 1628 BGB von den Impfempfehlungen der STIKO auszugehen, die als medizinischer Standard anerkannt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017, XII ZB 157/16). Von diesem Grundsatz ist aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Covid-19-Impfung nicht um eine langjährig bewährte Standardimpfung, sondern um einen völlig neuen Impfstoff handelt, nicht abzuweichen. Es liegt - ausgehend von der Impfempfehlung der STIKO - letztendlich allein in der Verantwortung der Ärzte, Impfungen durchzuführen, die konkreten Impfrisiken für ein Kind in Anbetracht von Vorerkrankungen zu berücksichtigen und dementsprechend eine Impfung durchzuführen oder nicht (OLG München, Beschluss vom 18.10.2021 - 26 UF 928/21 - juris-Orientierungssätze).

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Wird in einem sorgerechtlichen Verfahren betreffend die Entscheidungsbefugnis für die Durchführung einer Schutzimpfung nach § 1628 BGB die Frage der Impffähigkeit des betroffenen Kindes aufgeworfen, ist zu dieser Frage im Regelfall kein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, weil nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut und der Schutzimpfungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom zuständigen Arzt Kontraindikationen zu beachten sind und damit eine Prüfung der Impffähigkeit vor der jeweiligen Impfung zu erfolgen hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.03.2021 - 6 UF 3/21).

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Die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen stellt eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind gem. § 1628 BGB dar. Beim Wechselmodell muss der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält und dies gerichtlich klären lassen will, entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind herbeiführen oder der Elternteil muss beim Familiengericht beantragen, ihm gem. § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen. Im Regelfall besteht dafür ein Wahlrecht (OLG Brandenburg, Beschluss vom 26.06.2020 - 9 UF 36/20).

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Nehmen getrennt lebende Eltern die Betreuung ihres Kindes in der Weise vor, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (sog. Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln, sodass kein Elternteil die Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB innehat. Für diesen Fall, dass das betroffene Kind durch keinen der beiden Elternteile in der Frage der Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen vertreten wird, kommt entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers in Betracht oder derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, muss gem. § 1628 BGB die familiengerichtliche Übertragung der Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt herbeiführen (Fortführung OLG Celle, Beschluss vom 20. August 2014 - 10 UF 163/14 -, juris, vgl. in diesem Zusammenhang auch die weiteren zur Veröffentlichung bestimmten Senatsentscheidungen in den Verfahren 10 WF 186/19, 10 UF 10/20 und 10 UF 16/20; OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2019 - 10 UF 270/19).

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Kein Sorgerechtsentzug bei Streit über schulische Angelegenheiten (OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2018 - 15 UF 192/18):

„ ... Die Voraussetzungen für den einstweiligen Entzug dieses Teilbereiches der elterlichen Sorge liegen nicht vor.

Ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht ist gem. § 1666 Abs. 1 BGB nur gerechtfertigt, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefährdung abzuwenden. Von einer Gefährdung des Kindeswohls ist (erst) dann auszugehen, wenn eine Schädigung oder eine gegenwärtige (vgl. dazu OLG Brandenburg, FamRZ 2016, 1180), in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Palandt/Götz, BGB, 77. Aufl., § 1666, Rn. 8; MüKo-BGB/Olzen, BGB, 7. Aufl., § 1666, Rn. 50; jurisPK-BGB/ Poncelet/Onstein, 8. Aufl., § 1666 BGB, Rn. 20, jeweils m.w.N.; BVerfG, FamRZ 2018, 1084).

Hierfür genügen weder der anhaltende Streit der Eltern darüber, wer die Kinder besser schulisch fördern kann, noch ihre allgemeinen Kommunikationsdefizite bzw. die anhaltenden Elternstreitigkeiten, da diese allenfalls geeignet sind, eine abstrakte Gefährdung des Kindes-wohls zu begründen. Ob der zwischen den Eltern bestehende Dissens über die Wahl der weiterführenden Schule, die C... in knapp einem Jahr besuchen soll, eine Gefährdung von deren Wohl darstellt, kann dahinstehen. Er begründet jedenfalls nicht den Entzug des Rechts zur elterlichen Sorge in Schulangelegenheiten für C..., weil ein solcher (partieller) Sorgerechtsentzug nicht verhältnismäßig ist. Ein staatlicher Eingriff in das grund-rechtlich geschützte Elternrecht kommt nur dann in Betracht, wenn er geeignet und auch erforderlich ist, die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Erforderlich ist ein solcher Eingriff in der Regel nicht, wenn die Gefährdung des Kindeswohls bereits dadurch abgewendet werden könnte, dass einem Elternteil die Befugnis, über die zwischen den Eltern streitige Frage der Schulwahl zu entscheiden, allein übertragen würde. Anhaltspunkte für Zweifel daran, dass jeder Elternteil für sich genommen in der Lage wäre, eine am Wohl des Kindes ausgerichtete Schulwahl zu treffen, hat keiner der Beteiligten dargetan; dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Senat hat nach Aktenlage, aber auch im Hinblick auf die Vorbefassung mit anderen Verfahren, an denen die Eltern beteiligt waren, auch keinen Zweifel daran, dass die Eltern im Falle eines sich abzeichnenden Dissenses über die Schulwahl einen Antrag gem. § 1628 S. 1 BGB bei dem Familiengericht stellen würden. Dann aber kann der Streit der Eltern, mag dieser auch den für die Minderjährigen bestehenden Loyalitätsdruck erhöhen, einen Entzug des Elternrechts nicht begründen. Dies trifft auch hinsichtlich der vom Jugendamt geschilderten psychischen Belastung zu, den der Elternstreit für L... darstellt. Insoweit erscheint selbst ein vollständiger Entzug des elterlichen Sorgerechts bereits deshalb nicht geeignet, der bestehenden Belastung des Kindes durch den Elternstreit zu begegnen, weil das Kind infolge der - von dem Senat wegen § 57 FamFG nicht abänderbaren - einstweiligen Anordnung eines paritätischen Umgangsrechts der Eltern durch das Amtsgericht, an die auch ein Vormund gebunden wäre, dem Elternstreit tatsächlich weiter ausgesetzt wäre.

Der Entzug der elterlichen Sorge als staatlicher Eingriff in das Elternrecht scheidet schließlich auch dann aus, wenn es nicht um die Abwendung der unmittelbaren Gefahr einer erheblichen Schädigung des Kindeswohls geht, sondern lediglich um die Schaffung besserer oder gar optimaler Bedingungen für die Kindesentwicklung. Nicht jede Beeinträchtigung des Kindeswohls ist so erheblich, dass dies den Entzug des elterlichen Sorgerechts begründet. Es gehört nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten eines Kindes zu sorgen (BVerfG, FamRZ 2014, 907). Die bloße Existenz "besserer" Alternativen vermag den Entzug der elterlichen Sorge nicht zu rechtfertigen (BVerfG, FamRZ 2017, 1577). Mithin kann das Verhalten der Eltern, teilweise zu verhindern, dass die Kinder Schulmaterialien zu dem jeweils anderen Elternteil mitnehmen, keinen Anlass bieten, ihnen das Recht auf Bestimmung der Schulangelegenheiten zu entziehen, sodass es nicht darauf ankommt, dass dieses Recht ohnehin nicht die tatsächliche Verfügungsbefugnis oder Sachherrschaft über Schulbücher und sonstige Schulutensilien vermittelt und dessen Entzug zudem nicht geeignet wäre, das Verhalten der Eltern zu ändern. ..."

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Der Wechsel eines Kindergartens nach Eingewöhnung des Kindes in einen Kindergarten entspricht regelmäßig nicht dem Kindeswohl. Die Kosten einer Sorgerechtsangelegenheit sind grundsätzlich den Kindeseltern hälftig aufzuerlegen (OLG Hamm, Beschluss vom 25.05.2018 - 4 UF 154/17):

„... Einem Elternteil ist gemäß § 1628 BGB die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit zu übertragen, wenn die Kindeseltern sich nicht einigen können. Maßgebendes Entscheidungskriterium ist dabei, wie bei allen Regelungen, die die elterliche Sorge betreffen, gemäß § 1697a BGB das Kindeswohl. Das Gericht trifft diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht. Es ist zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen, und die Vorstellungen der Eltern über den gewünschten Kindergarten ist an diesem Maßstab zu messen (BVerfG, Beschluss vom 4.12.2002 - 1 BvR 1870/02 - FamRZ 2003, 511).

Die Kindeseltern sind nicht in der Lage, eine gemeinsame Entscheidung über die Wahl des Kindergartens für N zu treffen. Sie können sich nicht auf einen Kindergarten einigen.

a) Aus den von den Kindeseltern jeweils bevorzugten Kindergärten ergibt sich keine Präferenz für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung, ob die Position der Kindesmutter oder die des Kindesvaters zum Kindergarten des Kindes der Vorzug zu geben ist, solange beide Positionen vertretbar sind. Beide Kindeseltern haben vertretbare und nachvollziehbare Argumente für die von ihnen jeweils getroffene Wahl.

Die Waldorfpädagogik ist staatlich anerkannt und eine Waldorfschule bietet regelmäßig alle staatlichen Schulabschlüsse an. Der Kindesvater begründet seine Ablehnung auch nicht mit den konkreten Bedürfnissen von N, sondern mit der hinter der Pädagogik stehenden Ideologie. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung über eine grundsätzliche Billigung oder Ablehnung der Waldorfpädagogik.

b) Der Kindesmutter ist die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl aufgrund der inzwischen eingetretenen, tatsächlichen Gegebenheiten zu übertragen.

N besucht den Waldorfkindergarten seit dem Sommer 2017 und hat sich dort eingelebt. Dass ein Wechsel des Kindergartens (und der zu Grunde liegenden Pädagogik) sinnvoll ist, erschließt sich nicht ohne weiteres und wird auch vom Kindesvater nicht thematisiert. Nach den Schilderungen der Beteiligten reagiert N zunehmend empfindlich auf den Streit der Kindeseltern. Damit sollte ihm vermehrt Stabilität vermittelt werden und ihm gerade kein Wechsel des Kindergartens zugemutet werden.

Auch die tatsächliche Betreuungssituation durch die Kindesmutter spricht für eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf diese. Denn als tatsächliche Betreuungsperson hat die Kindesmutter im Alltag den Kindergartenbesuch zu unterstützen und erlebt die Konsequenzen täglich sowohl hinsichtlich der praktischen Umsetzung (z.B. Fahrwege) als auch hinsichtlich der Auswirkungen der angewandten Pädagogik; die Kindesmutter ist voraussichtlich diejenige, die von den organisatorischen/praktischen Folgen der Kindergartenwahl überwiegend betroffen ist.

Der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Kindesmutter steht nicht entgegen, dass diese im Verfahren unwahre oder zumindest unvollständige Behauptungen aufgestellt hat. Um das von ihr gewünschte Ergebnis zu erreichen, behauptete sie Vorzüge des Waldorfkindergartens, die zumindest nicht in der von N tatsächlich besuchten Gruppe vorlagen. So behauptete sie umfassendere Öffnungszeiten des Waldorfkindergartens und verneinte eine vom Kindesvater zum Sommer 2017 sichergestellte Verfügbarkeit eines Kindergartenplatzes in L. Damit ist fraglich, ob die Kindesmutter am Kindeswohl orientierte Entscheidungen zu treffen vermag (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 19.5.2017 - 22 UF 241/17 - FamRZ 2017, 1834). Jedoch ist ein Bestrafen der Kindesmutter für Fehlverhalten nicht möglich, da alleiniger Maßstab das Kindeswohl ist.

Dabei ist dem Senat durchaus bewusst, dass von den äußeren Gegebenheiten einer der Kindergärten in L in Wohnortnähe zur Kindesmutter grundsätzlich den Vorzug verdient. Denn dieses bedeutet für N die kürzeren Wege; die Fahrwege der Kindesmutter sind nicht maßgeblich, da die Entscheidung am Kindeswohl und nicht an den Interessen der Eltern auszurichten ist. Die Möglichkeit der Kindesmutter, bei einem arbeitsnahen Kindergarten schneller vor Ort sein zu können, ist nicht entscheidend. Denn die Kindesmutter hat nicht behauptet, dass derartige "Notfälle" in einem relevanten Umfang eintreten. Auch ermöglicht ein Kindergarten in L die Beibehaltung der bestehenden Umgangsregelung. Bei einem fortgesetzten Besuch der Waldgruppe des Waldorfkindergartens in T muss hingegen die Umgangsregelung angepasst werden, was in der Vergangenheit wiederum zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Kindeseltern führte.

Die Bevorzugung eines bestimmten Kindergartens kann den Äußerungen Ns nicht entnommen werden. In der Anhörung des Kindes durch den Senat äußerte N, dass es ihm im Kindergarten gut gefalle. Darüber hinaus war er (altersgerecht) nicht an einem weiteren Gespräch interessiert. Bei den Äußerungen Ns war zu berücksichtigen, dass ein vierjähriges Kind ohnehin kaum in der Lage ist, sämtliche Konsequenzen einer Kindergartenwahl sachlich zu bedenken.

Insgesamt erscheint der Kindesvater damit zwar grundsätzlich besser geeignet, eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen, da seine Kindergartenauswahl die Fahrwege für N kurz hält und die konfliktfreie Beibehaltung der bestehenden Umgangsvereinbarung ermöglicht. Auch scheint er seine Entscheidung an den Bedürfnissen Ns auszurichten, indem er z.B. detailliert die Konsequenzen der verschiedenen Fahrwege überdenkt. Aufgrund des Zeitablaufs und der Eingewöhnung von N im aktuell besuchten Waldorfkindergarten in T entspricht jedoch nun ein Wechsel des Kindergartens nicht mehr dessen Wohl. ..."

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Das bloße Inaussichtstellen einer Sorgerechtsvollmacht führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit einer Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Eine erteilte Sorgerechtsvollmacht ist im Allgemeinen kein geeignetes Mittel der Konfliktvermeidung und steht daher einer Sorgeübertragung gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB in aller Regel nicht dagegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.12.2017 - II-1 UF 151/17).

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Im Fall des Wechselmodells ist die Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt auf einen Elternteil gemäß § 1628 BGB vorzugswürdig gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers, weil damit auch die Entscheidungsbefugnis über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens geklärt wird. Der Einsatz eines Ergänzungspflegers ist im Regelfall auch nicht erforderlich, um einen konkreten Interessenkonflikt zu vermeiden (§ 1796 BGB ); regelmäßig liegt nur ein abstrakter Interessengegensatz vor wie auch in allen anderen Fällen, in denen ein Haftungsanteil der Elternteile zu bilden ist oder wenn gleichzeitig Trennungsunterhalt begehrt wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.10.2016 - 6 UF 242/16):

„... Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Wenn Eltern wie im vorliegenden Fall die Sorge für ihre Kinder gemeinsam zusteht, sind sie gemäß § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB auch gemeinsam zur Vertretung der Kinder bei der Geltendmachung von Ansprüchen befugt. Dagegen liegt im Fall der Geltendmachung von Kindesunterhalt den gesetzlichen Regelungen über die Vertretung des Kindes in Unterhaltsverfahren die Vorstellung der alleinigen Betreuung des Kindes durch einen Elternteil und die in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehene Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils zugrunde. Dem entspricht § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB , der vorsieht, dass der Obhutselternteil auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge befugt ist, das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen allein zu vertreten. Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge in Fällen des paritätischen Wechselmodells aber kein Elternteil befugt, in alleiniger Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil geltend zu machen, denn in diesen Fällen betreuen beide das Kind und eine alleinige Obhut i. S. des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nicht (BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 9, m. Anm. Luthin; BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 16, m. Anm. Schürmann). Im Grundsatz müsste dann das Kind vertreten durch beide Elternteile auf der einen Seite seinen Unterhaltsanspruch gegen einen der vertretenden Elternteile auf der anderen Seite geltend machen. Praktisch würde das regelmäßig am Widerstand des Elternteils scheitern, von dem Unterhalt beansprucht werden soll. Es ergeben sich aber auch rechtliche Hindernisse. Bei (noch) verheirateten Eltern besteht grundsätzlich ein Vertretungsverbot, weil es Eltern ebenso wie Vormündern gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 i. V. mit § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB untersagt ist, als Vertreter des Kindes gerichtliche Verfahren gegen ihren Ehegatten zu führen (OLG Hamburg, FamRZ 2015, 859, juris Rz. 3; Beschluss des Senats v. 12.7.2016 - 6 UF 60/16). Wenn die Eltern wie vorliegend geschieden sind, können sie das Kind wegen des sich aus §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2 und 181 BGB ergebenden Verbots der In-Sich-Vertretung im Rechtsstreit nicht gemeinsam bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen einen von ihnen vertreten.

2. Der BGH hat in zwei Entscheidungen in Fällen geschiedener Eltern in nicht tragenden Teilen der Gründe ohne nähere Erläuterung ausgeführt, bei gleichmäßiger Betreuung eines Kindes gemeinsam sorgeberechtigter Eltern müsse der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil müsse beim FamG beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen (BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 16, m. Anm. Schürmann; BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 9, m. Anm. Luthin). Diese Ausführungen sind in der Literatur weitgehend unhinterfragt übernommen worden (Erman/Döll, BGB, 14. Aufl., § 1629 Rz. 19a; Hamdan, in: juris-PK, § 1629 BGB Rz. 70; Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, 2015, § 1629 Rz. 336; MünchKomm/Huber, BGB, 6. Aufl., § 1629 Rz. 77; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Aufl., § 1629 BGB Rz. 6).

Der Senat hält den Lösungsweg über § 1628 BGB für vorzugswürdig, weil der BGH in seiner früheren Rechtsprechung die der Führung eines Unterhaltsverfahrens vorausgehende Entscheidung über das Ob seiner Einleitung als von der Vertretung des Kindes im Verfahren getrennt zu beurteilenden Teil der Ausübung der elterlichen Sorge angesehen hat (BGH, FamRZ 1975, 162 = NJW 1975, 345 Rz. 12-16; BGH, FamRZ 2009, 861 Rz. 30). Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den mitsorgeberechtigten Elternteil führt gemäß § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB unmittelbar zur Alleinvertretungsbefugnis des anderen Elternteils. Die Einsetzung eines Ergänzungspflegers - so ihre noch anzusprechenden Voraussetzungen nach § 1629 Abs. 2 S. 3 i. V. mit § 1796 BGB überhaupt erfüllt sind - würde die Frage über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens noch ungeklärt lassen.

3. Der Beschwerde liegt die in jüngster Zeit in der Literatur vertretene Auffassung zugrunde, für die Geltendmachung von Unterhalt für durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern im Wechselmodell betreute Kinder sei zur Vermeidung von Interessenkonflikten immer ein Ergänzungspfleger einzusetzen (vgl. Götz, FF 2015, 146, 149; Seiler, FamRZ 2015, 1845, 1850). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar ist zuzugestehen, dass ein abstrakter Interessengegensatz zwischen dem vertretenden Elternteil und dem Kind nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn Kinder von beiden Eltern zu gleichen Teilen betreut werden, sind die zu ihrer Vertretung bei der Geltendmachung von Unterhalt berechtigten Elternteile immer auch in eigenen Interessen berührt. Wenn bei aufgeteilter Betreuung kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt, steht den Kindern gegen beide ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den diese gemäß § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 29, m. Anm. Schürmann; BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 16, m. Anm. Luthin). Erst im Ergebnis der Saldierung der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen dem auf ihn und den anderen Elternteil [entfallenden Anteil] als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (vgl. Niepmann/Schwamb, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 13. Aufl., Rz. 175a; Wendl/Dose/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 2 Rz. 450).

Der vertretende Elternteil mag deshalb geneigt sein, den eigenen Haftungsanteil möglichst gering anzusetzen. Ähnliche Interessengegensätze nimmt die unterhaltsrechtliche Praxis jedoch üblicherweise hin, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge über § 1629 Abs. 2 S. 3 i. V. mit § 1796 BGB gegeben hätten. Anzusprechen sind in diesem Zusammenhang die Fälle, in denen der vertretungsberechtigte Elternteil neben Unterhaltsansprüchen der Kinder auch eigene Unterhaltsansprüche erhebt und deshalb geneigt sein könnte, für sich auf Kosten der Kinder höheren Unterhalt zu erstreiten (vgl. Niepmann/Schwamb, a. a. O.). Vergleichbar sind auch die Fälle, in denen der vertretungsbefugte Elternteil wegen eines erheblichen Einkommensunterschieds (vgl. BGH, FamRZ 2013, 1558, m. Anm. Maurer) oder wegen der Gefährdung des angemessenen Selbstbehalts des in Anspruch genommenen Elternteils (vgl. BGH, FamRZ 2011, 1041, m. Anm. Hoppenz, S. 1045, sowie Anm. Volmer, S. 1647) mit für den Barunterhalt haftet. Im vorliegenden wie auch in den vergleichbar gelagerten Fällen hat nach Auffassung des Senats zu gelten, dass ein Vertretungsausschluss nach § 1796 BGB als Eingriff in die elterliche Sorge nicht ohne Weiteres wegen eines abstrakten Interessengegensatzes erfolgen darf, sondern einen im Einzelfall festzustellenden konkreten Interessengegensatz voraussetzt BGH, FamRZ 2008, 1156 Rz. 16, m. Anm. Zimmermann; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 1382 Rz. 5; Palandt/Götz, BGB, 75. Aufl., § 1796 Rz. 2; Erman/Saar, BGB, 14. Aufl., § 1796 Rz. 1; Staudinger/Veit, BGB, 2014, § 1796 Rz. 6).

In den dargestellten unterhaltsrechtlichen Interessenkollisionen wird dem vertretenden Elternteil in der Regel verantwortungsbewusstes und die Interessen der Kinder vor die eigenen stellendes Handeln zugetraut. Anhaltspunkte für einen erheblichen Interessengegensatz zwischen der Mutter und den Kindern bestehen im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil das Einkommen der Mutter den angemessenen Selbstbehalt in sehr viel geringerem Maß überschreitet als das des gut verdienenden Vaters. ..."

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In einem auf Antrag eines Elternteils eingeleiteten sorgerechtlichen Eilverfahren ist eine Beschwerde des Anordnungsgegners gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Fristsetzung zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens ungeachtet der Frage, ob die Beschwerde überhaupt zulässig wäre, jedenfalls unbegründet, wenn das in Rede stehende Kindeswohl, zu dessen Gewährleistung die einstweilige Anordnung erlassen worden ist, durch deren Wegfall gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 FamFG gefährdet wäre (OLG Dresden, Beschluss vom 05.07.2016 - 20 UF 409/16).

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Es ist nicht geboten, ein knapp 3jähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören, bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren. Eine Entscheidung über das religiöse Bekenntnis löst nicht das Spannungsverhältnis, welches durch die Konfrontation des Kindes mit den unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung von Mutter und Vater bedingt ist. Es obliegt den Eltern, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis walten zu lassen und das verstandesmäßig noch nicht gereifte Kind insoweit keinen unnötigen Spannungen auszusetzen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.2016 - 20 UF 152/15).

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„... I. Die Beteiligten sind die Eltern des minderjährigen Kindes I. T., geboren am ...2009. Die Eltern üben die elterliche Sorge für ihre Tochter, die im Sommer 2016 eingeschult wird, gemeinsam aus. Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Übertragung des Entscheidungsrechts hinsichtlich der Schulwahl, das sie - gegen den Willen des Antragsgegners, der eine öffentliche Grundschule bevorzugt - für eine Anmeldung I. in der … Kreativitätsgrundschule nutzen will. Das Familiengericht hat den Antrag mit dem angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Die Antragstellerin verfolgt demgegenüber mit der Beschwerde ihr Ziel weiter, allein das Recht zur Entscheidung über die Auswahl der Grundschule zu erlangen.

Zur Begründung führt sie aus, dass I. der Vorbereitungskurs für die Kreativitätsgrundschule gefalle und sie deshalb dort auch eingeschult werden möchte. Es stehe nicht zu befürchten, dass das Kind durch diese Schule zu sehr in Anspruch genommen werde und zu wenig Zeit für Freizeitaktivitäten habe. Sollte I. die Kreativitätsgrundschule besuchen können, müsse sie an den Nachmittagen (nach dem Ganztagsunterricht) keine Hausaufgaben mehr erledigen. Die Schule sei auch deshalb vorzugswürdig, weil I. dort ihre besonderen Neigungen (Tanz, Malen, Sprachen) und Begabungen weiter entwickeln könne. Die Tatsache, dass die Antragstellerin aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes bei ihr die Angelegenheiten des täglichen Lebens mit I. lebe und gestalte, sei vom Familiengericht nicht ausreichend gewürdigt worden. Schließlich laufe der Antragsgegner auch nicht Gefahr, durch den Schulträger wegen der Kosten der Privatschule in Anspruch genommen zu werden, da mit der Gerichtsentscheidung über die Schulauswahl zugunsten der Mutter der Vater nicht Vertragspartner des Schulvertrags werde. Im Übrigen seien die zu erwartenden Aufwendungen durch Verpflichtungserklärungen Dritter - die Antragstellerin ist selbst zu finanziellen Beiträgen zu den Kosten unstreitig nicht in der Lage - gedeckt.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Bei der Abwägung müsse berücksichtigt werden, dass bei der Kreativitätsgrundschule Schulgeld, Kreativitätsbeitrag und Hortbeitrag i.H.v. insgesamt monatlich 374,00 € anfallen, für die der Vater unterhaltsrechtlich als Mehrbedarf einzustehen habe; Freistellungserklärungen Dritter änderten daran nichts. Zu entsprechenden Leistungen sei er im Hinblick auf seine Unterhaltspflichten im Übrigen jedoch nicht in der Lage. Der Schulalltag der Kreativitätsgrundschule nehme die Kinder zeitlich und inhaltlich sehr viel mehr in Anspruch als der an einer staatlichen Grundschule. Daneben bleibe zu wenig Zeit für nicht verplantes und unbelastetes „Kindsein". Den Begabungen I. könne überdies jedenfalls durch die Zusatzangebote der 6. Grundschule - an der I. aus Sicht des Vaters anzumelden wäre - ohne weiteres Rechnung getragen werden. Im Übrigen verfange das Argument, die Antragstellerin begleite I. bei den Angelegenheiten des täglichen Lebens, während der Antragsgegner nur Umgangsrechte wahrnehme, im Ergebnis nicht, da der Antragsgegner gerne mehr Umgang mit seiner Tochter in Anspruch nehmen und auch in die Alltagsverantwortung eingebunden werden würde, die Antragstellerin einer solchen Ausweitung aber im Wege stehe.

II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Familiengerichts, dass es, auch im Hinblick auf den Elternkonflikt im Übrigen, nicht dem Wohl des betroffenen Kindes entspräche, der Mutter gegen den Widerstand des Vaters die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Anmeldung I. in einer Privatschule zu übertragen.

1. Die Frage der Einschulung ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, über die gemeinsam sorgeberechtigte Eltern grundsätzlich Einvernehmen herstellen müssen, § 1627 BGB. Können sich Eltern in einer solchen Angelegenheit nicht einigen, kann das Familiengericht gemäß § 1628 BGB auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil allein übertragen. Maßgebendes Entscheidungskriterium ist dabei, wie bei allen Regelungen, die die elterliche Sorge betreffen, gemäß § 1697 a BGB das Kindeswohl. Das Gericht trifft diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht.

Im Rahmen von § 1628 BGB hat das Gericht allerdings keine Befugnis zu einer eigenen Sachentscheidung, sondern es kann nur die Entscheidungskompetenz einem der beiden Elternteile übertragen. Es kann aber auch von einer solchen Übertragung absehen, wenn entweder keiner der von den Eltern gemachten Entscheidungsvorschläge dem Kindeswohl entspricht oder wenn die Eltern Aussicht dafür bieten, sich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu einer gemeinsamen Lösung zu verstehen. Der Senat geht hier davon aus, dass unter den gegebenen Umständen letzteres der Fall sein wird.

2. Dabei kann der Senat nicht feststellen, dass eine der beiden konkret in Rede stehenden Grundschulen vor der jeweils anderen derart grundlegende inhaltliche oder pädagogische Vorteile böte, dass nur die eine oder die andere Schule unter Kindeswohlaspekten zur Einschulung I. in Frage käme.

Die Antragstellerin bringt durchaus nachvollziehbare Gründe vor, weshalb sie eine Einschulung in der … Kreativitätsgrundschule für richtig hält. Die Schule ist staatlich anerkannt, die dort verfolgte Pädagogik wird von vielen Eltern als beispielhaft eingestuft und kann schon deshalb nicht als Gefahr für das Wohl des betroffenen Kindes angesehen werden. Im Gegenteil spricht viel dafür, dass die Ausrichtung der Schule den kreativen Neigungen und Begabungen von I. in besonderem Maße entgegenkäme.

Der Antragsgegner hat aus seiner Sicht dennoch berechtigte Gründe, einer Einschulung in die … Grundschule (das ist die dem Wohnort der Mutter nahegelegene staatliche Schule) den Vorzug zu geben. Besondere Schulkosten (mit Ausnahme der ohnehin entstehenden Hortkosten) fallen dort nicht an. Die … Grundschule könnte I. von ihrem Wohnort bei der Mutter nach einer gewissen Eingewöhnungsphase in wenigen Minuten zu Fuß selbstständig erreichen, während sie zur Kreativitätsgrundschule mit dem Auto gebracht werden oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen müsste. Der Zeitaufwand wäre, auch durch das verpflichtende Ganztagsangebot der Kreativitätsgrundschule, für das Kind höher als bei einer Einschulung in der öffentlichen Grundschule. Insbesondere die vielseitigen Hortangebote dort kommen den Neigungen von I. ebenfalls entgegen; im Übrigen wäre das Kind, da die ... Grundschule kein verpflichtendes Ganztagsangebot hat, nicht gehindert, nachmittags speziell auf ihre Neigungen abgestimmte Kurse bei freien Trägern zu besuchen und zeitlich dennoch flexibler zu sein als bei einer Ganztagsschule.

3. Der Kindeswille selbst ist aus Sicht des Senats für eine Entscheidung, ob und gegebenenfalls welchem Elternteil die Entscheidung über die Wahl der Grundschule zu übertragen ist, nicht ausschlaggebend. I. hat beim Familiengericht zwar bekundet, auf die Kreativitätsgrundschule gehen zu wollen, wo sie auch gewisse vorschulische Aktivitäten besucht hat. Sie war allerdings - altersbedingt - nicht in der Lage, diesen Wunsch nachvollziehbar zu begründen. Auch eine Sechsjährige mit überdurchschnittlicher Auffassungsgabe und wachem Intellekt (so wird I. von beiden Eltern übereinstimmend beschrieben) ist nicht in der Lage, das Ausmaß einer solchen Entscheidung hinreichend zu erfassen, und dies weder hinsichtlich der inhaltlichen schulischen Belange noch im Hinblick auf die in Rede stehenden finanziellen Auswirkungen. Es ist vielmehr grundlegender Teil der elterlichen Sorge und Verantwortung, diese Entscheidung für das Kind zu treffen.

4. Die Abwägung zwischen den elterlichen Einschulungsvorschlägen hat hier auch nicht deshalb von vornherein zugunsten der Antragstellerin auszufallen, weil diese das Kind im Alltag betreut und versorgt. Tatsächlich nimmt der Antragsgegner derzeit zwar nur ein beschränktes Umgangsrecht wahr, so dass sämtliche Angelegenheiten des täglichen Lebens, solange das so bleibt, die Antragstellerin zu regeln hat; dazu werden auch die schulischen Angelegenheiten gehören. Auch wenn die Umgangszeiten des Vaters, was dieser anstrebt, künftig ausgeweitet würden, wäre die Antragstellerin mithin voraussichtlich bis auf Weiteres diejenige, die von den organisatorischen/praktischen Folgen der Schulauswahl überwiegend betroffen ist.

Richtig ist, dass dies dafür sprechen könnte, dem Auswahlvorschlag der Antragstellerin den Vorrang einzuräumen, wenn es nur um die angesprochenen praktisch/organisatorischen Fragen (etwa Bringen zur Schule und Abholen, zumindest in der Anfangszeit, Beschaffen von Schulmaterialien, Hausaufgabenüberwachung, Terminskontrolle, Elternarbeit) ginge. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Eltern sind vielmehr auch und gerade darüber uneins, ob das von der Kreativitätsgrundschule verfolgte Konzept I. in besonderer Weise gerecht würde oder sie eher, insbesondere zeitlich, zu überfordern geeignet wäre. Die erfolgreiche Umsetzung eines solch anspruchsvollen Konzepts ist jedenfalls umso eher aussichtsreich, als es von beiden Eltern aktiv gefördert oder zumindest mitgetragen wird. Daran fehlt es hier jedoch völlig, ohne dass dem Antragsgegner daraus ein Vorwurf zu machen wäre. Das Risiko, das er finanziell für Kosten des Privatschulbetriebs unterhaltsrechtlich haftbar gemacht werden könnte, wird durch die - sicherlich gut gemeinten - Finanzierungsangebote von dritter Seite schon deshalb nicht aus der Welt geschafft, weil dem Vater daraus keine eigenen Freistellungsansprüche entstehen; selbst wenn das anders wäre, hätte er immer noch das Risiko zu tragen, dass diese Dritten mit ihren Verpflichtungserklärungen während der vierjährigen Grundschulzeit wirtschaftlich ausfallen.

5. Unabhängig davon sieht der Senat angesichts des fortdauernden Streits der Eltern im Übrigen eher die Gefahr, dass eine Entscheidung für die Schulwahl der Mutter den Vater über die reine Auswahlentscheidung hinaus in schulischen Angelegenheiten weiter aus der elterlichen Verantwortung zu drängen geeignet wäre (schon weil er nach dem Willen der Mutter nicht Partei des Schulvertrags wäre, so dass - zumindest - aus Sicht der Schule kaum Anlass dafür empfunden werden wird, den Vater in die Regelung der schulischen Belange I. einzubeziehen); dafür gäbe es allerdings, soweit ersichtlich, überhaupt keine Rechtfertigung. In rein zeitlicher Hinsicht ist schon das aktuelle Freizeitprogramm I., so sinnvoll es für sich betrachtet sein mag, tendenziell mit dem Risiko behaftet, für berechtigte Umgangsbelange des Vaters (zu) wenig Freiraum zu belassen. Eine Einschulung in einer Ganztagsschule mit einem überdies inhaltlich stark fordernden pädagogischen Konzept würde dieses Risiko erhöhen. Denn anders als bei Hortangeboten, die je nach Neigung und Leistungsfähigkeit des Kindes freiwillig in Anspruch genommen und auch wieder beendet werden können, ständen die Nachmittagsstunden der Kreativitätsgrundschule nicht zur Gestaltungsdisposition der Eltern. Das könnte hinzunehmen sein, wenn die Eltern sich in der Lage zeigten, die damit verbundenen Herausforderungen auch und gerade im Hinblick auf einen nachhaltigen und lebendigen Umgangskontakt des Kindes zu seinem Vater gemeinsam zu gestalten. Das vermag der Senat, zumal er die Beteiligten aus dem vorangegangenen Sorgeverfahren noch in persönlicher Erinnerung hat, indes nicht zu erkennen.
Unter diesen Umständen hält der Senat eine Einschulung I. in der … Kreativgrundschule gegen das Votum des Vaters nicht für kindeswohlförderlich. Da der Senat davon ausgeht, dass die Eltern gleichwohl bestrebt sein werden, den Anforderungen der gesetzlichen Schulpflicht für I. gemeinsam nachzukommen, wird bei dieser Sachlage nur eine Einschulung in der für das Kind vorgesehenen öffentlichen Grundschule in Betracht kommen. Der Senat sieht vor diesem Hintergrund von einer entsprechenden ausdrücklichen Kompetenzübertragung zugunsten des Vaters ab, der dies auch nicht beantragt hat. ..." (OLG Dresden, Beschluss vom 31.03.2016 - 20 UF 165/16)

***

„... Soweit es schließlich um die Privatschulkosten für den Sohn B… geht, kann der Antragsgegner mit seinen dagegen gerichteten Einwänden ebenfalls nicht gehört werden.

Der Verweis des Antragsgegners auf eine vermeintliche Obliegenheit der Antragstellerin zum Wechsel ihrer Arbeitsstelle, damit sie finanziell in der Lage sei, sich an den Schulkosten angemessen zu beteiligen, trägt schon deshalb nicht, weil die Antragstellerin gegenüber B… keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit trifft. Sie leistet den Betreuungsunterhalt und genügt damit ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber B… (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Dementsprechend ist die Mutter im Verhältnis zum minderjährigen Sohn B… nicht zu einem Wechsel ihrer Arbeitsstelle verpflichtet. Daran ändert auch die grundsätzliche Mithaftung der Antragstellerin im Rahmen eines unterhaltsrechtlichen Mehrbedarfs für die Privatschulkosten nichts.

Zwar gehört bei gemeinsamem Sorgerecht die Frage, welche - gegebenenfalls mit Kosten verbundene - Schule das Kind nach der Grundschulzeit besucht, zu den Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. Sie muss daher grundsätzlich von beiden Eltern im gegenseitigen Einvernehmen entschieden werden (§ 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB). Können sich die Eltern in dieser für das Kind wichtigen Frage der Fortsetzung seines Schulbesuchs nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen (§ 1628 BGB). Der mit der Entscheidung über den Besuch der weiterführenden Schule betraute Elternteil ist dann berechtigt, die Ziele und Wege der Ausbildung unter Berücksichtigung der Eignung und Neigung des Kindes allein verantwortlich festzulegen. Der andere (barunterhaltspflichtige) Elternteil muss diese Entscheidung hinnehmen, auch wenn sie sich kostensteigernd für ihn auswirkt und sie ihm nicht sinnvoll erscheint. Vermeintliche Fehlentscheidungen lassen sich nur im Rahmen von § 1666 BGB angreifen (vgl. hierzu Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rn. 456).

Vorliegend kann nicht zweifelhaft sein, dass im Falle fortdauernder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten und einer entsprechenden Antragstellung eine Entscheidungsübertragung nach § 1628 BGB auf die Antragstellerin erfolgt wäre, in deren Haushalt B… lebt. Ihr wäre die Wahl der weiterführenden Schule für den Sohn übertragen worden, weil dies seinem Wohl besser entspricht als eine Entscheidungsübertragung auf den nicht betreuenden Antragsgegner. Die Kosten für den Besuch der Privatschule sind auch nicht erheblich. Schließlich sind die entstehenden laufenden Mehrkosten von monatlich 61,50 €, zu denen das Amtsgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, für den Antragsgegner auch wirtschaftlich zumutbar, zumal auch die ursprüngliche Entscheidung für den Besuch der kostenpflichtigen Grundschule von beiden sorgeberechtigten Eltern getroffen worden ist. Wenn die Antragstellerin dem Sohn B… auch nach der 6. Klasse (ab 1. August 2014) weiterhin sein vertrautes Schulumfeld erhalten wollte bzw. zukünftig will, so stellt dies einen sachlichen Grund dar. Dieser rechtfertigt eine Wahl der mit Schulkosten verbundenen Gesamtschule in K… und lässt diese für den Antragsgegner nach den Gesamtumständen auch nicht als unzumutbar erscheinen. Dementsprechend schuldet der Antragsgegner auch weiterhin die vom Amtsgericht zuerkannten Schulkosten. Der Anspruch auf Schulgeldzahlung ist folglich nicht bis zum 24. August 2013 zu befristen. ..." (OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.07.2015 - 3 UF 155/14).

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Üben Eltern die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam aus, so haben sie die ihr Kind betreffenden Entscheidungen in eigener Verantwortung und im gegenseitigen Einvernehmen, also gemeinsam zu treffen. Können sich die Eltern trotz entsprechender Bemühungen nicht einigen, hat die nur von einem Elternteil befürwortete Maßnahme grundsätzlich zu unterbleiben. Gemäß § 1628 BGB kann das Familiengericht in derartigen Situationen die Entscheidungsbefugnis nur dann auf einen Elternteil allein übertragen, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und seinem Wohl am besten entspricht. Eine von der Kindesmutter mit dem Kind geplante Besuchsreise zu ihrer Mutter nach Russland stellt für sich allein keine solche Kindesangelegenheit von erheblicher Bedeutung dar ( OLG Köln, Beschluss vom 22.11.2011 - 4 UF 232/11).

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Coronatest: Ob die Teilnahme eines Kindes an Testverfahren zur Diagnose von Covid-19 eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB ist, bestimmt sich nach dem Zweck des Testverfahrens. Die Teilnahme eines schulpflichtigen Kindes am Präsenzunterricht bei bestehender Test- und Präsenzpflicht ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, weil sie geeignet ist, nachhaltig Einfluss auf die schulische und seelische Entwicklung sowie auf die sozialen Kompetenzen eines Kindes zu nehmen. Dies gilt umso mehr, wenn das Kind aufgrund einer Pandemie bereits längere Zeit nur am Heimunterricht teilnehmen durfte und es dann trotz Ermöglichung von Präsenzunterricht an der Schule aufgrund gesunkener Fallzahlen im Heimunterricht verbleiben muss, während ihre Mitschüler wieder regulär die Schule, wenn auch nur im Wechselunterricht, besuchen dürfen (AG Mainz, Beschluss vom 04.05.2021 - 34 F 126/21).

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§ 1629 BGB Vertretung des Kindes

(1) Die elterliche Sorge umfasst die Vertretung des Kindes. Die Eltern vertreten das Kind gemeinschaftlich; ist eine Willenserklärung gegenüber dem Kind abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem Elternteil. Ein Elternteil vertritt das Kind allein, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 übertragen ist. Bei Gefahr im Verzug ist jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten.

(2) Der Vater und die Mutter können das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1795 ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, so kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen. Das Familiengericht kann dem Vater und der Mutter nach § 1796 die Vertretung entziehen; dies gilt nicht für die Feststellung der Vaterschaft.

(2a) Der Vater und die Mutter können das Kind in einem gerichtlichen Verfahren nach § 1598a Abs. 2 nicht vertreten.

(3) Sind die Eltern des Kindes miteinander verheiratet, so kann ein Elternteil, solange die Eltern getrennt leben oder eine Ehesache zwischen ihnen anhängig ist, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen. Eine von einem Elternteil erwirkte gerichtliche Entscheidung und ein zwischen den Eltern geschlossener gerichtlicher Vergleich wirken auch für und gegen das Kind.

Leitsätze/Entscheidungen:

„... Die Antragstellerinnen beantragen, im Wege der einstweiligen Anordnung

1. zu bestimmen, dass die Antragstellerin zu 2) sich bis zur Entscheidung in der Hauptsache unverzüglich und uneingeschränkt im Haushalt der Antragstellerin zu 1) aufhalten kann und mit sofortiger Wirkung an die Antragstellerin zu 1) herauszugeben ist,
2. den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19. Juli 2012 und dessen Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. ...

1. Der Antrag ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) schon unzulässig. Es fehlt an einer wirksamen Vollmachtserteilung an die Verfahrensbevollmächtigte. Die von der Antragstellerin zu 1) ausgestellte Vollmacht ist bereits deshalb nicht ausreichend, weil die minderjährige Antragstellerin zu 2) gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB nur gemeinschaftlich durch ihre Eltern vertreten werden kann, denen das Sorgerecht vorliegend gemeinsam zusteht. Überdies scheitert die Zulässigkeit des Antrags an einem nicht auszuschließenden Widerstreit zwischen dem wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin zu 2) und ihren Eltern, denen die Fachgerichte aus Gründen des Kindeswohls wesentliche Teile des elterlichen Sorgerechts entzogen haben. Die in einer solchen Situation erforderliche Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat die Antragstellerin zu 1) nicht betrieben (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 72, 122, 133 ff und BVerfG, Beschluss vom 14. April 2009 - 1 BvR 467/09 -, juris; ebenso VerfGH Berlin, Beschluss vom 7. Juni 2011 - 38 A/11 -, juris).

2. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen, weil es an den Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg fehlt. Danach kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil") bzw. keinen gleichwertigen „anderen" Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 20. Mai 2010 - VfGBbg 9/10 EA -, vom 30. September 2010 - VfGBbg 8/10 EA - und vom 22. Februar 2013 - 1/13 EA -, jeweils www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

Solche deutlich überwiegenden und irreversiblen Nachteile sind nicht erkennbar. Die von der Antragstellerin zu 1) angeführten nachteiligen Folgen der angegriffenen Beschlüsse, namentlich die Beeinträchtigung ihres Elternrechts und die aus ihrer Sicht zu befürchtende Entwicklungsschädigung der Antragstellerin zu 2), wiegen jedenfalls nicht schwerer als der Schaden, der drohte, wenn nach Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung eine Gefährdung oder gar Verletzung des Kindeswohls durch eine Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Antragstellerin zu 1) festgestellt würde. Insoweit ist auf die entsprechenden Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu verweisen, die der nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg gebotenen und in Fällen der vorliegenden Art vorrangig am Kindeswohl zu orientierenden Folgenabwägung grundsätzlich zugrunde zu legen sind (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2011 - 1 BvR 303/11 -, juris, m. w. N.).

Darüber hinaus fehlt es auch an dem durch § 30 Abs. 1 VerfGGBbg aufgestellten Erfordernis, dass die begehrte einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl" dringend geboten sein muss (st. Rspr., vgl. Urteil vom 4. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 113; Beschluss vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 1/03 EA -; Beschluss vom 6. Juli 2012 - VfGBbg 5/12 EA -; Beschluss vom 17. August 2012 - VfGBbg 6/12 EA -, jeweils www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das gemeine Wohl durch den vorliegenden familienrechtlichen Einzelfall betroffen wird.(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 17.05.2013 - 4/13 EA)

*** (BGH)

Dem sich aus der gesetzlichen Gesamtvertretung des minderjährigen Kindes durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ergebenden Bedürfnis für eine Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnisse kann durch Erteilung einer Vollmacht entsprochen werden. Das Grundverhältnis für diese Vollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis. Daraus ergeben sich insbesondere Kontrollbefugnisse und -pflichten und gegebenenfalls auch Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils. Eines gesonderten Vertrags zwischen den Eltern bedarf es für das Grundverhältnis nicht. Die Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils kann eine andernfalls notwendige Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Hierfür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern erforderlich, soweit eine solche auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (BGH, Beschluss vom 29.04.2020 - XII ZB 112/19).

***

Im Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft ist die allein sorgeberechtigte und mit dem rechtlichen Vater nicht verheiratete Mutter von der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. März 2012, XII ZB 510/10, BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859). Für den Beginn der das minderjährige Kind betreffenden Frist zur Anfechtung der Vaterschaft ist in diesem Fall auf die Kenntnis der Mutter als alleiniger gesetzlicher Vertreterin abzustellen (BGH, Beschluss vom 02.11.2016 - XII ZB 583/15).

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Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 Abs. 3 BGB mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, so kann das Kind als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten (teilweise Aufgabe der Senatsurteile vom 23. Februar 1983, IVb ZR 359/81, FamRZ 1983, 474 und vom 30. Januar 1985, IVb ZR 70/83, FamRZ 1985, 471). Dieser ist nicht von der Zustimmung des Antragsgegners abhängig. Durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhöht sich dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht (BGH, Beschluss vom 19.06.2013 - XII ZB 39/11).

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Zur Vertretung des minderjährigen Kindes im Kindschaftsverfahren (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. September 2011, XII ZB 12/11, FamRZ 2011, 1788; BGH, Beschluss vom 18.01.2012 - XII ZB 489/11):

„... 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch sonst zulässig. Die Mutter ist nach § 59 FamFG beschwerdebefugt, weil die Anordnung der Ergänzungspflegschaft einen Eingriff in das ihr zustehende Sorgerecht darstellt (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - FamRZ 2011, 1788 Rn. 4; vgl. Staudinger/Peschel-Gutzeit BGB [2007] § 1629 Rn. 304 mwN).

2. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts ist das minderjährige Kind Verfahrensbeteiligter. Da es nicht verfahrensfähig sei, bedürfe es eines gesetzlichen Vertreters. Die Mutter stehe in einem erheblichen Interessengegensatz, sodass ihr die Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB zu entziehen sei. Abweichend von der Intention des Gesetzgebers könne daher in der Mehrzahl der gerichtlichen Kindschaftsverfahren nicht auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers verzichtet werden. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands reiche nicht aus, weil dieser nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei. Der Eingriff in die grundgesetzlich geschützte elterliche Sorge sei als nur vorübergehend hinzunehmen, um dem rechtlichen Gehör des Kindes als Rechtssubjekt effektive Geltung zu verschaffen.

3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, führt das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Da es sich bei der Entziehung der Vertretungsbefugnis um einen Eingriff in das Elternrecht handelt, ist vielmehr der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daher hat das Gericht vor Entziehung der Vertretungsbefugnis in jedem Fall zu prüfen, ob dem Interessengegensatz nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Wenn mildere Maßnahmen möglich sind, um dem Interessenkonflikt wirksam zu begegnen, ist die Entziehung der Vertretungsbefugnis übermäßig und daher rechtswidrig (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - FamRZ 2011, 1788 Rn. 18 mN).

Die Wahrnehmung der Kindesinteressen ist hingegen in einem auf die Person bezogenen Kindschaftsverfahren die originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands. Dass in Fällen des wesentlichen Interessengegensatzes von Eltern und Kind stets eine Entziehung der Vertretungsbefugnis angezeigt wäre, kann nicht als Wille des Gesetzgebers unterstellt werden, schon weil er sich damit zu seiner abgewogenen eigenen Entscheidung zur Reichweite der Interessenvertretung des Kindes im Verhältnis zum Elternrecht und zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen in Widerspruch gesetzt hätte (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - FamRZ 2011, 1788 Rn. 20, 25). Dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist, begründet nicht die Notwendigkeit, die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen. Gerade die der Regelung in § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG zugrunde liegenden Erwägungen zeigen, dass es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mit der Bestellung des Verfahrensbeistands als Interessenvertreter des Kindes selbst bei Interessenkonflikten regelmäßig auch bewenden soll (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - FamRZ 2011, 1788 Rn. 22).

§ 1796 BGB ist demnach im Zusammenhang mit Kindschaftsverfahren dahin zu verstehen, dass eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis dann nicht angeordnet werden darf, wenn durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands bereits auf andere Weise für eine wirksame Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden kann. Das ist in Verfahren, welche die Person des Kindes betreffen, der Fall. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands ist dabei nicht auf Verfahren, die die Personensorge betreffen, beschränkt, sondern erfasst alle Verfahren, die sich nicht ausschließlich auf Vermögensangelegenheiten beziehen (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - FamRZ 2011, 1788 Rn. 29).

b) Nach den vorstehenden Maßstäben war im vorliegenden Fall die Bestellung eines Verfahrensbeistands zulässig und ausreichend. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers ist demnach wie die damit verbundene Entziehung der Vertretungsbefugnis nicht geboten und daher unzulässig. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil es weiterer Feststellungen nicht bedarf. Demnach ist der Beschluss des Amtsgerichts - ersatzlos - aufzuheben. ..."

***

Ein Kind lebt im Sinne des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Obhut desjeni-gen Elternteils, bei dem das Schwergewicht der tatsächlichen Betreuung liegt (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - XII ZR 126/03).

*** (OLG)

Zahlung des Mehrbedarfes beim Wechselmodell (OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.11. 2022 - 13 UF 24/21):

„ ... Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde ist auch mit Blick auf das nach der erstinstanzlichen Entscheidung zwischen den Eltern geübte Wechselmodell zulässig.

Zwar ist in Fällen des paritätischen Wechselmodells kein Elternteil befugt, in alleiniger Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil geltend zu machen, denn in diesen Fällen betreuen beide das Kind und eine alleinige Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nicht (BGH, FamRZ 2006, S. 1015, Rn. 9; BGH FamRZ 2014, S. 917, Rn. 16), sodass die Mutter den Antragsteller in diesem Verfahren nicht mehr allein vertreten kann. Allerdings ist dieser Mangel in Folge des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 14.10.2021 nunmehr durch die Vertretung des Antragstellers durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger behoben. Auch Bedenken in Bezug auf die Postulationsfähigkeit gemäß §114 FamFG bestehen insoweit nicht, da der Antragsteller durchgängig durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird. Die Beschwerde hat in der Sache allerdings nur teilweise Erfolg.

Soweit die Beschwerde die erstinstanzliche Unzuständigkeit des angerufenen Familiengerichts rügt, gilt § 65 Abs. 4 FamFG. Danach kann die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

Ebenfalls unschädlich ist der Umstand, dass in den Schriftsätzen der Antragstellerseite nicht durchweg klar wird, dass nicht die Mutter, sondern das Kind Antragsteller im Verfahren ist. Maßgeblich ist die Parteienbezeichnung im Rubrum und der Antrag, der darauf gerichtet ist, Zahlung an den Antragsteller zu Händen seiner Mutter zu leisten.

Die hier streitigen Kosten eines privaten Schulbesuchs sind unterhaltsrechtlich als Mehrbedarf zu qualifizieren (BeckOGK/Wendtland, 1.8.2022, BGB § 1610 Rn. 138.1). Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er beim Kindesunterhalt mit den Tabellensätzen nicht oder nicht vollständig erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Mai 2021 - 9 UF 174/20 -, Rn. 11, juris; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis.10. Auflage 2019, Rn. 232 -beck-online-).

Der Antrag auf Zahlung von Mehrbedarf ist - wie hier - als Leistungsantrag statthaft. Beim Kindesunterhalt ist der Zusatzantrag für einen Mehrbedarf neben der bestehenden Titulierung des Tabellenunterhalts zulässig, weil der Barunterhaltsbedarf des Kindes auch bei günstigen Einkommensverhältnissen von vornherein nicht den Betreuungs- und Erziehungsbedarf des Kindes erfasst, hierfür vielmehr zusätzliche Mittel zu veranschlagen sind (vgl. Wendl/Dose UnterhaltsR, § 10 Verfahrensrecht Rn. 169, beck-online).

Die Frage der Notwendigkeit des Besuchs einer Privatschule stellt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht, denn mit der Unterzeichnung des Schulvertrages hat er dem Besuch bereits vorbehaltlos zugestimmt. Der mit dieser Grundentscheidung einverstandene Antragsgegner muss dann auch die Rechtsfolgen tragen, die losgelöst von der mangels Vertragspartnerschaft tatsächlich im Außenverhältnis nicht bestehenden Schuldverpflichtung gegenüber dem Schulträger einzig nach den dafür - unterhaltsrechtlich - geltenden Maßstäben zu beurteilen sind (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Mai 2021 - 9 UF 174/20 -, Rn. 17, juris).

Der verfahrenseinleitende auf eine fortlaufende unbefristete monatliche Zahlung gerichtete Antrag ist dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller von Anfang an die Beteiligung nur am Schulgeld für das Schuljahr 2019/2020 begehrt hat, nachdem seine Mutter das sich auf 4.845,80 € belaufende Schulgeld für dieses Schuljahr (incl. Einschreibegebühr von einmalig 50 €) vollständig verauslagt hatte. Entsprechend hat der Antragsteller mit den Schriftsätzen vom 30.12.2019 und 31.01.2020 den Mehrbedarf mit dem einmaligen Jahresbetrag für das Schuljahr 2019/2020 abzüglich des Verpflegungsanteils von 780 € (vgl. hierzu BeckOGK/Wendtland, 1.8.2022, BGB § 1610 Rn. 134.1), geltend gemacht. Der Mehrbedarf beträgt danach im Schuljahr 2019/2020 4.065,80 €.

Am Mehrbedarf muss sich grundsätzlich auch der Elternteil beteiligen, der ein minderjähriges Kind betreut und dadurch regelmäßig nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seine Unterhaltspflicht erfüllen würde, wenn er über Einkünfte verfügt, insbesondere, wenn er erwerbstätig ist oder ihn eine Erwerbsobliegenheit trifft (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Mai 2021 - 9 UF 174/20 -, Rn. 12, juris). Nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB haften die Eltern insoweit nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 - XII ZB 325/20 -, Rn. 43, juris; BGH, FamRZ 1998, 286, 287 f. mwN).

Für den in der Vergangenheit liegenden Mehrbedarf im Jahr 2019 ist mangels Prognosebedarfs der einjährige Jahresdurchschnitt der Einkommen der Eltern in diesem Jahr maßgeblich (vgl. Senat Beschluss vom 11. Februar 2020 - 13 UF 71/15 -, Rn. 17, juris; Wendl/Dose UnterhaltsR, 10. Aufl., § 1 Rn. 73). Für den Mehrbedarf in 2020 schreibt der Senat mangels anderweitiger Anhaltspunkte das Einkommen aus 2019 fort.

Entsprechend dem Hinweis der Berichterstatterin durch Verfügung vom 02.08.2022, dem die Beteiligten innerhalb der gesetzten Frist nicht entgegengetreten sind, stellt sich das Einkommen der Eltern des Antragstellers in 2019 wie folgt dar:

Einkommen der Mutter des Antragstellers:

Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit: 43.568 €
Einkünfte aus Kapitalerträgen: 5.923 €
Summe: 49.491 €
./. Versorgungswerk 6.911 €
./. KV 4.395 €
./. PV 376 €
./. KV 569 €
./. Allianz-RV 1.150 €
./. Steuern für 2018 1.728 €
Ergebnis: 34.362 € : 12 = 2.864 € monatlich (gerundet)

Einkommen Antragsgegner:

Einkünfte aus Photovoltaik: 15.035 €
Einkünfte aus Vermietung: 4.114 €
Einkünfte aus Vermietung: 58.852 €
Einkünfte aus Vermietung: 1.219 €
Summe: 79.220 €
./. KV 4.044 €
./. PV 341 €
./. KV 10 €
Ergebnis: 74.825 € : 12 = 6.235 € (gerundet)

Die Haftungsverteilung folgt den Grundsätzen für die Berechnung der Haftungsanteile des Volljährigenunterhalts. Vor der Gegenüberstellung der jeweiligen Einkommen ist bei jedem Elternteil ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 298/12 - FamRZ 2013, 1563 Rn. 12 mwN). Bei der Berechnung der jeweiligen Haftungsanteile ist zu beachten, dass das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung vorab um den geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist (BeckOGK/ Winter, 1.5.2022, BGB § 1613 Rn. 221).

Entsprechend sind in die Berechnung der Quote auf Seiten der Mutter der in 2019 geltende Selbstbehalt von 1.300 € vom dargestellten Einkommen abzuziehen, sodass sich ein Betrag von 1.564 € ergibt.

Das Einkommen des Antragsgegners ist zusätzlich um den Barunterhalt der höchsten Einkommensstufe, den der Antragsgegner leistet, zu bereinigen. Der Zahlbetrag betrug in 2019 für den am 29.03.2013 geborenen Antragsteller bis einschließlich Februar 2019 in der ersten Altersgruppe 470 €, von März bis Juni 2019 in der zweiten Altersgruppe 553 € und ab Juli 2019 548 €. Entsprechend erfolgt die Quotierung im Januar und Februar 2019 nach einem Einkommen von 4.465 € (6.235 € - 1.300 € - 470 €), von März 2019 bis Juni 2019 von 4.382 € und ab Juli 2019 von 4.387 €.

Der Haftungsanteil des Antragsgegners beträgt in allen Zeitabschnitten gerundet 74 %. Zwar haben sich in 2020 der angemessene Selbstbehalt auf 1.400 € und der Kindesunterhalt in der höchsten Einkommensgruppe und 2. Altersstufe auf 577 € erhöht. Dies wirkt sich auf das rechnerisch ermittelte und auf volle Prozent gerundete Ergebnis aber nicht aus.

74 % vom Mehrbedarf in Höhe von 4.065,80 € ergeben einen Betrag von gerundet 3.009 €.

Mehrbedarf für die Vergangenheit - hier August und September 2019 - kann allerdings nur unter den Voraussetzungen von § 1613 BGB gefordert werden, also nur, wenn der Unterhaltspflichtige vor dem Anfall der Kosten zur Auskunft aufgefordert oder in Verzug gesetzt worden ist. Mangels vorgerichtlichen Auskunftsverlangens oder Mahnung kann der Antragsteller Zahlung erst ab Rechtshängigkeit, die mit Antragszustellung am 24.09.2019 erfolgt ist fordern, mithin ab September 2019, nicht hingegen für August 2019. 1/12 von 3.009 € betragen 250,75 €, sodass der Anspruch auf Mehrbedarf insgesamt 2.758,25 € (250,75 € x 11) beträgt.

Zur Zahlung dieses Betrags ist der Antragsgegner auf den erstmals in der zweiten Instanz gestellten Antrag des Antragstellers zu verpflichten. Nachdem das Amtsgericht den Antragsgegner nicht auf den tatsächlich gestellten, auf die Zahlung von insgesamt nur 2.485 € gerichteten Antrag, sondern unter Verletzung des aus § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO folgenden Grundsatzes auf einen lediglich angekündigten, in der Folge aber nicht gestellten Antrag verpflichtet hat, stellt der zweitinstanzliche Antrag des Antragstellers, die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners gleichwohl zurückzuweisen, eine - jedenfalls konkludente - Anschlussbeschwerde mit dem antragserweiternden Ziel dar, den Antragsteller über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinaus nunmehr im zweiten Rechtszug zur Zahlung von insgesamt 3.659 € zu verpflichten. Dieser Antrag ist allerdings - wie vorstehend ausgeführt - lediglich in Höhe von 2.758,25 € begründet, sodass die Anschlussbeschwerde im Übrigen zurückzuweisen war.

Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 288, 291 BGB, §§ 113, 308 ZPO. Mit seinem Antrag hat der Antragsteller bereits fällig gewordenen Mehrbedarf für August und September 2019 in Höhe von insgesamt 435 € geltend gemacht. Wie dargestellt, bestand ein Anspruch auf Zahlung von Mehrbedarf mangels Verzugs für August 2019 nicht. Zinsen sind daher nur auf den für September 2019 geschuldeten Betrag zuzusprechen. Mangels anderweitigen Vortrags beträgt der vom Antragsteller für September geltend gemachte Betrag die Hälfte von 435 €, mithin 217,50 €. Gemäß §§ 113 FamFG, 308 ZPO waren Zinsen nur auf diesen Betrag auszusprechen. Zinsbeginn ist mangels vorherigen Verzugs erst der Tag nach Eintritt der Rechtshängigkeit. ..."

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Gründstücksübertragung auf die Kinder: Bei einer gemeinsamen Sorge für ein minderjähriges Kind tritt ein Vertretungsausschluss gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB nur bei dem Elternteil ein, in dessen Person die Voraussetzungen des § 1795 BGB unmittelbar vorliegen. Liegen die Voraussetzungen für einen Vertretungsausschluss nur bei einem Elternteil vor, bleibt der andere Elternteil zur Vertretung des minderjährigen Kindes befugt und die Bestellung eines Ergänzungspflegers ist nicht erforderlich (OLG Köln, Beschluss vom 16.09.2022 - I-2 Wx 171/22).

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Ein Sorgerechtsentzug für ein Erbscheinerteilungsverfahren muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Er ist nicht erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass die Eltern im Interesse des Kindes handeln, und ihr Einfluss auf die Entschei-dung gering ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.06.2022 - 7 WF 434/22).

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Nehmen getrennt lebende Eltern die Betreuung ihres Kindes in der Weise vor, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (sog. Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln, sodass kein Elternteil die Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB innehat. Für diesen Fall, dass das betroffene Kind durch keinen der beiden Elternteile in der Frage der Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen vertreten wird, kommt entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers in Betracht oder derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, muss gem. § 1628 BGB die familiengerichtliche Übertragung der Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt herbeiführen (Fortführung OLG Celle, Beschluss vom 20. August 2014 - 10 UF 163/14 -, juris, vgl. in diesem Zusammenhang auch die weiteren zur Veröffentlichung bestimmten Senatsentscheidungen in den Verfahren 10 WF 186/19, 10 UF 10/20 und 10 UF 16/20; OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2019 - 10 UF 270/19).
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Die Voraussetzungen einer Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 BGB entfallen mit Einrichtung eines Wechselmodells. Mit dem Wegfall der Voraussetzungen einer Verfahrensstandschaft entfällt die Befugnis zur Geltendmachung laufenden wie rückständigen Kindesunterhalts (vgl. BGH FamRZ 2013, 1378 Rn. 6; MüKoBGB/Huber, 7. Aufl. 2017, BGB § 1629 Rn. 83; Döll in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1629 BGB, Rn. 19b, jew. m.w.N.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.09.2019 - 13 UF 154/19).

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Mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes kann der vormals legitimierte Elternteil weder wegen eines laufenden Unterhalts noch wegen Unterhaltsrückständen aus der Zeit der Minderjährigkeit des Kindes die Zwangsvollstreckung betreiben (OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.09.2019 - 9 UF 232/18).

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Vermögender Unterhaltsschuldner: Das minderjährige Kind, vertreten durch den obhutgewährenden Elternteil, ist berechtigt, eine Abänderung der in der notariell beurkundeten Scheidungsfolgenvereinbarung seiner Eltern enthaltenen Regelung zum Kindesunterhalt zu verlangen, wenn ihm in der Urkunde ein eigenes Forderungsrecht eingeräumt wurde. Die Einräumung eines eigenen Forderungsrechts kann angenommen werden, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil sich ausdrücklich auch gegenüber dem Kind der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein Vermögen unterworfen hat und vereinbart wurde, dass dem Kind jederzeit eine eigene vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde erteilt werden kann. Der Antrag, einen Unterhaltstitel abzuändern, ist zulässig, wenn der Antragsteller Tatsachen vorträgt, aus denen sich eine wesentliche Änderung der dem abzuändernden Titel zugrundeliegenden Verhältnisse ergibt. Der Vortrag einzelner Umstände, die zu einer Änderung der maßgeblichen Verhältnisse geführt haben sollen, reicht dafür noch nicht aus, sondern vom Antragsteller ist auch die „Ergebnisrelevanz" der Umstände aufzuzeigen. Dafür ist es jedoch nicht erforderlich, dass bereits in der „Zulässigkeitsprüfung" eine vollständige Unterhaltsberechnung mit dem neuen Zahlenwerk vorgelegt wird, da dies zu einer Verlagerung der „Begründetheitsprüfung" in die Zulässigkeitsstufe führen würde, was abzulehnen ist. Im Rahmen der „Begründetheit" hat der Antragsteller die neuen, veränderten Parameter in das durch den Unterhaltstitel vorgegebene „Raster" einzustellen und im Sinne einer Differenzbetrachtung aufzuzeigen, dass bzw. inwieweit eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist und dass es ihm deshalb unzumutbar ist, an dem unveränderten Titel festgehalten zu werden. Dieser Vortrag setzt zwingend eine ziffernmäßig unterlegte Differenzbetrachtung voraus, weil es für § 313 BGB nicht ausreicht, dass sich lediglich einzelne Parameter geändert haben, wenn daraus nicht auch eine Änderung „per Saldo" resultiert. Bei diesen Grundsätzen bleibt es auch dann, wenn der Antragsteller von einer in der Urkunde vereinbarten Unterhaltsbemessung anhand der „Düsseldorfer Tabelle" auf eine Unterhaltsbemessung nach dem konkreten Bedarf übergehen will; auch dann ist von ihm darzulegen, dass eine wesentliche Veränderung in den der Unterhaltsberechnung ursprünglich zugrunde gelegten Verhältnissen eingetreten ist. Die Erklärung des Antragsgegners, unbegrenzt leistungsfähig zu sein, führt nicht dazu, dass die Darlegung, inwieweit sich die aktuellen Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen bei Errichtung der Unterhaltsurkunde verändert haben, entbehrlich wäre. Auch führt eine solche Erklärung nicht dazu, dass der Unterhaltsbedarf des Kindes ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens oder des Vermögens des unterhaltspflichtigen Elternteils ermittelt werden könnte. Dem Antragsteller ist es verwehrt, einen nicht im Stufenverhältnis stehenden, bezifferten Abänderungsantrag anzubringen und das Gericht aufzufordern, bei der Gegenseite auf der Grundlage von § 235 FamFG die für die Begründetheit des Abänderungsantrags erforderlichen Auskünfte einzuholen, weil mit der Schaffung von § 235 FamFG keine Abkehr von den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast in Unterhaltssachen verbunden ist. Der Unterhaltsanspruch des Kindes umfasst ausschließlich dessen eigenen Bedarf und nicht - wie beispielsweise im schweizerischen Recht nach Art. 285 Abs. 2 ZGB - den Lebensbedarf der primären Betreuungsperson des Kindes. Für das Unterhaltsrecht gilt das Prinzip der Zeitidentität: Da die Bedürftigkeit des Berechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten jeweils zeitgleich in dem Zeitraum vorhanden sein müssen, für den Unterhalt verlangt wird, ist es dem Unterhaltsberechtigten verwehrt, den von ihm behaupteten konkreten Unterhaltsbedarf anhand von Belegen darzustellen, die aus anderen Zeitabschnitten herrühren, für die Unterhalt begehrt wird. Da die Unterhaltsgewährung für ein minderjähriges Kind (lediglich) die Befriedigung seines - ggf. auch gehobenen - Lebensbedarfs bedeutet, aber nicht Teilhabe am Luxus und weil der Grundbedarf eines Kindes u.?a. für Nahrung, Kleidung, Wohn- und Schulbedarf etc. regelmäßig bereits durch die Ansätze der „Düsseldorfer Tabelle" abgedeckt wird, sind vom Kind, das Kindesunterhalt auf der Grundlage einer konkreten Bedarfsberechnung begehrt, etwaige besonders kostenintensive Bedürfnisse aufzuzeigen und von ihm ist darzulegen, welche Mittel zu deren Deckung notwendig sind (KG Berlin, Beschluss vom 26.06.2019 - 13 UF 89/17).

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„... Soweit der Antragsgegner die Verfahrensführungsbefugnis der Antragstellerin rügt, dringt er damit nicht durch. Die Antragstellerin war und ist berechtigt, den Kindesunterhalt im eigenen Namen geltend zu machen. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens lagen die Voraussetzungen des § 1629 Abs. 3 BGB vor, da die Beteiligten getrennt lebten. Diese gesetzliche Verfahrensstandschaft wirkt über die Rechtskraft der Scheidung hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Unterhaltsverfahrens fort (vgl. BGH FamRZ 2009, 494), so dass entgegen der Auffassung des Antragsgegners keine Aufnahme der Kinder im Rubrum erfolgen musste.

Die Antragstellerin ist zudem verfahrensführungsbefugt bezüglich der nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II BGB zunächst auf das Jobcenter übergegangenen Ansprüche und darüber hinaus auch legitimiert, Zahlung an sich zu fordern, da eine wirksame Rückübertragung vorliegt. Mit Vertrag vom 16.2.2015 (Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt) vereinbarte die Antragstellerin mit dem Leistungsträger, dem B A-Kreis, gemäß § 33 Abs. 4 S. 1 SGB II die Rückübertragung der übergegangenen Ansprüche und verpflichtete sich zur gerichtlichen Geltendmachung. Der Senat teilt die gegen die Wirksamkeit der Rückübertragung vorgetragenen Bedenken nicht. Sofern, wie in der Literatur und vereinzelt in der Rechtsprechung (AG Lüdenscheid FamRZ 2002, 1207) vertreten wird, die Alleinvertretungsbefugnis gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB sei auf die Geltendmachung von Unterhalt beschränkt, umfasse jedoch nicht andere Rechtsakte wie den Abschluss von (Rück-)Abtretungsvereinbarungen mit dem Sozialhilfeträger (Schürmann, FF 2016, 105 (115); Palandt/Götz, 77. Aufl. 2018, § 1629 Rn. 24; MüKoBGB/Huber, 7. Aufl. 2017, § 1629 BGB Rn. 81, beck-online) kann dem nicht gefolgt werden. Mit der Regelung des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB weist der Gesetzgeber in Bezug auf die Geltendmachung von Unterhaltssprüchen für gemeinsame Kinder unabhängig von der bestehenden Sorgerechtszuweisung dem Obhutsinhaber die Befugnis zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen Elternteil zu. Dies umfasst auch Annexansprüche wie Prozesszinsen, beschränkt sich also nicht nur auf die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche selbst. Maßgeblich für die Vertretungsbefugnis ist die Obhut des Kindes, weitere Beschränkungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Befugnis zu Geltendmachung des Unterhalts umfasst auch damit verbundene Rechtsgeschäfte, etwa die Erteilung einer Freistellung im Innenverhältnis. Das Alleinvertretungsrecht des betreuenden Elternteils umfasst daher grundsätzlich auch den Abschluss einer Rückabtretungsvereinbarung (Klinkhammer in: Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, § 8 Unterhalt und Sozialleistungen Rn. 274, beck-online; FA-FamR/Diehl, 11. Aufl. 2017, 14. Kap. Rn. 226 zu § 7 UVG).

Dies kann letztlich jedoch in vorliegenden Fall dahinstehen, da der Rückübertragungsvertrag ohnehin nur wirksam zwischen dem Leistungsträger und der Antragstellerin geschlossen werden konnte und auch geschlossen wurde und nicht zwischen dem Leistungsträger und den Kindern. Nach § 33 Abs. 4 S. 1 SGB II können die übergegangenen Ansprüche auf die Empfängerin oder den Empfänger der Leistungen rückübertragen werden. Nach § 38 Abs. 1 SGB II besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte bevollmächtigt ist, SGB II-Leistungen auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen entgegenzunehmen. Sozialrechtlich ist damit allein die Antragstellerin (Mutter) Empfängerin der Leistungen und damit Vertragspartnerin des Rückübertragungsvertrags. Sie handelt dabei nicht als gesetzliche Vertreterin der Kinder, sondern nur für sich selbst, als Empfängerin der Leistungen im Sinne des § 33 Abs. 4 S.1 SGB II.

Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, der Vertrag enthalte unwirksame Regelungen, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. So besteht kein gesetzliches Verbot, dem Empfänger der Leistungen aufzugeben, Verfahrenskostenhilfe zu beantragen. Dem Antragsgegner ist zwar zuzugestehen, dass etliche Vertragspassagen eindeutiger hätten formuliert werden können, jedoch führt dies nicht zu einer Unwirksamkeit der Rückübertragung. Vielmehr wurden die übergegangenen Ansprüche wirksam rückübertragen, sodass die Antragstellerin sowohl zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche als auch zur Beantragung der Zahlung an sich berechtigt ist mit der Folge, dass im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen ist, ob bzw. in welcher Höhe sich der Forderungsübergang vollzogen hat.

Dem Amtsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass der Antragsgegner zur Zahlung von Unterhalt bereits ab September 2013 verpflichtet ist. Er wurde außergerichtlich mit Schreiben vom 18.9.2013 zur Auskunftserteilung aufgefordert, so dass Unterhalt ab September 2013 zu zahlen war. Der Umstand, dass im Stufenantrag im Rahmen der unbezifferten Zahlungsstufe die Zahlung ab Dezember 2013 gefordert wurde, bewirkt keine Begrenzung des Verzuges auf Dezember 2013. Dies folgt schon daraus, dass in der Begründung des Antrages erkennbar Unterhalt ab September 2013 gefordert wird. Auch mit der Bezifferung des Zahlungsantrages, die mit Schriftsatz vom 6.8.2014 erfolgte, wurde Unterhalt ab September 2013 gefordert. Bei dieser Sachlage ist es der Antragstellerin nicht verwehrt, Unterhalt ab September 2013 zu fordern. ..." (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.10.2018 - 4 UF 137/17)

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Bei der Veröffentlichung von Fotos eines Kindes getrenntlebender gemeinsam sorgeberechtigter Eltern auf einer kommerziellen Zwecken dienenden Internetseite handelt es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB (OLG Oldenburg, Beschluss vom 24.05.2018 - 13 W 10/18).

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Im Fall des Wechselmodells ist die Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt auf einen Elternteil gemäß § 1628 BGB vorzugswürdig gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers, weil damit auch die Entscheidungsbefugnis über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens geklärt wird. Der Einsatz eines Ergänzungspflegers ist im Regelfall auch nicht erforderlich, um einen konkreten Interessenkonflikt zu vermeiden (§ 1796 BGB ); regelmäßig liegt nur ein abstrakter Interessengegensatz vor wie auch in allen anderen Fällen, in denen ein Haftungsanteil der Elternteile zu bilden ist oder wenn gleichzeitig Trennungsunterhalt begehrt wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.10.2016 - 6 UF 242/16):

„... Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Wenn Eltern wie im vorliegenden Fall die Sorge für ihre Kinder gemeinsam zusteht, sind sie gemäß § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB auch gemeinsam zur Vertretung der Kinder bei der Geltendmachung von Ansprüchen befugt. Dagegen liegt im Fall der Geltendmachung von Kindesunterhalt den gesetzlichen Regelungen über die Vertretung des Kindes in Unterhaltsverfahren die Vorstellung der alleinigen Betreuung des Kindes durch einen Elternteil und die in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehene Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils zugrunde. Dem entspricht § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB , der vorsieht, dass der Obhutselternteil auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge befugt ist, das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen allein zu vertreten. Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge in Fällen des paritätischen Wechselmodells aber kein Elternteil befugt, in alleiniger Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil geltend zu machen, denn in diesen Fällen betreuen beide das Kind und eine alleinige Obhut i. S. des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nicht (BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 9, m. Anm. Luthin; BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 16, m. Anm. Schürmann). Im Grundsatz müsste dann das Kind vertreten durch beide Elternteile auf der einen Seite seinen Unterhaltsanspruch gegen einen der vertretenden Elternteile auf der anderen Seite geltend machen. Praktisch würde das regelmäßig am Widerstand des Elternteils scheitern, von dem Unterhalt beansprucht werden soll. Es ergeben sich aber auch rechtliche Hindernisse. Bei (noch) verheirateten Eltern besteht grundsätzlich ein Vertretungsverbot, weil es Eltern ebenso wie Vormündern gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 i. V. mit § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB untersagt ist, als Vertreter des Kindes gerichtliche Verfahren gegen ihren Ehegatten zu führen (OLG Hamburg, FamRZ 2015, 859, juris Rz. 3; Beschluss des Senats v. 12.7.2016 - 6 UF 60/16). Wenn die Eltern wie vorliegend geschieden sind, können sie das Kind wegen des sich aus §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2 und 181 BGB ergebenden Verbots der In-Sich-Vertretung im Rechtsstreit nicht gemeinsam bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen einen von ihnen vertreten.

2. Der BGH hat in zwei Entscheidungen in Fällen geschiedener Eltern in nicht tragenden Teilen der Gründe ohne nähere Erläuterung ausgeführt, bei gleichmäßiger Betreuung eines Kindes gemeinsam sorgeberechtigter Eltern müsse der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil müsse beim FamG beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen (BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 16, m. Anm. Schürmann; BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 9, m. Anm. Luthin). Diese Ausführungen sind in der Literatur weitgehend unhinterfragt übernommen worden (Erman/Döll, BGB, 14. Aufl., § 1629 Rz. 19a; Hamdan, in: juris-PK, § 1629 BGB Rz. 70; Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, 2015, § 1629 Rz. 336; MünchKomm/Huber, BGB, 6. Aufl., § 1629 Rz. 77; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Aufl., § 1629 BGB Rz. 6).

Der Senat hält den Lösungsweg über § 1628 BGB für vorzugswürdig, weil der BGH in seiner früheren Rechtsprechung die der Führung eines Unterhaltsverfahrens vorausgehende Entscheidung über das Ob seiner Einleitung als von der Vertretung des Kindes im Verfahren getrennt zu beurteilenden Teil der Ausübung der elterlichen Sorge angesehen hat (BGH, FamRZ 1975, 162 = NJW 1975, 345 Rz. 12-16; BGH, FamRZ 2009, 861 Rz. 30). Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den mitsorgeberechtigten Elternteil führt gemäß § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB unmittelbar zur Alleinvertretungsbefugnis des anderen Elternteils. Die Einsetzung eines Ergänzungspflegers - so ihre noch anzusprechenden Voraussetzungen nach § 1629 Abs. 2 S. 3 i. V. mit § 1796 BGB überhaupt erfüllt sind - würde die Frage über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens noch ungeklärt lassen.

3. Der Beschwerde liegt die in jüngster Zeit in der Literatur vertretene Auffassung zugrunde, für die Geltendmachung von Unterhalt für durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern im Wechselmodell betreute Kinder sei zur Vermeidung von Interessenkonflikten immer ein Ergänzungspfleger einzusetzen (vgl. Götz, FF 2015, 146, 149; Seiler, FamRZ 2015, 1845, 1850). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar ist zuzugestehen, dass ein abstrakter Interessengegensatz zwischen dem vertretenden Elternteil und dem Kind nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn Kinder von beiden Eltern zu gleichen Teilen betreut werden, sind die zu ihrer Vertretung bei der Geltendmachung von Unterhalt berechtigten Elternteile immer auch in eigenen Interessen berührt. Wenn bei aufgeteilter Betreuung kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt, steht den Kindern gegen beide ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den diese gemäß § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (BGH, FamRZ 2014, 917 Rz. 29, m. Anm. Schürmann; BGH, FamRZ 2006, 1015 Rz. 16, m. Anm. Luthin). Erst im Ergebnis der Saldierung der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen dem auf ihn und den anderen Elternteil [entfallenden Anteil] als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (vgl. Niepmann/Schwamb, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 13. Aufl., Rz. 175a; Wendl/Dose/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 2 Rz. 450).

Der vertretende Elternteil mag deshalb geneigt sein, den eigenen Haftungsanteil möglichst gering anzusetzen. Ähnliche Interessengegensätze nimmt die unterhaltsrechtliche Praxis jedoch üblicherweise hin, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge über § 1629 Abs. 2 S. 3 i. V. mit § 1796 BGB gegeben hätten. Anzusprechen sind in diesem Zusammenhang die Fälle, in denen der vertretungsberechtigte Elternteil neben Unterhaltsansprüchen der Kinder auch eigene Unterhaltsansprüche erhebt und deshalb geneigt sein könnte, für sich auf Kosten der Kinder höheren Unterhalt zu erstreiten (vgl. Niepmann/Schwamb, a. a. O.). Vergleichbar sind auch die Fälle, in denen der vertretungsbefugte Elternteil wegen eines erheblichen Einkommensunterschieds (vgl. BGH, FamRZ 2013, 1558, m. Anm. Maurer) oder wegen der Gefährdung des angemessenen Selbstbehalts des in Anspruch genommenen Elternteils (vgl. BGH, FamRZ 2011, 1041, m. Anm. Hoppenz, S. 1045, sowie Anm. Volmer, S. 1647) mit für den Barunterhalt haftet. Im vorliegenden wie auch in den vergleichbar gelagerten Fällen hat nach Auffassung des Senats zu gelten, dass ein Vertretungsausschluss nach § 1796 BGB als Eingriff in die elterliche Sorge nicht ohne Weiteres wegen eines abstrakten Interessengegensatzes erfolgen darf, sondern einen im Einzelfall festzustellenden konkreten Interessengegensatz voraussetzt BGH, FamRZ 2008, 1156 Rz. 16, m. Anm. Zimmermann; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 1382 Rz. 5; Palandt/Götz, BGB, 75. Aufl., § 1796 Rz. 2; Erman/Saar, BGB, 14. Aufl., § 1796 Rz. 1; Staudinger/Veit, BGB, 2014, § 1796 Rz. 6).

In den dargestellten unterhaltsrechtlichen Interessenkollisionen wird dem vertretenden Elternteil in der Regel verantwortungsbewusstes und die Interessen der Kinder vor die eigenen stellendes Handeln zugetraut. Anhaltspunkte für einen erheblichen Interessengegensatz zwischen der Mutter und den Kindern bestehen im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil das Einkommen der Mutter den angemessenen Selbstbehalt in sehr viel geringerem Maß überschreitet als das des gut verdienenden Vaters. ..."

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Es ist nicht geboten, ein knapp 3jähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören, bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren. Eine Entscheidung über das religiöse Bekenntnis löst nicht das Spannungsverhältnis, welches durch die Konfrontation des Kindes mit den unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung von Mutter und Vater bedingt ist. Es obliegt den Eltern, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis walten zu lassen und das verstandesmäßig noch nicht gereifte Kind insoweit keinen unnötigen Spannungen auszusetzen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.2016 - 20 UF 152/15).

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Bei gemeinsamer elterlicher Sorge unterfällt die Entscheidung, mit dem Kind eine Urlaubsreise in die Türkei durchzuführen, unter den gegenwärtigen dortigen Verhältnissen nicht der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hält der andere Elternteil eine Urlaubsreise des Kindes in die Türkei für zu gefährlich, kann dies unter den gegenwärtigen dortigen Verhältnissen einer Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB auf den die Reise beabsichtigenden Elternteil entgegenstehen (OLG Frankfurt, Urteil vom 21.07.2016 - 5 UF 206/16).

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Wechselt während des Kindesunterhaltsverfahrens die elterliche Obhut über das minderjährige Kind, so ist im Fall gemeinsamer elterlicher Sorge eine Vertretung durch den bisherigen Inhaber der Obhut nicht mehr zulässig. Der bisherige Inhaber der elterlichen Obhut kann auch nach dem Entfall seiner Vertretungsbefugnis noch eine Erledigungserklärung abgeben. Hingegen ist ein Beteiligtenwechsel jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig (OLG Hamm, Beschluss vom 14.04.2016 - 6 UF 54/15).

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Leben die verheirateten gemeinsam sorgeberechtigten Eltern voneinander getrennt, kann das Kind seinen Unterhaltsanspruch auch im eigenen Namen, vertreten durch den Beistand, geltend machen. Die §§ 1712 ff. BGB werden nicht durch § 1629 Abs. 3 BGB verdrängt (entgegen OLG Oldenburg (Oldenburg), 2. April 2014, 11 UF 34/14, JAmt 2014, 266 und OLG Celle, 10. April 2012, 10 UF 65/12, JAmt 2012, 599; OLG Schleswig, Beschluss vom 11.07.2014 - 10 UF 87/14).

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Der Anspruch nach § 1598a Abs. 1 BGB ist bewusst niederschwellig ausgestaltet; er gilt unbefristet und ist an keine besonderen Voraussetzungen gebunden (im Anschluss an OLG Karlsruhe, FamRZ 2012, 1734 und OLG München, FamRZ 2011, 1878). Den Interessen des Klärungsberechtigten ist dabei grundsätzlich der Vorrang vor ggfls. anderslautenden Interessen des Kindes einzuräumen. Für eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls i.S.v. § 1598a Abs. 3 BGB genügen daher nicht schon allgemein die Härte, die der Verlust des rechtlichen Vaters ohnehin mit sich bringt, oder kaum vermeidbare psychische Störungen, sondern nur außergewöhnliche Umstände, welche atypische, besonders schwerwiegende Folgen für das Kind auslösen (im Anschluss an OLG Karlsruhe, FamRZ 2012, 1734 und Beschluss vom 13. März 2012, 2 WF 39/12, zitiert nach Juris). Der in § 1629 Abs. 2a BGB geregelte Ausschluss des Vertretungsrechts bezieht sich lediglich auf das gerichtliche Verfahren nach § 1598a Abs. 2 BGB, nicht aber die außergerichtliche Zustimmungserklärung nach § 1598a Abs. 1 BGB. Dem außergerichtlich seine nach §§ 1598a Abs. 1, 1629 BGB für das Kind erforderliche Einwilligung verweigernden Elternteil kann daher trotz seiner nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 FamFG notwendigen Beteiligung an dem gerichtlichen Verfahren nach § 1598a Abs. 2 BGB für dieses Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht bzw. unter Mutwilligkeitsgesichtspunkten versagt werden (in Abgrenzung zu OLG Celle, FamRZ 2012, 467; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.06.2013 - 13 WF 522/13).

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Der Antrag des anfechtungsberechtigten Kindes auf Anfechtung der Vaterschaft setzt die Entscheidung der insoweit sorgeberechtigten Person über die Ausübung des materiellen Gestaltungsrechts voraus (BGH FamRZ 2009, 861 ff.). Bei gemeinsamer elterlicher Sorge kann ein Elternteil allein eine solche Entscheidung für das Kind nicht treffen. In diesem Fall ist der Antrag des Kind als unzulässig abzuweisen (OLG Celle, Beschluss vom 25.06.2012 - 15 UF 73/12).

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Betrifft ein Sorgerechtsverfahren - wie bei der familiengerichtlichen Genehmigung einer Erbausschlagung - ausschließlich Vermögensangelegenheiten, so bedarf es bei Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kindern der Bestellung eines Ergänzungspflegers, die durch Bestellung eines Verfahrensbeistands nicht ersetzt werden kann (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 7. September 2011, XII ZB 12/11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.06.2012 - 6 UF 148/11).

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Soweit für minderjährige Kinder gem. § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB der obhutsausübende Elternteil als Prozessstandschafter tätig sein muss, ist eine Beistandschaft für die Kinder gem. § 1713 Abs. 1 BGB ausgeschlossen (Anschluss AG Regensburg, Urteil vom 24. April 2003, JAmt 2003, 364; entgegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. November 2006, JAmt 2007, 40). Macht das Jugendamt unter Berufung auf das Bestehen einer Beistandschaft im Namen minderjähriger Kinder Unterhaltsansprüche geltend, obwohl zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung die Voraussetzungen für eine Beistandschaft nicht vorliegen (hier: jedenfalls Wegfall des Obhutsverhältnisses des die Beistandschaft beantragenden Elternteils), haftet es als vollmachtloser Vertreter für die Verfahrenskosten (OLG Celle, Beschluss vom 08.05.2012 - 10 UF 65/12).

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Die allein sorgeberechtigte Mutter ist nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO an der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ihres minderjährigen Kindes gehindert, wenn sie nicht Beschuldigte, sondern Geschädigte der fraglichen Straftat ist. Von einer Entziehung der Vertretungsmacht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 2 BGB ist abzusehen, wenn trotz eines konkret festgestellten oder erkennbaren Interessenwiderstreits zu erwarten ist, dass der Sorgerechtsinhaber dennoch im Interesse seines Kindes handeln wird ( OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.03.2012 - 2 WF 42/12):

„... I. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des am ...2005 geborenen minderjährigen J. Z. Sie ist Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge. Leiblicher Vater des Kindes ist deren früherer Freund, D. B., mit dem die Kindesmutter drei weitere jüngere Kinder hat. Seine Vaterschaft hat D. B. bislang nicht förmlich anerkannt.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim führt nach einer Strafanzeige der Mutter unter dem Aktenzeichen …/12 ein Ermittlungsverfahren gegen D. B. (im Folgenden: Beschuldigter) wegen gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, Entziehung Minderjähriger und Bedrohung. Dem Beschuldigten wird insoweit unter anderem vorgeworfen, er habe am 05.11.2011 drei der gemeinsamen Kinder unter gegen sie gerichteten Todesdrohungen gegen den Willen der Mutter mitgenommen und sie erst gegen 23.30 Uhr desselben Tages wieder zurückgebracht. Weiter wird ihm vorgeworfen, er habe die Kindesmutter am 02.01.2012 im Beisein der Kinder gewürgt, so dass diese Todesangst gehabt habe, nicht mehr habe atmen können und für eine nicht näher bestimmte Zeitspanne das Bewusstsein verloren habe; von der Mutter habe der Beschuldigte erst abgelassen, nachdem J. ihn angefleht habe, seine Mutter am Leben zu lassen. Darüber hinaus wird dem Beschuldigten neben weiteren Straftaten vorgeworfen, er habe dem Vater der Kindesmutter am 16.01.2012 aus Verärgerung mit einem Elektroschocker mehrere Stromschläge versetzt.

Am 19.01.2012 hat das Amtsgericht Mannheim unter dem Aktenzeichen …/12 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen.

Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, J. Z. in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten als Zeugen zu den Themenbereichen „Bedrohung/Körperverletzung von März/April 2011", „Entziehung der Kinder vom 05.11.2012", „gefährliche Körperverletzung vom 02.01.2012" und „Besitzverhältnisse am Elektroschocker" richterlich vernehmen zu lassen. Die Mutter hat einer Vernehmung ihres Sohnes J. zugestimmt.

Am 14.02.2012 hat die zuständige Ermittlungsrichterin J. richterlich vernommen, um dessen Verstandesreife und Aussagebereitschaft zu überprüfen. J. hat dabei der Richterin nach (kindgerechter) Erklärung, dass er keine Angaben zu machen brauche und dass man seinen „Papa" möglicherweise aufgrund seiner Aussage bestrafen werde, mitgeteilt, dass er etwas erzählen wolle. Ausweislich des Vermerks der Staatsanwaltschaft vom 15.02.2012 bestand aufgrund des per Video übertragenen Vorgesprächs mit J. bei den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend der Eindruck, dass mit Blick auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes nicht mit Sicherheit von der notwendigen Verstandesreife von J. ausgegangen werden könne.

Mit Antrag vom 15.02.2012 hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht beantragt, für J. Z. eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO" anzuordnen und das Jugendamt Rhein-Neckar-Kreis, Herrn A., als Ergänzungspfleger zu bestellen.

Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat diesem Antrag mit Beschluss vom 15.02.2012 entsprochen und gemäß §§ 1909, 1911 BGB eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Vertretung des Pflegebefohlenen im Verfahren …/12 der Staatsanwaltschaft Mannheim, insbesondere für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts" angeordnet; das Jugendamt des Rhein-Neckar-Kreises wurde als Pfleger bestellt. Der Ergänzungspfleger, Herr A., hat in der Folge angekündigt, das Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben.

Gegen den Beschluss des Rechtspflegers vom 15.02.2012 hat die Mutter mit Anwaltsschriftsatz vom 01.03.2012, beim Amtsgericht eingegangen am 05.03.2012, Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt die Mutter aus, die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft lägen nicht vor. Insbesondere sei sie nicht gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO von der Vertretung ihres Sohnes und der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ausgeschlossen, weil sie nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens sei. Die Zustimmung des Beschuldigten sei für eine Vernehmung von J. nicht erforderlich, weil der Beschuldigte mangels Anerkennung seiner Vaterschaft nicht einmal rechtlicher Vater des Kindes sei, schon gar nicht aber Inhaber des Sorge- und Vertretungsrechts. Eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO sei schon mangels Regelungslücke und mangels vergleichbarer Interessenlage ausgeschlossen. Das Familiengericht habe auch nicht geprüft, ob J. aussagebereit sei. Schließlich habe J., wie in der von ihr mit Schriftsatz vom 20.03.2012 vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie -psychotherapie bestätigt werde, die nötige Verstandesreife, um über seine Aussagebereitschaft selbst zu entscheiden.

Die Mutter beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen vom 15.02.2012 über die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für das Kind J. Z. aufzuheben, hilfsweise, den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abzuändern, dass ein anderer Mitarbeiter des Jugendamtes als Ergänzungspfleger bestellt wird.

Der Beschwerde der Mutter hat das Amtsgericht nicht abgeholfen (Entscheidung des Rechtspflegers vom 06.03.2012). Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, es bestehe ein Interessenkonflikt der Mutter als Geschädigter einerseits und als Inhaberin der elterlichen Sorge andererseits.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Vernehmungsprotokoll und die Beschlüsse des Amtsgerichts, die bei den Akten befindlichen Auszüge aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie auf die Schriftsätze des Verfahrensbevollmächtigten der Mutter einschließlich der vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II. 1. Die Beschwerde der Mutter ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft liegen nicht vor.

Für Personen, die unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft stehen, ist gemäß § 1909 Abs. 1 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen, soweit die Eltern oder der Vormund an der rechtlichen Vertretung verhindert sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Mutter ist als alleinige Inhaberin des Sorgerechts (§ 1626a Abs. 2 BGB) an der ihr nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB alleine zustehenden Vertretung ihres Kindes J. im Bereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den leiblichen Vater des Kindes nicht gehindert.

a) Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht einem minderjährigen Zeugen in Ermittlungsverfahren gegen Verwandte gerader Linie ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Hat der Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so darf er nur vernommen werden, wenn er zur Aussage bereit ist und auch sein gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens der erforderlichen Verstandesreife des minderjährigen Zeugen ist das Oberlandesgericht an die Einschätzung der vernehmenden Stelle gebunden (vgl. OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 1996, m.w.N.). Von der erforderlichen Verstandesreife kann hiernach bei J. nicht ausgegangen werden, nachdem die Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsrichterin letzte Zweifel an der nötigen Verstandesreife des Kindes nicht ausgeräumt sahen; auf die Einschätzung der Mutter des Kindes und des von ihr zu Rate gezogenen Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie -psychotherapie kommt es insoweit nicht an.

b) Für eine Vernehmung von J., der ausweislich des richterlichen Vernehmungsprotokolls vom 14.02.2012 aussagebereit ist, bedarf es daher der Zustimmung seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin.

aa) Die Mutter ist vorliegend nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gehindert. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts kann der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen Zeugen gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nur dann nicht entscheiden, wenn er selbst - oder im Falle der gemeinsamen Vertretung durch beide Eltern der andere Elternteil - Beschuldigter des Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Mutter ist gemäß § 1626a Abs. 2 BGB Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge für J. und damit gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB seine alleinige gesetzliche Vertreterin. Da sie nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens ist, ist sie an der Vertretung von J. bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 Abs. 1 StPO nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO gehindert.

bb) Die Regelung in § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch nicht analog auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Umstritten ist bereits, ob die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf den Fall entsprechend angewendet werden kann, dass der gesetzliche Vertreter mit dem Beschuldigten verheiratet ist (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O., 1996 f., m.w.N.). Die überwiegende Auffassung geht dabei unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut und das Fehlen einer Regelungslücke davon aus, dass eine entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die vorstehend genannte Fallgestaltung ausscheidet (LG Berlin, FamRZ 2004, 905, m.w.N.; OLG Nürnberg, a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 52 Rn. 20).

Erst Recht scheidet jedoch eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf Fälle der vorliegenden Art aus, in denen der gesetzliche Vertreter nicht Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist, sondern Geschädigter der fraglichen Straftat. Eine Ausweitung des Regelungsbereichs des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO im Wege richterlicher Rechtsfortbildung verbietet sich mit Blick auf die Grundrechtsrelevanz des damit verbundenen Eingriffs in das elterliche Vertretungs- und Sorgerecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) schon deshalb, weil § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO hierfür keine Grundlage bietet. Der klare und unzweideutige Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO erlaubt eine erweiternde oder analoge Auslegung, für die ein entsprechender Wille des Gesetzgebers auch nicht erkennbar ist, nicht. § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO enthält gerade keine zu verallgemeinernde Regelung in dem Sinne, dass die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts durch den gesetzlichen Vertreter ausscheidet, wenn bei diesem ein Interessenkonflikt besteht oder zu befürchten ist. Die Vorschrift regelt ausschließlich den speziellen Fall, dass der gesetzliche Vertreter oder (mindestens) einer der beiden gemeinsam zur gesetzlichen Vertretung berechtigten und verpflichteten Elternteile des Zeugen Beschuldigter eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist und damit nicht nur einem, sondern dem denkbar größten Interessenkonflikt unterliegt.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der engen Fassung des Wortlauts des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO um ein Redaktionsversehen handeln und damit eine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Vielzahl möglicher Interessenkonflikte des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Zeugen in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren auf der Hand liegt und gerade der Fall, dass der gesetzliche Vertreter Opfer der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat ist, in der Rechtswirklichkeit nicht selten auftritt; eine diesbezügliche Regelung hätte sich mithin aufgedrängt, wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte. Der engen Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist daher im Gegenteil zu entnehmen, dass im Regelfall - auch bei bestehendem Interessenkonflikt - dem gesetzlichen Vertreter die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen anvertraut ist und überlassen bleiben soll. Dies ergibt sich letztlich auch daraus, dass eine Entziehung der Vertretungsmacht des sorgeberechtigten Elternteils gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn ein erheblicher Interessengegensatz vorliegt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der sorge- und vertretungsberechtigte Elternteil deshalb nicht mehr im Interesse des Kindes entscheiden kann (vgl. MünchKommBGB/Huber, 6. Aufl., § 1629 Rn. 56).

c) Die Mutter ist an der Vertretung ihres Kindes bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 StPO auch nicht deshalb verhindert, weil ihr insoweit die gesetzliche Vertretung gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB zu entziehen ist.

Die angefochtene Entscheidung ist nicht im Sinne einer Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB für den Teilbereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts zu verstehen, sie ordnet lediglich eine Ergänzungspflegschaft an. Der Rechtspfleger wäre zwar gemäß § 3 Nr. 2a RPflG für eine Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB funktional zuständig gewesen, weil eine Ausnahme von der Zuständigkeit des Rechtspflegers für Kindschaftssachen nach § 14 RPflG nicht vorliegt (vgl. BGH NJW 2009, 1496 ff.). Eine solche Entscheidung wurde jedoch nicht getroffen. Durch den Beschluss vom 15.02.2012 wurde eine Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht weder ausdrücklich noch konkludent angeordnet. Eine Entziehung des elterlichen Vertretungsrechts nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB wurde von der Staatsanwaltschaft auch nicht beantragt.

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht für den Bereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 StPO liegen auch nicht vor. Gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB kann das Familiengericht den sorge- und vertretungsberechtigten Eltern die Vertretung des Kindes für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten nur dann entziehen, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse der Eltern oder einer der in § 1795 Nr. 1 BGB bezeichneten Personen in erheblichem Gegensatz steht. Zweck des § 1796 Abs. 1 und 2 BGB ist es, Loyalitätskonflikte, wie sie typischerweise bei Interessengegensätzen entstehen können, zu vermeiden. Ein erheblicher Interessengegensatz ist dabei gegeben, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können (MünchKommBGB/Huber, a.a.O.). Erforderlich ist hierbei, dass im konkreten Einzelfall besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die sorgeberechtigten Eltern aufgrund eines erheblichen Interessengegensatzes nicht in der Lage sind, das Kindesinteresse in der gebotenen Weise zu berücksichtigen.

Ob ein erheblicher Interessenkonflikt im Sinne des § 1796 Abs. 2 BGB vorliegt, kann jedoch vorliegend dahin gestellt bleiben. Von einer Entziehung der Vertretungsmacht ist nämlich schon dann mit Blick auf den immer strikt zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzusehen, wenn trotz eines konkret festgestellten oder erkennbaren Interessenwiderstreits zu erwarten ist, dass der Sorgerechtsinhaber dennoch im Interesse seines Kindes handeln wird (OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 831; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 51 f. Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, Neubearb. 2007, § 1629 Rn. 284 f.).

Dies ist vorliegend der Fall. Der Senat erwartet eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung der Mutter über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Kindes. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter trotz einer möglichen Interessenkollision nicht zu einer Entscheidungsfindung in der Lage wäre, die sich am Kindesinteresse orientiert, sind nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist dabei mit Blick auf die von der Mutter im Interesse des Kindes zu treffende Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, dass nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass eine Aussage des Kindes in dem Ermittlungsverfahren gegen seinen leiblichen Vater die Interessen des Kindes verletzt. Neben dem Interesse des Kindes, eine erneute Konfrontation mit den belastenden Situationen, die es bezeugen soll, zu vermeiden, und einem möglichen Interesse des Kindes, seinen biologischen Vater nicht belasten zu müssen, kann auch ein erhebliches Interesse des Kindes anzuerkennen sein, durch seine Aussage eine Verurteilung des leiblichen Vaters zu ermöglichen und hierdurch weitere Straftaten gegen sich, seine Geschwister und seine Mutter zu verhindern. Dies gilt vorliegend insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse keine engere sozial-familiäre Beziehung zwischen J. und dem Beschuldigten besteht, sondern sich die Beziehung des Kindes zu seinem leiblichen Vater bislang auf unregelmäßige Besuchskontakte beschränkt hat, die nicht selten von Gewalt gegen die Mutter und Bedrohungen - auch gegen das Kind - geprägt waren. ..."

***

Die Entziehung der Vermögenssorge gem. § 1666 BGB durch den Richter kommt bei einer Gefährdung von Vermögensinteressen nur als letztes Mittel in Betracht, wenn Maßnahmen gem. § 1667 BGB nicht mehr ausreichen. Dies kann nicht dadurch umgangen werden, dass der Rechtspfleger bereits bei jeder denkbaren Vermögensgefährdung einen „erheblichen Interessengegensatz" i.S. von § 1796 BGB annimmt und gem. § 1629 II Satz 3 BGB eingreift (OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.04.2005 - 5 UF 317/04, NJW-RR 2005, 1382).



§ 1631 b Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung

Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

Leitsätze/Entscheidungen:

In Verfahren, die die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Kindes betreffen, welches das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, setzt die Beschwerdebefugnis einer Person seines Vertrauens nach § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG nicht voraus, dass diese von dem Kind benannt worden ist. Zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines minderjährigen Kindes nach § 1631b BGB (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. Juli 2012, XII ZB 661/11, FamRZ 2012, 1556; BGH, Beschluss vom 24.10.2012 - XII ZB 386/12):

„... I. Die Rechtsbeschwerdeführerin wendet sich gegen die Genehmigung der Unterbringung ihres am 30. Juni 1999 geborenen Enkels in einer geschlossenen Abteilung einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung.

Der allein sorgeberechtigten Kindesmutter wurde das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, zur Zuführung zur medizinischen Behandlung, zur Regelung der ärztlichen Versorgung und Schulangelegenheiten sowie zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII entzogen und auf das Stadtjugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Wegen massiver Auffälligkeiten im sexuellen Bereich hatte das Amtsgericht auf Antrag des Stadtjugendamts am 29. September 2011 die Unterbringung des betroffenen Kindes gemäß § 1631 b BGB in einer geschlossenen Intensivgruppe für sexuell übergriffig agierende männliche Kinder und Jugendliche und das nächtliche Einschließen des betroffenen Kindes in seinem Zimmer in der Zeit von 21:30 Uhr bis maximal 8:00 Uhr sowie während der Teamkonferenz für die Dauer von maximal 3 Stunden bis zum 31. März 2012 genehmigt. Die gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerden der Kindesmutter und der Großmutter hatten keinen Erfolg.

Im Dezember 2011 hat der Ergänzungspfleger die Verlängerung der Genehmigung der geschlossenen Unterbringung des betroffenen Kindes beantragt. Nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und der Anhörung des Kindes in Anwesenheit des Verfahrensbeistands und des Verfahrensbevollmächtigten der Großmutter hat das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung des Kindes bis zum 29. Januar 2013 genehmigt.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Großmutter hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde möchte sie die Aufhebung der Genehmigung der Unterbringung erreichen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat eine Beschwerdeberechtigung der Großmutter gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG bejaht und im Übrigen zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung des Kindes gemäß § 1631 b BGB lägen nach den Feststellungen des Sachverständigen vor. Der Sachverständige sei zu der Diagnose gelangt, dass bei dem betroffenen Kind eine Störung der psychosexuellen Entwicklung und eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens vorlägen. Diese Diagnose stütze sich nicht allein auf die Angaben des Kindes, sondern beruhe auf den seit mehreren Jahren dokumentierten Auffälligkeiten in dessen Sexualisierungsverhalten.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen sei von einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung des Kindes insbesondere aufgrund der vorliegenden Störung der psychosexuellen Entwicklung auszugehen. Diese könne unbehandelt zu einer schweren Störung des Sexualverhaltens führen. Eine derartige Entwicklung sei nicht nur zu vermeiden, um eine zukünftige Fremdgefährdung abzuwenden, sondern auch deshalb, weil eine derartige Entwicklung für den Betroffenen selbst mit einem erheblichen und oft lebenslang wiederkehrenden Leidensdruck verbunden sei. Eine solche Entwicklung sei als eine protrahierte erhebliche Gefährdung zu betrachten, zu deren Abwendung dringend eine weitere geschlossene Unterbringung des Kindes erforderlich sei. Eine adäquate Behandlung des Kindes sei derzeit weder in einer offenen Einrichtung noch im ambulanten Rahmen möglich, weil die Gefahr einer Beendigung der Behandlung durch Weglaufen zu befürchten sei und die therapeutischen/pädagogischen Ziele gegenwärtig nur unter den strukturierten Bedingungen eines geschlossenen Bereichs zu erreichen seien. Es gebe keine Alternative zu einer geschlossenen Unterbringung.

Auch die im November 2011 stattgefundenen sexuellen Kontakte mit anderen Jugendlichen aus der Wohngruppe stellten die gesamte Behandlung des Kindes in der Einrichtung nicht in Frage. Ein hundertprozentiger Schutz vor solchen sexuellen Kontakten könne nirgendwo geboten werden, insbesondere auch nicht bei einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung gemäß § 35 SGB VIII, auf die die Großmutter abstelle. Außerdem wäre sowohl die Eigengefährdung des Kindes als auch die Fremdgefährdung im Hinblick darauf, dass sich das Kind selbst keine Grenzen setze und sich auch nicht an die Grenzen sexueller Selbstbestimmung anderer halten wolle, außerhalb einer geschlossenen Einrichtung viel größer. Diese - durch die Kontroll- und Einschlussmaßnahmen so weit wie möglich reduzierte - Kindeswohlgefährdung müsse daher in Kauf genommen werden.

Die zusätzliche Genehmigung des nächtlichen Zimmereinschlusses des Kindes sowie einmal wöchentlich während der Teamsitzung sei erforderlich, um das Kind in den Zeiten, in denen es durch Mitarbeiter der Einrichtung nicht persönlich beobachtet werden könne, einerseits vor Übergriffen durch Dritte zu schützen, andererseits Dritte vor Übergriffen durch das Kind zu schützen. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kind eine Suizid- oder Selbstverletzungsgefahr bestünde, seien nicht ersichtlich. Die Unterbringungsdauer sei auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

a) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Beschwerdebefugnis der Großmutter des betroffenen Kindes gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG bejaht.

aa) In Verfahren, die die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1631 b BGB betreffen (§ 151 Nr. 6 FamFG) sind gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 FamFG die für Unterbringungsverfahren nach § 312 Nr. 1 FamFG geltenden Vorschriften anwendbar. Die Beschwerdeberechtigung anderer Beteiligter als dem betroffenen Kind bestimmt sich daher in diesen Verfahren nach § 335 FamFG, sofern - wie hier - der Beschwerdeführer nicht eine Verletzung eigener Rechte geltend macht. Da § 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG - anders als die in Betreuungsverfahren für die Beschwerdeberechtigung von Beteiligten maßgebliche Bestimmung des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG - eine Beschwerdebefugnis für die Großeltern eines Betroffenen nicht vorsieht, richtet sich im vorliegenden Fall die Beschwerdebefugnis der Großmutter allein nach § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG. Danach steht das Recht der Beschwerde im Interesse des Betroffenen auch einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens zu, wenn diese im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden ist.

bb) Zwar hat das betroffene Kind, wie das Beschwerdegericht richtig erkannt hat, seine Großmutter nicht ausdrücklich als Person seines Vertrauens benannt. Dadurch wird jedoch im vorliegenden Fall ihre Beschwerdebefugnis nicht in Frage gestellt.

§ 167 Abs. 1 Satz 1 FamFG verweist in Verfahren über die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung von Minderjährigen nach § 151 Nr. 6 FamFG uneingeschränkt auf die für die Unterbringung von Volljährigen maßgeblichen Vorschriften der §§ 312 ff. FamFG. Die allgemein für Kindschaftssachen geltenden Vorschriften der §§ 151 ff. FamFG werden daher nach dem Wortlaut der Verweisung in § 167 Abs. 1 Satz 1 FamFG vollständig und abschließend durch die Vorschriften für das Verfahren in Unterbringungssachen ersetzt (MünchKommZPO/Heilmann 3. Aufl. § 167 FamFG Rn. 4; Musielak/Borth FamFG 3. Aufl. § 167 Rn. 2). Die §§ 151 ff. FamFG können daher in einem Verfahren über die Genehmigung einer Unterbringung eines Minderjährigen weder direkt noch entsprechend angewendet werden (MünchKommZPO/Heilmann 3. Aufl. § 167 FamFG Rn. 4).

Allerdings bleibt das Verfahren auch weiterhin eine Kindschaftssache i.S. v. § 151 FamFG. Deshalb können im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Kindeswohls in diesen Verfahren (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078, 1079) bei der Auslegung der Unterbringungsvorschriften die Wertungen, die in den §§ 155 ff. zum Ausdruck kommen, berücksichtigt werden (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Ziegler FamFG 3. Aufl. § 167 Rn. 4).

Bei der Anwendung der §§ 312 ff. FamFG ist insbesondere zu berücksichtigen, dass § 167 Abs. 3 FamFG für die Unterbringung von Minderjährigen eine Einschränkung der Regelung des § 316 FamFG enthält, wonach der betroffene Volljährige in Unterbringungssachen ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig ist (Keidel/Engelhardt FamFG 17. Aufl. § 167 Rn. 8). Minderjährige sind nach § 167 Abs. 3 FamFG in Unterbringungssachen hingegen erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres verfahrensfähig. Bis zu diesem Zeitpunkt können Kinder ihre Verfahrensrechte nicht selbst wahrnehmen. Die in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Wertung, dass es nicht sachgerecht ist, Minderjährige, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Unterbringungsverfahren ihre Verfahrensrechte wahrnehmen zu lassen (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 183), führt bei der Auslegung des § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG dazu, dass von einem Kind, das das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, in einem Verfahren nach § 1631 b BGB auch nicht verlangt werden kann, dass es eine Vertrauensperson ausdrücklich benennt, damit diese gemäß § 315 Abs. 4 Nr. 2 FamFG am Verfahren beteiligt werden kann. In diesem Fall genügt es, wenn das Familiengericht aus den Äußerungen des Kindes oder den übrigen Umständen heraus erkennt, dass eine weitere Person existiert, der das Kind sein Vertrauen schenkt und deren Beteiligung an dem Verfahren im Interesse des Kindes geboten ist. Es steht dann im Ermessen des Familiengerichts, ob es diese Vertrauensperson am Verfahren beteiligt. Wird die Vertrauensperson am Verfahren beteiligt, steht ihr auch die Beschwerdebefugnis nach § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG zu, ohne dass sie von dem Kind benannt worden sein muss.

Diese Voraussetzung hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen. Nachdem der Mutter des Kindes das Sorgerecht teilweise entzogen worden ist, ist die Großmutter die einzige familiäre Bezugsperson des Kindes. Auch während des laufenden Verfahrens hat das Kind den Wunsch, den Kontakt zu seiner Großmutter aufrecht zu erhalten, mehrfach zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus ist durch entsprechende Äußerungen des Kindes gegenüber seinen Erziehern und dem Verfahrenspfleger deutlich geworden, dass es davon ausgeht, seine Großmutter werde seine Interessen in dem laufenden Verfahren wahrnehmen.

Da die Großmutter an dem Verfahren auch beteiligt worden ist, steht ihr das Beschwerderecht gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG zu.

b) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch die Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung des betroffenen Kindes gemäß § 1631 b BGB bejaht.

aa) Nach Satz 1 der vorgenannten Bestimmung bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts. § 1631 b BGB ist durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 1188) durch Einfügung des Satzes 2 konkretisiert worden. Die Unterbringung ist danach zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1631 b Satz 2 BGB). Die Neufassung stellt klar, dass die geschlossene Unterbringung aus Gründen des Kindeswohls erforderlich und verhältnismäßig sein muss. Die Entscheidung des Gerichts hat zugleich dem Freiheitsrecht des Minderjährigen Rechnung zu tragen. Eine geschlossene Unterbringung kommt daher nur als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit in Betracht (vgl. auch Art. 37 Buchstabe b der UN-Kinderrechte-konvention). Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, Gründe für eine geschlossene Unterbringung abschließend aufzuzählen, da diese Gründe zu vielschichtig sind. Das Gesetz nennt aber beispielhaft die Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung. Im Fall der Fremdgefährdung kann die Unterbringung des Kindes geboten sein, wenn das Kind sich sonst dem Risiko von Notwehrmaßnahmen, Ersatzansprüchen und Prozessen aussetzt. Eigen- und Fremdgefährdung sind insoweit eng miteinander verbunden (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11 - FamRZ 2012, 1556 Rn. 19 mwN).

bb) Diesen Maßstäben wird der angegriffene Beschluss gerecht.

Die Unterbringung dient dem Wohl des betroffenen Kindes, weil sie zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung erforderlich ist.

Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachten festgestellt, dass das betroffene Kind an einer Störung der psychosexuellen Entwicklung und des Sozialverhaltens leidet, die unbehandelt zu einer schweren Störung des Sexualverhaltens führen kann. Dies stellt auch die Rechtsbeschwerde nicht in Frage. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann das Kind derzeit weder in einer offenen Einrichtung noch in einem ambulanten Rahmen ausreichend therapeutisch betreut werden. Aufgrund der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen zu den Verhaltensauffälligkeiten des Kindes vor der Unterbringung in der Einrichtung, in der es sich jetzt befindet, durfte das Beschwerdegericht schließen, dass außerhalb einer geschlossenen Unterbringung die Gefahr besteht, dass sich das Kind Dritten gegenüber erneut sexuell auffällig verhält. Aufgrund des vom Sachverständigen dargestellten Krankheitsbildes ist die Annahme des Beschwerdegerichts, das Kind bedürfe einer pädagogischen und therapeutischen Betreuung, die nur im Rahmen einer geschlossenen Einrichtung erbracht werden kann, rechtlich nicht zu beanstanden. Aufgrund des Alters und der bisherigen Entwicklung des Kindes in der Einrichtung bestehen auch gegen den Zeitraum, für den die Unterbringung genehmigt wurde, keine rechtlichen Bedenken.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Verbleib des Kindes in der Einrichtung auch nicht deshalb kindeswohlgefährdend, weil es im November 2011 zu einem sexuellen Übergriff von zwei Jugendlichen aus der Wohngruppe des Kindes gekommen ist. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat es sich hierbei um einen einmaligen Vorgang gehandelt, aus dem die Einrichtung entsprechende Konsequenzen gezogen hat. Weil gegen die beiden Jugendlichen ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, die Überwachungs- und Kontrollmechanismen innerhalb der Wohngruppe verstärkt wurden und weitere vergleichbare Vorfälle in der Folgezeit nicht festgestellt sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Beschwerdegericht annimmt, dass dieser Vorfall den Therapieerfolg nicht insgesamt in Frage stellen kann. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich zudem, dass dieser Vorfall therapeutisch aufgearbeitet werden konnte und die Entwicklung des Kindes in der Einrichtung nicht negativ beeinflusst hat.

cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bieten die Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auch eine ausreichend tragfähige Grundlage für die Beurteilung, ob die Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Einrichtung dem Kindeswohl dient. Der Sachverständige hat seine Diagnose und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht allein auf die Angaben des Kindes gestützt. Ihm standen für die Begutachtung eine Vielzahl von Berichten über das Verhalten und die Auffälligkeiten des Kindes aus Zeiten zur Verfügung, in denen es sich in anderen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen aufgehalten hat. Zudem konnte der Sachverständige auf Berichte der derzeitigen Erzieher des Kindes sowie auf die Angaben des Verfahrenspflegers zurückgreifen. Die eigenen Angaben des Kindes waren daher, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht die alleinige Grundlage für das Gutachten. Inwieweit sich die von dem Kind geschilderten Vorfälle tatsächlich ereignet haben, nur seiner Fantasie entsprungen oder von ihm übertrieben dargestellt worden sind, war für die Erstellung des Gutachtens nicht von entscheidender Bedeutung. Daher bestand für das Beschwerdegericht auch kein Anlass, die Angaben des Kindes durch die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu verifizieren. Im Übrigen zeigen die Äußerungen gegenüber seinen Erziehern und dem Sachverständigen, dass das Kind nicht altersgemäß über Sexualität spricht und stützen damit letztlich die Diagnose des Sachverständigen einer nicht altersgerechten Sexualentwicklung.

3. Mit dem vorliegenden Beschluss erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin, die Wirksamkeit der Genehmigung einstweilen außer Vollzug zu setzen. ..."

*** (OLG)

Bei einem elfjährigen Kind stellt die Notwendigkeit, beim Verlassen der Station einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie einen in üblicher Schalterhöhe angebrachten Türentriegelungsknopf drücken zu müssen, keine genehmigungspflichtige Freiheitsentziehung dar (OLG Celle, Beschluss vom 02.09.2013 - 15 UF 177/13):

„... Die Voraussetzungen des § 1631b S. 1 BGB sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts.

Das Tatbestandsmerkmal der „Unterbringung" ist durch die Fremdplatzierung von P. unzweifelhaft erfüllt (vgl. Veith in: Bamberger/Roth, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Stand 1. November 2011, Edition 28, § 1631b BGB, Rn. 2; Staudinger/Salgo, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Neubearbeitung 2007, § 1631b, Rn. 11).

Eine Unterbringung eines Kindes ist jedoch nur dann genehmigungspflichtig, wenn sie mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist. Eine Freiheitsentziehung ist dann gegeben, wenn eine Maßnahme einem Menschen umfassend den Gebrauch der persönlichen Freiheiten nimmt, indem sie ihm die Möglichkeit entzieht, seinem natürlichen Willen folgend einen Raum zu verlassen (BVerfGE 10, 302, 309 f.; BGHSt 14, 314, 315 f.; 32, 183, 188 f.). Abzustellen ist daher darauf, ob das Kind die tatsächliche Möglichkeit hat, sich frei zu bewegen und selbst zu entscheiden, wohin es möchte (Hamdan in: jurisPK-BGB, 6. Auflage 2012, § 1631b Rn. 3). Maßgebend ist dabei lediglich der eingetretene Erfolg, nicht das eingesetzte Mittel oder der Zweck der Maßnahme (OLG Hamm FamRZ 1962, 302, 309 f.).

In Betracht kommen in erster Linie bauliche und raumgestaltende Maßnahmen wie Gitter, Zäune, Mauern, gesicherte Türen und Fenster sowie die Überwachungs- und Kontrollsysteme zur Verhinderung des Verlassens einer Einrichtung (Staudinger/Salgo, § 1631b Rn. 12). Bei geschlossenen Anstalten oder geschlossenen Abteilungen solcher Einrichtungen liegt regelmäßig eine Freiheitsentziehung vor. Aber auch in einer offenen Einrichtung kann das Festhalten auf einem bestimmten beschränkten Raum eine genehmigungspflichtige Freiheitsentziehung darstellen (BT-Drs. 8/2788, Seite 51).

Nicht genehmigungsbedürftig sind dagegen typische Freiheitsbeschränkungen partieller Art, wie sie zwangsläufig mit der Unterbringung von Minderjährigen in Einrichtungen einhergehen, insbesondere begrenzte Ausgangszeiten, Ausgehverbote, Hausarbeitsstunden oder auch Stuben- bzw. Hausarrest (BT-Drs. 8/2788, Seite 38). Gleiches gilt, wenn Minderjährige die Einrichtung nicht jederzeit verlassen können, z. B. weil das Haus nachts abgeschlossen wird (Staudinger/Salgo, § 1631b Rn. 13).

Bei der Abgrenzung zwischen der genehmigungsbedürftigen Freiheitsentziehung und der genehmigungsfreien Freiheitsbeschränkung verschiebt sich die Grenze mit zunehmendem Kindesalter, ohne dass es bestimmte, feste Altersgrenzen gibt (Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 1631b Rn. 5; Veith, § 1631b Rn. 3). So kann sich eine Maßnahme für ein Kleinkind als Freiheitsbeschränkung darstellen, für einen Jugendlichen jedoch eine Freiheitsentziehung bedeuten. Abzustellen ist dabei darauf, ob die Freiheitsbeschränkung über das in diesem Alter übliche Maß hinausgeht (BT-Drs. 8/2788, S. 51; OLG Düsseldorf NJW 1963, 365, 367).

Die konkreten räumlichen Verhältnisse stellen für P. keine Freiheitsentziehung dar. Er ist nicht gehindert, außerhalb der hier nicht relevanten Nachtzeit, in der die Station abgeschlossen ist, diese zu verlassen, soweit es seinem natürlichen Willen entspricht. Er ist weder durch mechanische Sicherungsmaßnahmen noch durch technische Überwachung daran gehindert, den Türentriegelungsknopf zu drücken und sodann über die Tür die Station 50 zu verlassen und könnte sich sodann im gesamten Haus, auf dem Gelände der Kinder- und Jugendpsychiatrie und darüber hinaus frei bewegen.

Zwar stellt die Notwendigkeit, einen Türentriegelungsknopf zu drücken, gegenüber dem bloßen Öffnen einer Tür mittels der Türklinke ein gewisses Hindernis dar.

Ein tatsächliches Hindernis ist darin jedoch nicht zu sehen, weil der physische und zeitliche Mehraufwand sehr gering ist. Er liegt in dem Erfordernis, zusätzlich im Vorbeigehen einen Taster zu drücken und bedarf zeitlich weniger als eine Sekunde.

Das Hindernis könnte eher in psychischer Hinsicht darin gesehen werden, dass durch das Erfordernis, einen Türentriegelungsknopf zu drücken, eine zusätzliche Hemmschwelle errichtet wird, die vom Kind überwunden werden muss. Dieses subjektive Hindernis geht aber nicht über die pädagogisch wirkenden Maßnahmen hinaus. Auf der Station 50 gibt es feste Ausgangsregeln, die für jedes Kind einsehbar in einem Ausgangsplan zusammengefasst sind. Den dort untergebrachten Kindern ist klar, dass sie sich an diese Ausgangsregel zur Vermeidung pädagogischer Maßnahmen zu halten haben. Solche Regeln sind der Erziehung immanent und notwendig, um die Bedeutung und Notwendigkeit von Grenzziehungen und etwaiger negativer Folgen bei Übertretungen zu erlernen.

Die Situation ist damit vielen anderen Alltagssituationen vergleichbar. So werden regelmäßig im häuslichen Bereich die Eltern bestimmen, ob, wann und wie lange ein Kind das Haus verlassen darf. Gleiches gilt für den schulischen Bereich, in dem es den Kindern regelmäßig untersagt ist, in Pausen den Schulhof zu verlassen. Kommt es in diesen Bereichen zu Regelverletzungen, sieht sich das Kind entsprechenden pädagogischen Maßnahmen, gleich welcher Art, ausgesetzt.

Gleiches gilt für die Station 50, in der das Verlassen der Station ohne vorheriges Abmelden oder entgegen den Festlegungen im Ausgangsplan gleichermaßen zu pädagogischen Maßnahmen wie etwa der Kürzung des Ausgangs führen würde. So sieht auch P. die Notwendigkeit, den Türentriegelungsknopf zu drücken, nicht als Hindernis an. Bei ihm wirken vielmehr die pädagogischen Maßnahmen, da er das Verlassen der Station ohne Bescheid zu sagen als „Abhauen" bezeichnete. Es ist daher festzustellen, dass allein die pädagogisch gesetzten Grenzen und ihre Akzeptanz dazu führen, dass die Station nicht ohne Erlaubnis verlassen wird. Der Türentriegelungsknopf ist dabei ohne Relevanz.

Insofern unterscheidet sich die Station 50 auch nicht von anderen Kinderstationen außerhalb der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auch in Abteilungen für Onkologie, innere Medizin oder Chirurgie dürfen Kinder im Alter von P. die Station nicht ohne Zustimmung des Stationspersonals verlassen.

Auch der Umstand, dass das Stationspersonal geschildert hat, dass eine - wenn auch nicht durchgängige - so jedoch weitreichende Beobachtung der Kinder stattfindet, so dass ein unerlaubtes Verlassen der Station voraussichtlich auffallen würde, ändert hieran nichts, weil Zielsetzung auch hier die Einhaltung bestehender Regeln mit pädagogischen Mitteln ist.

Ebenfalls führt das subjektive Empfinden von P., dass er sich „ein bisschen" eingesperrt fühle, nicht zur Annahme einer Freiheitsentziehung, weil es wie oben dargelegt an der Wesentlichkeit von objektiven Hindernissen, sich frei zu bewegen, fehlt. Er hat dies auf Nachfrage durch den beauftragten Richter auch dahin konkretisiert, dies beruhe auf dem „hohen Zaun" des Gartens. Der beauftragte Richter konnte feststellen, dass es sich hierbei um einen ca. 4 m hohen Stahlgitterzaun handelt, der das als geräumig zu bezeichnende Außengelände der Station vollständig umschließt.

Es ist nachvollziehbar, dass sich hieraus das Gefühl des Eingesperrtseins ergeben kann. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass es für die Frage der Freiheitsentziehung lediglich darauf ankommt, ob sämtliche Möglichkeiten, die Räumlichkeiten seinem freien Willen entsprechend zu verlassen, ausgeschlossen sind. Es kommt dagegen nicht darauf an, ob dies von jedem Ort der Räumlichkeiten gleichermaßen möglich ist. Denn auch bei Hinwegdenken des Zauns wäre aufgrund der dort vorhandenen üblichen Böschungsbefestigung und des Bewuchses ein Verlassen des Geländes in einer Weise erschwert, die über das Hindernis durch den Türentriegelungsknopf weit hinausgeht. ..." (OLG Celle, Beschluss vom 02.09.2013 - 15 UF 177/13)


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Voraussetzung sowohl für die Erteilung als auch für die Verlängerung der familiengerichtlichen Genehmigung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung eines Minderjährigen ist jeweils ein entsprechender Antrag des bzw. der Sorgeberechtigten (OLG Bremen, Beschluss vom 14.01.2013 - 5 UF 1/13).

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Wer (Mit-)Inhaber der elterlichen Sorge ist, muss grundsätzlich angehört werden (§ 167 Abs. 4 FamFG). Auch ein nicht- sorgeberechtigter Elternteil ist nach § 160 FamFG nur dann nicht anzuhören, wenn von der Anhörung eine Aufklärung nicht erwartet werden kann. Im Falle der Genehmigung der vorläufigen Unterbringung eines Minderjährigen ist das Jugendamt Beteiligter (OLG Naumburg, Beschluss vom 07.12.2009 - 8 UF 207/09).

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§ 1631 d Beschneidung des männlichen Kindes

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Leitsätze/Entscheidungen:

„... I. Der Antragsteller wendet sich im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für seinen Sohn auf die Kindesmutter.

1. Aus der Ehe der Kindeseltern ist ein im Jahr 2010 geborener gemeinsamer Sohn hervorgegangen. Im April 2011 trennten sich die Eltern. Seither lebt das Kind mit seiner Mutter in einem Haushalt. Zwischen den Eltern bestehen seit der Trennung erhebliche Streitigkeiten und Konflikte. Durch Beschluss des Amtsgerichts wurde zunächst den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege der einstweiligen Anordnung entzogen und insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet. Im Rahmen des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens wurde - im Einverständnis mit den Eltern - die vorläufige Regelung wieder aufgehoben und bestimmt, dass es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleibt.

a) Einige Monate später wurde der Mutter auf ihren Antrag hin durch Beschluss des Amtsgerichts das Sorgerecht für den Sohn zur alleinigen Ausübung übertragen. Das Gericht ging nach den Ermittlungen in diesem Verfahren davon aus, dass die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter dem Kindeswohl am besten entspreche (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

b) Durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. Dezember 2012 wurde die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter seien gegeben. Die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge, die der Vater mit seiner Beschwerde erstrebe, setze ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus. Daran fehle es hier. Aus dem beiderseitigen Vortrag der Eltern ergebe sich, dass ihre Erziehungsvorstellungen erheblich voneinander abwichen. Insbesondere in der Bedeutung ihrer Religionszugehörigkeit unterschieden sich die Vorstellungen auch nach dem Vortrag des Antragstellers gravierend. Diese grundsätzlichen Unterschiede zeigten bereits erste Folgen in konkreten Kindesangelegenheiten, nämlich bei der Frage der Beschneidung des Kindes und der Ausstellung von Ausweispapieren. Auch wenn die Auswirkungen bislang noch gering erschienen, spreche alles dafür, dass in Zukunft weiterhin die unterschiedlichen Sichtweisen der Eltern ein Miteinander zum Wohl des Kindes nicht zuließen, sondern zu Streitigkeiten führten, in denen das Kind zum Objekt des Streites werde. Vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung und mangelnden Kooperationsbereitschaft erscheine zumindest auf absehbare Zeit eine gemeinsame Elternberatung oder Mediation nicht erfolgversprechend. Die so beschriebene Situation sei auf Dauer dem Wohl des Kindes abträglich. Sei die gemeinsame Sorge der Eltern aufzuheben, komme nur die Übertragung des Sorgerechts auf seine Mutter in Betracht. Für das Kind sei die Mutter seit seiner Geburt und ganz besonders seit der Trennung vom Vater die Hauptbezugsperson.

2. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebt der Antragsteller zur Abwehr schwerer Nachteile (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) die Aussetzung der Beschlüsse des Amts- und Oberlandesgerichts. Die schweren Nachteile bestünden darin, dass dem Kind durch die Beschlüsse des Amts- und Oberlandesgerichts ein Elternteil entzogen und damit auch der Schutz durch diesen vor Eingriffen in seine Grundrechte genommen sei.

Der Antragsteller führt hierzu im Wesentlichen aus, zwischen den Eltern bestünden Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Religion, hier insbesondere bezüglich der Frage, ob der minderjährige Sohn beschnitten werden solle oder nicht. Ausweislich der Entscheidung des Landgerichts Köln (LG Köln, Urteil vom 7. Mai 2012 - 151 Ns 169/11 -, juris) stelle die Beschneidung eines kleinen Jungen eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 in Verbindung mit § 224 Abs. 1 StGB dar. Damit bedürfe es auch im Rahmen der ausnahmsweisen Straffreistellung der Elternteile bei einer Beschneidung aus religiösen Gründen einer gründlichen elterlichen Überlegung, ob sie ihrem Kind diese schmerzhaften Verletzungen im Kleinkindalter zumuten wollten oder ob hiermit bis zu einem späteren Zeitpunkt zu warten sei. Bei Eltern, die diesbezüglich gegensätzliche Auffassungen hätten, sei eine Rechtfertigung dieser gefährlichen Körperverletzung zu verneinen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts diene damit lediglich dazu, in die körperliche Unversehrtheit des Kleinkindes einzugreifen, indem es des Schutzes durch den sorgeberechtigten Vater beraubt werde.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch dann nicht dringend geboten, wenn das erstrebte Ziel auch auf einem anderen Wege, insbesondere durch das Anrufen anderer Gerichte erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 17, 120 <122>; 21, 50 <51>; 29, 120 <125>; 35, 379 <380>; 37, 150 <151>). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller kann zunächst (einstweiligen) Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren suchen.

Der Antragsteller erstrebt beim Bundesverfassungsgericht die Aussetzung der fachgerichtlichen Entscheidungen im Wege der einstweiligen Anordnung, um zu verhindern, dass die Kindesmutter in Ausübung ihres alleinigen Sorgerechts die aus seiner Sicht kindeswohlgefährdende Beschneidung des Kindes vornehmen lässt.

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung des Oberlandesgerichts am 27. Dezember 2012 wäre die Vornahme der Beschneidung des Kindes unter Zugrundelegung der im Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 (LG Köln, Urteil vom 7. Mai 2012 - 151 Ns 169/11 -, juris) vertretenen Auffassung strafbar und der Mutter daher nicht ohne Weiteres möglich gewesen. Mit dem nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts am 28. Dezember 2012 in Kraft getretenen Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (BGBl I 2012 S. 2749), wonach ‚§ 1631d - Beschneidung des männlichen Kindes' in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt wurde, hat die Frage der Rechtmäßigkeit der Beschneidung von männlichen Kindern ausdrücklich eine gesetzliche Regelung erfahren. Danach könnte die Mutter als alleinige Personensorgeberechtigte im Rahmen der Ausübung der Gesundheitssorge gemäß § 1631d Abs. 1 Satz 1 BGB nunmehr grundsätzlich die Beschneidung des Kindes veranlassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es vorliegend zu einer vom Antragsteller abgelehnten Beschneidung des Kindes kommt, dürfte damit gestiegen sein.

Vor diesem Hintergrund ist eine fachgerichtliche Entscheidung über eine einstweilige Verhinderung der vom Antragsteller abgelehnten Beschneidung des Kindes nicht unerreichbar. So könnte der Antragsteller nach § 166 FamFG, §§ 1696, 1671 BGB eine vorläufige Abänderung der Sorgerechtsentscheidung - zumindest in dem für die Beschneidung relevanten Teilbereich der Gesundheitssorge - beantragen. Ferner könnte er bei den Fachgerichten eine Prüfung nach § 1666 BGB mit dem Ziel veranlassen, einstweilen zu verhindern, dass die Mutter die Beschneidung des Kindes vornehmen lässt. Über den Erfolg solcher Anträge müssen zunächst die Fachgerichte nach der aktuellen geltenden Rechtslage entscheiden. Es ist dem Antragsteller auch zumutbar, vorläufigen Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen, da sich aus seinem Vortrag nicht entnehmen lässt, dass die Beschneidung des mittlerweile zweieinhalbjährigen Kindes unmittelbar bevorsteht. ..." (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 13.02.2013 - 1 BvQ 2/13)

*** (OLG)

Zu den Voraussetzungen der summarischen Prüfung nach den §§ 49 ff., 26, 51 Abs. 1 S. 2, 31 FamFG im einstweiligen Sorgerechtsverfahren. Grundsätzlich erlaubt der am 28. Dezember 2012 in Kraft getretene § 1631d Abs. 1 BGB es den sorgeberechtigten Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil, für ein noch nicht selbst urteils- und einwilligungsfähiges, mehr als sechs Monate altes Kind die Entscheidung zugunsten einer nicht medizinisch indizierten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführenden Beschneidung aus autonomen kulturell-rituellen Gründen zu treffen. Auch ein deutlich unter 14 Jahre altes Kind ist bzgl. seiner möglichen eigenen Einwilligungs- und Urteilsfähigkeit durch das Familiengericht jedoch gemäß § 159 Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, denn selbst im Falle dabei nicht feststellbarer eigener Einwilligungsfähigkeit sind die geäußerten Wünsche und Neigungen des Kindes im Rahmen des § 1631d Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung der §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB maßgeblich zu beachten. Der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) haben in einer dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechenden Art und Weise den beabsichtigten Eingriff mit ihm zu besprechen und in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen. Die Entscheidung nach § 1631d Abs. 1 BGB ist nur dann nicht wirksam von den oder dem sorgeberechtigten Elternteil(en) zu treffen, sondern im Streitfall zwischen Eltern zumindest im einstweiligen Anordnungsverfahren auf einen neutralen Ergänzungspfleger zu übertragen, wenn zwischen den Eltern in Streit steht, ob die Beschneidung zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde und sich im Rahmen einer Folgenabwägung kein gänzlich eindeutiges Ergebnis zugunsten der Beschneidung und gegen eine Kindeswohlgefährdung ergibt. Die Frage der Kindeswohlgefährdung ist grundsätzlich auch im Rahmen des § 1631d Abs. 1 BGB am Maßstab des § 1666 BGB zu beantworten. Rein medizinisch-gesundheitliche Bedenken können insoweit nicht maßgeblich sein, da § 1631d Abs. 1 BGB (in Kenntnis des Gesetzgebers von den geringen medizinischen Restrisiken einer ordnungsgemäß durchgeführten Beschneidung) gerade eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Je nach der hohen oder weniger hohen Schutzwürdigkeit des im Vordergrund stehenden Motivs des sorgeberechtigten Elternteils zugunsten der beabsichtigten Beschneidung kann die Schwelle der entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung niedriger als nach dem allgemeinen Maßstab des § 1666 BGB anzusetzen sein. Unabhängig von der Frage einer etwa entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung setzt § 1631d Abs. 1 BGB die Erfüllung einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung voraus: Die Wirksamkeit der Einwilligung der oder des Personensorgeberechtigten in die Beschneidung hängt von einer von ihnen bzw. ihm darzulegenden und nachzuweisenden ordnungsgemäßen und umfassenden Aufklärung über die Chancen und Risiken des Eingriffs durch die mit der Durchführung der Beschneidung beauftragten Person, regelmäßig einen Arzt, ab (OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2013 - 3 UF 133/13).

***

§ 1632 BGB Herausgabe des Kindes; Bestimmung des Umgangs; Verbleibensanordnung bei Familienpflege

(1) Die Personensorge umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält.

(2) Die Personensorge umfasst ferner das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen.

(3) Über Streitigkeiten, die eine Angelegenheit nach Absatz 1 oder 2 betreffen, entscheidet das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils.

(4) Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.

Leitsätze/Entscheidungen:

1a. Kinder haben nach Art 2 Abs 1 und Abs 2 S 1 iVm Art 6 Abs 2 S 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können (zur Schutzverantwortung des Staates vgl BVerfG, 29.07.1968, 1 BvL 20/63, BVerfGE 24, 119 <144>; BVerfG, 19.02.2013, 1 BvL 1/11, BVerfGE 133, 59 <73 Rn. 42>).
1b. Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl BVerfG, 16.01.2003, 2 BvR 716/01, BVerfGE 107, 104 <117>).
1c. Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten. Zwar ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen (Art 6 Abs 2 Satz 1 GG; Art 6 Abs 3 GG). Genügen allerdings helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen zur Zielerreichung nicht, so darf und muss der Staat den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend, ggf sogar dauernd entziehen (vgl BVerfGE 24, 119 <144f>; BVerfG, 24.06.2014, 1 BvR 2926/13, BVerfGE 136, 382 <391 Rn 28>; BVerfG, 19.11.2014, 1 BvR 1178/14 <Rn 23>; stRspr ).
1d. Ob die Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab.
2a. Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht oder nicht mehr für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art 6 Abs 2 S 2 GG grds nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt.
2b. Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insb dann, wenn das Gericht nicht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor (vgl BVerfG, 14.04.2021, 1 BvR 1839/20 <Rn 20>).
3. Zum strengen Kontrollmaßstab bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen, die die Frage der Trennung des Kindes von seinen Eltern oder des Aufrechterhaltens einer Trennung zur Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung betreffen, siehe bereits BVerfGE 136, 382 (391 Rn 28); BVerfG, 03.02.2017, 1 BvR 2569/16 (Rn 52); stRspr.
4. Hier: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Verfahrensbeiständin eines Kleinkindes gegen eine Entscheidung über dessen Rückführung von seinen Pflegeeltern zu seinem Vater (§ 1632 Abs 4 BGB) trotz Gefährdung des Kindeswohls.
4a. Die angegriffene Entscheidung legt nicht hinreichend dar, sich eine ausreichend zuverlässige Grundlage für die Prognose über die dem Kind drohenden Beeinträchtigungen verschafft zu haben, und weicht dennoch von den Empfehlungen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin sowie des Ergänzungspflegers ab (wird ausgeführt).
4b. Zudem übergeht das OLG in seiner Abwägung erhebliche Umstände, die für eine Gefährdung des Kindeswohls bei der Betreuung durch den Vater sprechen (wird insb mit Blick auf Zweifel an der Erziehungsfähigkeit und -willigkeit der im Entscheidungszeitpunkt mit dem Vater zusammenlebenden Mutter des betroffenen Kindes ausgeführt).
5a. Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Vollzug der angegriffenen Rückführungsentscheidung einstweilen außer Vollzug gesetzt wurde, siehe den Kammerbeschluss vom 07.03.2022, 1 BvR 65/22.
5b. Ablehnung des Antrags der im vorliegenden Verfahren äußerungsberechtigten Mutter des betroffenen Kindes (§ 94 Abs 3 BVerfGG) auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels Vorbringens neuer Gesichtspunkte (zum Maßstab: BVerfG, 24.01.1995, 1 BvR 1229/94, BVerfGE 92, 122 <123ff>). (BVerfG, Beschluss vom 05.09.2022 - BvR 65/22, juris-Orientierungssätze)

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„... Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und gibt ihr statt. Die Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. ...

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das betroffene Kind in seinen Grundrechten.

a) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates (aa). Mit den materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung (bb). Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes besteht, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle (cc).

aa) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn seine Eltern ihm nicht den Schutz und die Hilfe bieten, die es benötigt, um gesund aufzuwachsen und sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln (1). Diese Schutzpflicht kann dem Staat gebieten, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine Trennung aufrechtzuerhalten, wenn das Kind in der Obhut seiner Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (2). Die Entscheidung, ob eine Trennung des Kindes von den Eltern geboten ist, verlangt dem Gericht eine Prognose ab und unterliegt darum besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens (3).

(1) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können.

Das Kind, dem die Grundrechte, insbesondere das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als eigene Rechte zukommen, steht unter dem besonderen Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119, <144>; 55, 171 <179>; 57, 361 <382>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Kinder bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln und gesund aufwachsen zu können (vgl. BVerfGE 107, 104 <117>; 121, 69 <92 f.>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit verpflichten den Staat, Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für seine Entwicklung und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 57, 361 <383>; 133, 59 <73 f. Rn. 42>). Diese Schutzverantwortung für das Kind teilt das Grundgesetz zwischen Eltern und Staat auf. In erster Linie ist sie den Eltern zugewiesen; nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht. Dem Staat verbleibt jedoch eine Kontroll- und Sicherungsverantwortung dafür, dass sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern tatsächlich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln und gesund aufwachsen kann (vgl. BVerfGE 133, 59 <74 Rn. 42>).

Werden Eltern der ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Verantwortung nicht gerecht, weil sie nicht bereit oder in der Lage sind, ihre Erziehungsaufgabe wahrzunehmen oder können sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten, kommt das ‚Wächteramt des Staates' nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zum Tragen. Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>; 60, 79 <88>; 72, 122 <134>; 107, 104 <117>).

(2) Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten.

Ob der Staat zum Schutz des Kindes tätig werden muss und darf und welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, bestimmt sich nach Art und Ausmaß der Gefahr für das Kind. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit verpflichtet und berechtigt den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen; vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen. Die Eltern haben ein Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), die Kinder haben ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf elterliche Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), beide sind gemäß Art. 6 Abs. 3 GG besonders dagegen geschützt, voneinander getrennt zu werden (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 29>). Der Staat darf und muss daher zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. Darauf ist er jedoch nicht beschränkt, sondern er darf und muss, wenn solche Maßnahmen nicht genügen, den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend, gegebenenfalls sogar dauernd entziehen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; stRspr).

Der Staat kann verfassungsrechtlich berechtigt (Art. 6 Abs. 3 GG) und verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) sein, zur Wahrung des Kindeswohls die räumliche Trennung des Kindes von den Eltern zu veranlassen oder aufrechtzuerhalten. Das ist dann der Fall, wenn das Kind bei einem Verbleib in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <140>; 136, 382 <391 Rn. 28>; stRspr). Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 - 1 BvR 1178/14 -, Rn. 23, m.w.N.; s. auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

Ist ein Kind, wie hier, seit längerer Zeit bei einer anderen Pflegeperson untergebracht, kann die Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegeperson einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer durch diese Trennung womöglich verursachten Traumatisierung des Kindes gering zu halten (vgl. BVerfGK 17, 212 <221>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 2006/98 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31). Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 68, 176 <187 ff.>; 72, 122 <140>; 75, 201 <217 ff.>; 79, 51 <64>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31).

(3) Ob eine Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt danach regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab. Dem muss die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens Rechnung tragen. Das gerichtliche Verfahren muss geeignet und angemessen sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die vom Gericht anzustellende Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu erlangen. Ob etwa Psychologen als Sachverständige hinzuziehen sind, um die für die Prognose notwendigen Erkenntnisse zu erlangen, muss das erkennende Gericht im Lichte seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).

bb) Mit diesen materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben des Grundgesetzes korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung.

Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 3190/13 -, juris, Rn. 25 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 48 ff.; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen nicht folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor. Zwar schließt die Verfassung nicht aus, dass das Fachgericht im Einzelfall von den fachkundigen Feststellungen und Wertungen gerichtlich bestellter Sachverständiger abweicht. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer abweichenden Einschätzung und Bewertung von Art und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung gelangt. Es muss dann aber eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung haben und diese offenlegen. Ein Abweichen von den gegenläufigen Einschätzungen der Sachverständigen bedarf hier eingehender Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juni 1999 - 1 BvR 1689/96 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 - 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 34). Weicht das Gericht von den Feststellungen und Wertungen weiterer beteiligter Fachkräfte ab (insbesondere Verfahrensbeistand, Jugendamt, Familienhilfe, Vormund), gilt im Grundsatz das Gleiche (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 44 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 - 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 37; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Januar 2016 - 1 BvR 2742/15 -, juris; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

cc) Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes vorliegt, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle.

Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 42, 143 <147 ff.>; 49, 304 <314>). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (vgl. BVerfGE 42, 163 <168>; 79, 51 <63>).

Stellt sich wie hier die Frage der Trennung des Kindes von seinen Eltern zur Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung, besteht wegen des sachlichen Gewichts der teils parallelen, teils gegenläufigen Grundrechte der Beteiligten Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen, zumal die Entscheidung über eine Trennung für alle Beteiligten von existenzieller Bedeutung sein kann (vgl. BVerfGE 60, 79 <90 f.>; 68, 176 <190>; 72, 122 <138 f.>; 75, 201 <221>; 79, 51 <63>; 136, 382 <391 Rn. 28>). Dies gilt auch, wenn das Bundesverfassungsgericht wie hier zu überprüfen hat, ob die Ablehnung einer Trennung des Kindes von seinen Eltern mit der Pflicht des Staates zum Schutz des Kindes vereinbar ist. Bei dieser Sachlage können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 42, 163 <169>; 60, 79 <91>; 68, 176 <190 f.>; 75, 201 <222>; 79, 51 <63>). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich ausnahmsweise auch auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>).

b) Die angegriffene Entscheidung genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Es bestehen mehrere Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Gefahr für das Kind vorliegt, sodass das Gericht mit Rücksicht auf die Art und Schwere der dem Kind drohenden Gefahr bezüglich seiner gegenläufigen Einschätzung besonders hohen Begründungsanforderungen unterliegt (aa). Diese hat es nicht erfüllt. Es weicht ohne hinreichende Begründung und anderweitige verlässliche Grundlage von der Einschätzung der Sachverständigen und anderer am Verfahren Beteiligter ab (bb). Dessen ungeachtet ist die Würdigung des Oberlandesgerichts auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar (cc).

aa) Die Anforderungen an die Begründung einer Rückführung sind hier besonders hoch, weil es - vom Oberlandesgericht näher zu klärende und zu bewertende - Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Kind bei einer Rückkehr in die elterliche Obhut schwerste körperliche Misshandlungen erleiden könnte. In der Vergangenheit ist es bereits zu einer solchen Misshandlung gekommen (neunfacher Rippenbruch, der eine kräftige Gewalteinwirkung voraussetzt), deren Umstände nicht aufgeklärt sind, für die die Eltern indessen auf die ein oder andere Art für verantwortlich gehalten werden. Das Risiko einer neuerlichen schweren körperlichen Misshandlung realisiert sich, wenn es denn eintritt, nicht in einer prozesshaften Entwicklung, die beobachtet und nachträglich aufgehalten werden könnte; der Schadenseintritt ist vielmehr unumkehrbar. Eine Rückführung verlangt unter diesen Umständen ein hohes Maß an Prognosesicherheit, dass dieser Schaden nicht eintreten wird, was sich in hohen Begründungsanforderungen niederschlägt.

bb) Das Oberlandesgericht weicht mit der Verneinung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr von der - von anderen Beteiligten (insbesondere Verfahrensbeiständin und Jugendamt) im Wesentlichen geteilten - Einschätzung der Sachverständigen (1) ab, ohne dies hinreichend zu begründen (2) und insbesondere ohne darzulegen, inwiefern es anderweitig über eine verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung verfügt (3).

(1) Die Sachverständige legt im Befund ihres Gutachtens ausführlich dar, wie sie aufgrund der in der Begutachtung gewonnenen Daten die Entwicklung und Erziehungsbedarfe des Kindes, die Bindungs- und Beziehungsstrukturen sowie die Erziehungsfähigkeit der Eltern einschätzt. Zusammenfassend sieht sie ein Risiko einer erneuten Misshandlung des Kindes und bezweifelt, dass die aus ihrer Sicht eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern ausreicht, dem nach ihrer Einschätzung erhöhten erzieherischen Bedarf des Kindes gerecht zu werden:

‚… prognostisch besteht … ein erhöhter erzieherischer Bedarf und eine dauerhaft erhöhte Fragilität durch die Frühgeburtlichkeit und die erfahrene Beeinträchtigung (wiederholte Klinikaufenthalte, wechselnde Betreuungspersonen und Umgebungsbedingungen, Frakturen mit einhergehenden erheblichen Schmerzen, bei welchen am ehesten von Misshandlungen durch eine Betreuungsperson ausgegangen werden kann).'

‚Unter der Prämisse einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil ist von einem wesentlichen Wiederholungsrisiko auszugehen, hier mit potentiell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingt noch erhöhten Schutz- und Betreuungsbedarfs bzw. fehlender Möglichkeit zum selbständigen Schutz des Kleinkindes. Neben den Anforderungen an elterliche, insbesondere … mütterliche Belastbarkeit durch eine ganztätige Betreuung des Kindes kämen weitere Belastungen auf die Mutter durch die zu erwartende Unruhe des Kindes aufgrund des Bezugspersonen- und Umgebungswechsels zu, was die Kapazitäten der Familie noch zusätzlich beanspruchen würde. Elterliche Überforderungen mit nochmaliger Erhöhung eines etwaigen Misshandlungsrisikos können in der Gesamtschau nicht ausgeschlossen werden, wenn die Eltern die alleinige Verantwortung für das Mädchen trügen.

Bei beiden Eltern ergaben sich Hinweise auf Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit. Eine von einem Elternteil ausgehende unmittelbare Gefährdung des Kindes ist nicht auszuschließen. Das Risiko lässt sich durch aufsuchende Hilfen nicht ausreichend kompensieren.'

‚Sachverständigerseits werden in der Gesamtschau bei den Eltern wesentliche Risikofaktoren gesehen, welche besonders vor dem Hintergrund des bestehenden Missbrauchsbefundes durch die Rechtsmedizin ernst zu nehmen sind. Für den Fall einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil, beispielsweise als Ausdruck der Reinszenierung eigener traumatischer Kindheitserfahrungen, ist das Risiko neuerlicher Übergriffe deutlich erhöht. Insbesondere ist die Gefahr impulsiver plötzlicher Übergriffigkeit in Erwägung zu ziehen, besonders in Überforderungssituationen wie bei anhaltendem Weinen des Kindes, Trotzreaktionen bei zunehmendem Alter, ausgeprägten Explorationswünschen etc.

Angesichts der, wenn auch sicherlich situativ mitbedingten, eingeschränkten Offenheit der Eltern, der, soweit beurteilbar bestehenden Zurückhaltung, eigene Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste oder Überforderungen offen zu machen, sowie der besonders bei der Mutter bedenklichen Selbstwahrnehmung erscheint prognostisch unsicher, ob und inwieweit die Eltern, beispielsweise in einem stationären Setting, zu einer ausreichend offenen Haltung, eigenständigem Benennen von Unsicherheiten und Überforderung und auch dem Einfordern von Unterstützung finden könnten.'

‚Aus fachlicher Sicht ist derzeit nur eingeschränkt beurteilbar, ob und inwieweit die Eltern unter Alltagsanforderungen und insbesondere schwierigen Situationen reagieren würden. … Aus fachlicher Sicht ist es angesichts der auszumachenden erhöhten Risikosituation … empfehlenswert, dass sich die Eltern zunächst gemeinsam mit L. einer stationären Diagnostik unterziehen. … Prognostisch kann sich erst im Zuge eines begleiteten diagnostischen Settings zeigen, inwieweit unter Alltagsbelastung Hinweise auf wesentliche Überforderung und einhergehend konkret gefährdende Situationen auftreten bzw. ob und inwieweit die Eltern tatsächlich längerfristig zur Reflexion und Annahme von Hilfen bzw. Korrektur bereit sind. Es sollte ein stationäres Setting gefunden werden, welches dem Kind aber auch den Eltern durch engmaschige Begleitung Schutz, Anleitung und Korrektur bietet.'

Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts äußerte die Sachverständige in der zweiten mündlichen Verhandlung, ‚dass sie in jedem Fall eine 24-Stunden-Betreuung für erforderlich halte; auch nachts'.

(2) Mit dieser Einschätzung der Sachverständigen und den von der Sachverständigen zugrunde gelegten Befunden setzt sich das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht hinreichend auseinander und legt auch nicht dar, weshalb es der Einschätzung der psychologischen Sachverständigen nicht folgt. Das Gericht beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, es vermöge ‚konkrete Anhaltspunkte für wiederholt drohende elterliche Gewalt … weder dem Sachverständigengutachten noch dem übrigen Inhalt der familiengerichtlichen staatsanwaltlichen oder jugendamtlichen Akten zu entnehmen'. Die Sachverständige hat indessen zu einer Reihe von Faktoren nähere Ausführungen gemacht, die nach ihrer Einschätzung auf Risiken aufgrund der Biografie und der Persönlichkeit beider Eltern hindeuten: etwa die unbemerkte oder verleugnete Schwangerschaft, massive Gewalterfahrungen der Kindesmutter durch ihre eigene Mutter, die nicht durchgehend behandelte Epilepsieerkrankung der Kindesmutter, die fragliche Epilepsieerkrankung und die ebenfalls nicht weiter aufgeklärte Alkoholproblematik des Vaters, Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit insbesondere im Bereich emotionaler Schwingungsfähigkeit und Feinfühligkeit, fehlende Offenheit auch gegenüber ‚eigenen lebensgeschichtlichen Lerndefiziten und eigenen potentiell traumatisierenden Erfahrungen', insbesondere die geringe Aufklärungsbereitschaft gegenüber physischen, psychischen Defiziten sowie Anzeichen für eine Überlastungsreaktion und in diesem Zusammenhang die Gefahr weiterer ‚impulsiver unkontrollierter Reaktionen gegenüber dem Kind'. Auf die hierzu und zu weiteren Aspekten von der Sachverständigen in der Begutachtung gewonnenen Einschätzungen, die sie ihrem ausführlich mitgeteilten Befund - nicht offensichtlich unplausibel - zugrunde legt, geht das Gericht nicht näher ein. So ist nicht erkennbar, warum das Gericht die von der Sachverständigen herangezogenen Daten und den Befund nicht als ‚konkrete Anhaltspunkte' für die von der Sachverständigen bejahte Wiederholungsgefahr gelten lässt.

(3) Es ist nicht ersichtlich, dass das Gericht über eine anderweitige verlässliche Grundlage für seine Einschätzung verfügt. Insbesondere hat es nicht selbst ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine gegenläufige Einschätzung stützen könnte. Demgegenüber hatte die Sachverständige ausführlich dargelegt, dass es weiterer Aufklärung bedürfe, um die Alltagsbelastbarkeit der Eltern und deren Reaktionsmöglichkeiten unter höherer Belastung zu erfassen und um die sich aus ihrer Sicht häufenden unklaren Gesichtspunkte insbesondere hinsichtlich des Vaters wie den Hinweis auf Absencen, den Verdacht auf Epilepsie und den Alkoholkonsum aufzuklären.

Das Gericht gibt an, auch aufgrund des Eindrucks, den es von beiden Eltern bei ihrer Anhörung gewonnen hat, zu der Auffassung gelangt zu sein, den Eltern könne zugetraut werden, für das Kind in ausreichender Weise Verantwortung zu übernehmen. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, dass das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung zu einem solchen Eindruck kommt und auf dieser Grundlage zu einer optimistischeren Risikobewertung gelangt als die anderen Beteiligten. Das Gericht hätte hierfür jedoch konkret benennen müssen, welche Umstände, insbesondere welche Aussagen und welches Verhalten der Eltern in der mündlichen Verhandlung seiner abweichenden Einschätzung zugrunde liegen und weshalb diese geeignet sind, die von der Sachverständigen benannten Risikofaktoren zu entkräften. Das ist hier nicht geschehen. Das Gericht hat den Inhalt der mündlichen Verhandlung nicht näher dargelegt und auch kein aussagekräftiges Protokoll gefertigt, aus dem sich Gründe für die optimistischere Bewertung erschließen könnten.

cc) Ungeachtet der entgegenstehenden Einschätzung der Sachverständigen, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts ist die eigene Würdigung der Gefährdungsaspekte durch das Oberlandesgericht auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar. Das Oberlandesgericht hat die hier zutage getretenen Gefährdungsaspekte, insbesondere im Hinblick auf etwaig drohende weitere Misshandlungen (1) sowie in Bezug auf die spezifisch mit der Rückführung verbundenen Belastungen des Kindes (2) weder im Einzelnen noch in ihrem Zusammenwirken hinreichend nachvollziehbar gewürdigt. Das gilt auch für die Einschätzung, die Gefährdung könne hier durch öffentliche Hilfen abgewendet werden (3).

(1) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht plausibel begründet.

(a) Nach Ansicht des Oberlandesgerichts ‚deuten die übrigen Umstände eher auf ein Augenblicksversagen als auf wiederholte, in vergleichbarer Weise auch künftig zu erwartende Misshandlungen hin'. Dafür findet sich jedoch keine nachvollziehbare Begründung. Insbesondere bleibt offen, welche ‚übrigen Umstände' das Gericht hier meint.

(b) Die Einschätzung des Gerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht frei von Widersprüchen. Das Gericht nimmt einerseits an, dass die Eltern für die massiven Rippenbrüche des Kindes jedenfalls mitverantwortlich sind und hält die ursprüngliche Inobhutnahme des Kindes zur Abwendung der Gefährdungslage für erforderlich. Aus der Entscheidung geht andererseits nicht hervor, inwiefern sich die Gefahrenlage verbessert haben soll. Es ist nicht dargelegt, was sich in der Zeit der Fremdunterbringung auf Seiten der Eltern im Vergleich zur damaligen Familiensituation, in der es zu dem Übergriff kam, in der Weise verändert haben soll, dass eine Abweichung von der vorangegangenen Risikobewertung angezeigt erschiene. Zudem steht nun die Geburt eines weiteren Kindes bevor, so dass es bei der Betreuung beider Kinder vermehrt zu Stresssituationen kommen kann. Hierzu wären nähere Prüfungen und Ausführungen erforderlich gewesen (vgl. BVerfGK 17, 212 <219>).

(2) Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefahr aus den rückführungsspezifischen Belastungen resultieren könnte, weil die leiblichen Eltern den hierdurch gesteigerten Anforderungen an die Erziehungsfähigkeit nicht gerecht werden könnten. Insoweit hat es das Gericht bereits an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung fehlen lassen.

Das Oberlandesgericht hat sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob und in welchem Maße zu den jetzigen Pflegeeltern Bindungen entstanden sind und eine abermalige Herausnahme aus dem sozialen Umfeld eine nicht hinnehmbare Schädigung des Kindes nach sich ziehen kann. Die Annahme, dass das seit April 2016 bei der Dauerpflegefamilie lebende Kind noch keine beachtlichen Bindungen zu der jetzigen Pflegefamilie entwickelt habe, stützt das Gericht allein auf eine nicht näher wiedergegebene Angabe der Pflegeeltern, die auch nicht aussagekräftig protokolliert ist.

Mögliche aus der Rückführung erwachsende weitere Belastungen für das ohnehin schon erheblich vorbelastete Kind sind nicht näher untersucht worden. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses lassen demgemäß auch nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht der Frage nachgegangen ist, ob die leiblichen Eltern in der Lage sind, die mit der Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie verbundenen nachteiligen Folgen so gering wie möglich zu halten. Auch insoweit hätten die im elterlichen Umfeld erfolgte und nicht aufgearbeitete Misshandlung des Kindes sowie die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern in Bezug auf Emotionalität, Feinfühligkeit und Empathie Anlass für eine eingehende Prüfung - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme sachverständiger Unterstützung - gegeben.

Schließlich hat das Oberlandesgericht für die Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt lediglich eine Befristung von sechs Wochen vorgesehen, ohne zu prüfen, auf welche Weise der Wechsel des Kindes so vorbereitet werden könnte, dass er das betroffene Kind von seinen bisherigen Bezugspersonen nicht zu abrupt und ohne einen Aufbau von Beziehungen zu seinen Eltern trennt. Hier wäre in Erwägung zu ziehen gewesen, ob durch eine sich intensivierende Umgangsregelung ein allmählicher Bindungsaufbau zu den noch fremden leiblichen Eltern erreicht werden könnte (vgl. BVerfGK 2, 144 <147>; 17, 212 <222>). Zur Ausgestaltung eines behutsamen Übergangs des Kindes von der Pflegefamilie zu den Eltern bestand in gesteigertem Maße Anlass angesichts der besonders belastenden Vorgeschichte des Kindes, der Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Eltern und des Umstandes, dass seit mehreren Monaten Umgangskontakte der leiblichen Eltern mit ihrem Kind nur alle zwei Monate für eine Stunde stattfinden.

(3) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, die - in der Entscheidung nicht näher spezifizierte - Gefährdung für das Kind in elterlicher Obhut könne durch öffentliche Hilfen abgewendet werden, ist angesichts des Ausmaßes der hier in Rede stehenden Gefahren nicht ausreichend begründet. Das Gericht versäumt insoweit, Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Hilfen im konkreten Fall aufzuklären und darzulegen. Welche Hilfen im Einzelnen welche Gefährdungsrisiken kompensieren sollen, wird weder im Tenor noch in den Gründen der Entscheidung nachvollziehbar ausgeführt. Mit den Bedenken der Sachverständigen auch in diesem Zusammenhang (fehlende Reflexion der Eltern und fehlendes Vermögen, relevante Aspekte offen anzusprechen, so dass die Hilfe möglicherweise ins Leere läuft) setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. Inwieweit in Anbetracht der auch vom Gericht angenommenen markanten Schwierigkeit der Eltern, einen Unterstützungsbedarf zu erkennen, das Ziel, das Kind vor Schädigungen zu schützen, prognostisch erreicht werden kann, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Die Sachverständige hat dargelegt, dass insoweit ein Bedarf weiterer Aufklärung im Rahmen stationärer Diagnostik besteht. Dies wird ebenso wenig verarbeitet wie die Einschätzung der Sachverständigen, dass ambulante Hilfen zur Vermeidung einer Gefährdungslage nicht genügten und letztlich nur eine - nicht realisierbare - 24-Stunden-Betreuung ausreichenden Schutz des Kindes sicherstellen könne.

3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. ..." (BVerfG, Beschluss vom 03.02.2017 - 1 BvR 2569/16)

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Ein Verständnis von § 1632 IV BGB, das eine Verbleibensanordnung von einer mit Sicherheit zu erwartenden Kindeswohlschädigung bei Rückkehr des Kindes zu seinen Eltern abhängig macht, wird der Grundrechtsposition des betroffenen Kindes aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG nicht gerecht (BVerfG, Beschluss vom 31.03.2010 - 1 BvR 2910/09, NJW 2010, 2336 ff).

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„... 3. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet, weil die angefochtene fachgerichtliche Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

a) Grundsätzlich ist im Rahmen der Prüfung der Verletzung eines Grundrechts die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen (vgl.BVerfGE 18, 85 <92>; 42, 143 <147 ff.>; 49, 304 <314>; 72, 122 <138> ). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleich bleibend ziehen. Sie hängt namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (vgl.BVerfGE 42, 163 <168>; 72, 122 <138>).

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses "natürliche Recht" den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl.BVerfGE 60, 79 <88> ). Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet (vgl.BVerfGE 34, 165 <184>). In der Beziehung zum Kind muss das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (vgl. BVerfGE 60, 79 <88> m.w.N.).

Eine gerichtliche Entscheidung, nach der die Trennung des Kindes von seinen Eltern fortdauern kann, ist mit dem in Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbar, wenn ein schwerwiegendes - auch unverschuldetes - Fehlverhalten und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls vorliegen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramtes (vgl.BVerfGE 7, 320 <323>; 59, 360 <376>), jene von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91> ). Das elterliche Fehlverhalten muss daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl.BVerfGE 60, 79 <91>).

Die Aufrechterhaltung der Trennung eines Kindes von seinen Eltern darf zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl.BVerfGE 60, 79 <89> ). Dieser gebietet die Ausrichtung der Art und des Ausmaßes des staatlichen Eingriffs am Grad des Versagens der Eltern und daran, was im Interesse der Kinder geboten ist. Der Staat muss nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl.BVerfGE 60, 79 <93> m.w.N.).

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass der Gesetzgeber mit § 1666 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1666 a BGB eine Regelung geschaffen hat, um bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung tragen zu können (vgl.BVerfGE 60, 79 <90>).

Bei Weggabe eines Kindes in eine Familienpflege kann allerdings ausnahmsweise allein aufgrund der Dauer eines solchen Pflegeverhältnisses auch ohne die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB getroffen werden, wenn bei Herausgabe des Kindes an seine Eltern eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes zu erwarten ist (vgl.BVerfGE 68, 176 <191 f.> ). Auch wenn die Trennung von seiner unmittelbaren Bezugsperson für das Kind regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet (vgl.BVerfGE 75, 201 <219> ), darf dies allerdings allein nicht genügen, um die Herausgabe des Kindes an seine Eltern zu verweigern, weil andernfalls die Zusammenführung von Kind und Eltern immer dann ausgeschlossen wäre, wenn das Kind seine "sozialen Eltern" gefunden hätte (vgl.BVerfGE 75, 201 <219 f.>; BVerfGK 2, 144 <146>).

Aufgrund der Eingriffsintensität der Trennung eines Kindes von seinen Eltern müssen die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3, die auch Pflegeeltern zugute kommen können, im Verhältnis zu dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gesehen werden. Bei Pflegekindschaftsverhältnissen hat die Trennung des Kindes von der Pflegefamilie geringeres Gewicht. Diese sind institutionell auf Zeit angelegt, so dass bei einer Herausnahme des Pflegekindes aus der Familie der Pflegeeltern diesen grundsätzlich zuzumuten ist, den mit der Trennung verbundenen Verlust zu ertragen. Ein Verstoß gegen die Grundrechte der Pflegeeltern aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 GG wird nur in Ausnahmefällen angenommen werden können, wenn etwa Pflegeeltern während einer jahrelangen Dauerpflege das Kind betreut haben oder andere ins Gewicht fallende Umstände von Verfassungs wegen eine Auflösung der Pflegefamilie mit der damit verbundenen Trennung des Pflegekindes von den Pflegeeltern verbieten (vgl.BVerfGE 79, 51 <60>).

Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch weitgehend die Ge-staltung und Anwendung des Verfahrensrechts. Das gerichtliche Verfahren muss daher in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl.BVerfGE 55, 171 <182>) und damit der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (vgl. BVerfGE 84, 34 <49> ). Die Gerichte müssen sich daher im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Februar 1993 - 1 BvR 692/92 -, NJW 1993, S. 2671).

Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles auseinandersetzen, die Interessen der Inhaber des Elternrechts sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen (vgl.BVerfGE 31, 194 <210>).

Wird ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen getrennt, so ist dies der stärkste vorstellbare Eingriff in das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der in gleicher Intensität auch das Kind selbst betrifft. Bei dieser Sachlage können auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl.BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <138>; 75, 201 <222>).

b) An diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben gemessen ist festzustellen, dass der angegriffene Beschluss verfassungswidrig gewesen ist. Das Oberlandesgericht hat die Bedeutung des Elternrechts des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Auslegung des § 1632 Abs. 4 BGB und bei seiner Gestaltung des Verfahrens grundlegend verkannt.

aa) Schon die Annahme des Oberlandesgerichts, das Kind sei "mit zumindest konkludenter Billigung" des sorgeberechtigten Hammer Forum e.V. dauerhaft bei der Gastfamilie untergebracht worden, weshalb die Unterbringung einer Familienpflege nach § 1632 Abs. 4 BGB gleichzustellen sei, hält verfassungsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

Diese Auslegung des Begriffs der Familienpflege lässt eine Auseinandersetzung damit vermissen, dass die Kindeseltern das Kind erkennbar nur zu dem Zweck der Heilbehandlung in die Obhut des Hammer Forum e.V. - und nicht in die der Gastfamilie - gegeben haben. Die Gasteltern hätten bereits für eine regelmäßige Kontaktaufnahme zu dem Kind gemäß einer Vereinbarung des Hammer Forum e.V. mit der behandelnden Klinik einer schriftlichen Ermächtigung des Hammer Forum e.V. bedurft, die zu keiner Zeit vorlag. Diese Vereinbarung war den Gasteltern auch bekannt; der Gastvater hat sie selbst seinem Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung beigefügt. Trotzdem haben die Gasteltern das Kind einfach zu sich genommen. Es ist nicht ersichtlich, dass das Oberlandesgericht die Auswirkungen der Vereinbarung in seine Erwägungen eingestellt hat.

Im selben Zusammenhang hat das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB bejaht, weil der "Sorgeberechtigte das Kind […] zunächst zumindest de facto anderen zur Pflege anvertraut" habe, sich "ein solches über Jahre bestehendes Pflegeverhältnis zu einer einem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechenden Beziehung entwickelt und der Sorgeberechtigte dann versucht" habe, "das Kind zur Unzeit unvermittelt aus dem Pflegeverhältnis und der gewohnten Umgebung herauszunehmen, um es in die dem Kind entfremdete eigene Familie zurückzuführen". Eine solche Herausnahme aus den gewachsenen Beziehungen und Bindungen bringe "im Normalfall eine erhebliche psychische Belastung für das Kind mit sich".

Aus dieser Begründung erhellt sich nicht, dass sich das Gericht in Bezug auf die Wahrnehmung der Pflege des Kindes des grundsätzlichen, verfassungsrechtlich gewährleisteten Vorrangs der leiblichen Eltern gegenüber der - von ihm als Pflegeeltern angesehenen - Gasteltern bewusst war. Jedenfalls lässt die Bezugnahme des Oberlandesgerichts auf den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsge-richts vom 13. Oktober 1994 - 1 BvR 1799/94 - (FamRZ 1995, S. 24 ff.) außer Betracht, dass - anders als hier - dort bereits sehr zweifelhaft war, ob die Kindeseltern in Afghanistan überhaupt noch lebten und damit das Kind bei sich aufzunehmen im Stande waren.

bb) Das Oberlandesgericht hat auch die Anforderungen verkannt, die das Elternrecht an die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens stellt.

Es hat den afghanischen, mit dem deutschen Rechtssystem offensichtlich nicht vertrauten und nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer weder zu den Lebensverhältnissen der Herkunftsfamilie und zu den persönlichen Lebensperspektiven des Kindes in seinem Heimatland befragt noch anderweitig hierzu Ermittlungen veranlasst. Insoweit wäre die Einholung eines Berichts über die konkreten Lebensumstände der Familie in Afghanistan in Betracht gekommen, etwa über den Internationalen Sozialdienst, der im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge organisiert ist. Auch hat das Oberlandesgericht keine Eltern-Kind-Exploration durch die Sachverständige veranlasst, obwohl die Möglichkeit hierzu bestanden hätte. Zu beiden Fragestellungen war jedoch eine Sachverhaltsermittlung erforderlich, um zu überprüfen, ob und inwieweit das Kind einem unzumutbaren "Kulturschock" ausgesetzt würde, wie es das Gericht im Ergebnis angenommen hat.

Das Oberlandesgericht ist ferner - im Ansatzpunkt aus seiner Sicht zutreffend - in Bezug auf die Wahrnehmung der von ihm angenommenen Familienpflege davon ausgegangen, dass der Umstand, dass das Kind bei seiner Rückführung in die Herkunftsfamilie völlig überfordert und deshalb einer ernsthaften Gefahr weit reichender psychischer Schäden ausgesetzt wäre, grundsätzlich geeignet sei, ausnahmsweise eine Verbleibensanordnung auch ohne die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB zu begründen. Allein die Dauer des Pflegeverhältnisses könne zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB führen, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe an die Eltern zu erwarten sei.

Zur Begründung dieser Annahme bezieht sich das Oberlandesgericht indes auf das eingeholte Sachverständigengutachten, das es für "fundiert" begründet und "in seinen Aussagen überzeugend" hält. Das Gericht setzt sich jedoch in keiner Weise kritisch mit den Feststellungen des Gutachtens auseinander, obwohl es sich hierzu offensichtlich hätte veranlasst sehen müssen. Das Oberlandesgericht geht etwa davon aus, dass die "gesellschaftlichen Verhältnisse im Herkunftsland" und "die erkennbare Perspektivenarmut" des Kindes zu einer zusätzlichen Belastung und damit zu einer weiteren Traumatisierung führen würden. Dies steht in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Sachverständigen, wonach die Tochter des Beschwerdeführers bei einer Rückführung in die Herkunftsfamilie "gravierende Veränderungen in nahezu allen Bereichen ihres Lebens" hinnehmen müsste. Diese Feststellungen der Sachverständigen waren jedoch erkennbar mängelbehaftet. Bereits im fachgerichtlichen Verfahren hat der Hammer Forum e.V. darauf hingewiesen, dass die besagten Einschätzungen der Sachverständigen vorurteilsbehaftet seien. Ganz offenkundig beschränkt sich die Sachverständige insoweit auf nicht durch Tatsachenfeststellungen gestützte Vermutungen, als sie Ausführungen über die Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Zukunftsperspektiven des Kindes macht. Problematisch sind auch die Feststellungen der Sachverständigen zur Qualität der Bindungen des Kindes zu seinen Eltern. So führt die Sachverständige aus, man möge "vermuten", dass die Bindungen der Tochter an ihre Herkunftsfamilie nicht eine vergleichbare gute Qualität gehabt hätten wie momentan diejenigen an die Gasteltern. Auch diese "Vermutung" ist jedoch angreifbar, weil sie allein auf den Umstand zurückgeführt wird, dass das Kind nur sehr geringfügig Heimwehreaktionen gezeigt habe. Beispielsweise lässt sie das große Engagement der leiblichen Eltern für das Wohl des Kindes außer Betracht. Dabei hat das Kind noch in seiner Anhörung vom 22. August 2002 ausführlich davon berichtet, dass bei seiner Behandlung in Kabul stets ein Familienmitglied - mal der Vater, mal die Mutter oder die Großmutter - bei ihr gewesen sei. Auch zu diesem Punkt wäre eine Eltern-Kind-Exploration erforderlich gewesen, um die "Vermutung" zu überprüfen.

4. Weil die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer bereits in seinem Elternrecht verletzte, kann dahinstehen, ob er durch die Übernahme der offensichtlich nur vermutenden Schlussfolgerungen des Sachverständigengutachtens in der angegriffenen Entscheidung und die daraus folgende Nichtberücksichtigung seiner Belange auch in seinem Art. 103 Abs. 1 GG entspringenden Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wurde, das auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten ist (vgl.BVerfGE 19, 49 <51>; 75, 201 <215>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. Oktober 1996 - 1 BvR 520/95 -, FamRZ 1997, S. 151 f.).

5. Die Entscheidung beruhte auf der Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht bei entsprechender Berücksichtigung des Elternrechts des Beschwerdeführers zu einer für diesen weniger belastenden Maßnahme gegriffen hätte. ..." (BVerfG, 1 BvR 476/04 vom 23.8.2006, Absatz-Nr. (1 - 41), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20060823_1bvr047604.html).

***

§ 1632 IV BGB ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass dem Herausgabeverlangen der Eltern oder eines Elternteils, mit dem nicht die Zusammenführung der Familie, sondern ein Wechsel der Pflegeeltern bezweckt wird, nur stattzugeben ist, wenn mit hinreichender Sicherheit eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes ausgeschlossen werden kann. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Pflege durch die Großeltern (einen Großelternteil ) oder eine Zusammenführung zweier Geschwister erfolgen soll. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dessen Schutz die strafrechtlich bewehrte Schweigepflicht nach § 203 I Nr. 4 StGB dient, ist auch im sorgerechtlichen Verfahren zu beachten (BVerfG, Beschluss vom 20.01.2005 - 1 BvR 2717, 2748/04).

Bei einer Entscheidung nach § 1632 IV BGB über die Anordnung des Verbleibs eines Kindes ein den Pflegeeltern verlangt die Verfassung eine Auslegung dieser Regelung, die sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 II 1 GG als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 I i.V. mit 1 I GG Rechnung trägt. Auch ein Großelternteil, der zugleich Vormund des Kindes ist, kann sich auf das Elternrecht berufen (BVerfG, Beschluss vom 25.11.2003 - 1 BvR 1248/03).

*** (BGH)

Der personensorgeberechtigte Elternteil hat wie auch der umgangsberechtigte Elternteil in entsprechender Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe des Kinderreisepasses. Der Herausgabeanspruch besteht nur insoweit, als der berechtigte Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderreisepass benötigt. Die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mit Hilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreiten (etwa das Kind ins Ausland entführen) will, kann dem Herausgabeanspruch entgegenstehen (BGH, Beschluss vom 27.03.2019 - XII ZB 345/18).

***

Pflegeeltern können eine Rückführung des Pflegekindes nach § 1632 Abs. 4 BGB nur dann beanspruchen, wenn zwischen der Herausnahme des Kindes aus ihrem Haushalt und der Einleitung des Verfahrens auf Anordnung des Verbleibs ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht (BGH, Beschluss vom 16.11.2016 - XII ZB 328/15).

***

Der Elternteil, dem u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden ist, der aber noch über Teilbereiche des Sorgerechts verfügt, ist in dem von den Pflegeeltern und dem Ergänzungspfleger geführten Verfahren auf Anordnung des Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie nach § 1632 Abs. 4 BGB grundsätzlich zu beteiligen (BGH, Beschluss vom 04.06.2014 - XII ZB 353/13).

***

Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie und verlangen die Eltern die Rückführung des Kindes, muss der Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB als im Verhältnis zu einem Sorgerechtsentzug milderes Mittel erwogen werden. Ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls allein daraus, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu den leiblichen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel noch kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen (BGH, Beschluss vom 22.01.2014 - XII ZB 68/11 - Volltext unter § 1666 BGB).

***

Der Adressat eines nach § 1632 Abs. 2 BGB gerichtlich verhängten Kontaktverbots ist berechtigt, eine Aufhebung des Verbots zu beantragen. Gegen eine die Aufhebung ablehnende Entscheidung des Familiengerichts ist er auch beschwerdeberechtigt (BGH, Beschluss vom 29.09.2010 - XII ZB 161/09 zu BGB § 1632; FGG (aF) § 20; FamFG § 59).

*** (OLG)

Während einer wirksamen Inobhutnahme wird ein Kind dem Personensorgeberechtigten nicht widerrechtlich vorenthalten, weshalb dieser gegen das Jugendamt auch keinen Anspruch auf Herausgabe des Kindes nach 1632 Abs. 1 BGB hat. Die Inobhutnahme ist wirksam, wenn sie dem Personensorgeberechtigten bekannt gegeben worden ist und wenn - im Falle eines Widerspruchs des Personensorgeberechtigten - ihre sofortige Vollziehung angeordnet und schriftlich begründet worden ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO). Gegen den Verwaltungsakt der Inobhutnahme ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Familiengericht entscheidet im Rahmen des von ihm nach erfolgter Mitteilung über die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII einzuleitenden Verfahrens nicht über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme, sondern lediglich über die Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung und diesbezüglich zu ergreifende sorgerechtliche Maßnahmen. Erst wenn das Familiengericht die Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung ablehnt und das Jugendamt die Inobhutnahme dennoch aufrecht erhält, entsteht ein Herausgabeanspruch der Personensorgeberechtigten, weil die Wirksamkeit der Inobhutnahme nach der Systematik des § 42 SGB VIII mit der Entscheidung des Familiengerichts über die zu ergreifenden sorgerechtlichen Maßnahmen endet. Entsprechendes gilt im Falle einer vorhergehenden Aufhebung der Inobhutnahme oder Aussetzung ihrer sofortigen Vollziehung durch das hierfür zuständige Verwaltungsgericht. Einem während der Wirksamkeit einer Inobhutnahme gestellten Antrag auf Herausgabe des Kindes fehlt die für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.01.2019 - 4 WF 145/18 - Anmerkung: Diese Entscheidung ist verfassungsrechtlich in mehrerer Hinsicht bedenklich. Die Eingriffsbefugnisse des Jugendamtes werden manifestiert. Zugleich werden die Möglichkeiten eines effektiven Rechtsschutzes weiter verkürzt, in dem vollendete Tatsachen geschaffen werden. Dahinter verbergen sich keine sachlichen juristischen Grundsätze, sondern politische Motive. Die willkürliche staatliche Machtausübung durch die Jugendämter wird zulasten der Eltern gestärkt.).

***

„... 1. Die Beschwerde der Antragstellerin vom 27.02.2017 ist nach § 58 FamFG zulässig und dabei insbesondere nach §§ 63, 64 FamFG form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg. Denn dem Wohl des Kindes entspricht es am ehesten, dass die elterliche Sorge dem Vater übertragen wird und es beim Vater wohnen kann (§ 1671 Abs. 1 BGB). Der Antrag des Antraggegners auf Herausgabe des Kindes hat dagegen Erfolg, denn die Mutter enthält ihm das Kind widerrechtlich vor (§ 1632 Abs. 1 BGB).

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst vollumfänglich auf den präzisen, umfassend abwägenden und ausgezeichnet begründeten Beschluss des Amtsgerichts Bezug und macht sich dessen Begründung zu eigen. Diese Begründung wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben:

‚2. Der Antrag des Antragsgegners auf Übertragung von Teilen der elterlichen Sorge für E. auf sich allein führt zum Erfolg. Der Antrag der Antragstellerin ist zurückzuweisen.

a) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist, wenn nicht der andere Elternteil zustimmt (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB) stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).

Es ist also eine doppelte Kindeswohlprüfung durchzuführen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19.07.2016 - 10 UF 8/16, NZF am 2016, 808 = juris Rn. 18 ff.; Palandt/Götz, BGB, 75. Aufl., § 1671 Rn. 12 m.w.N.): Zunächst ist festzustellen, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht (aa). Ist das Ergebnis positiv, ist weiterhin zu prüfen, ob die Übertragung auf den jeweiligen antragstellenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht (bb). Andere notwendige familiengerichtliche Maßnahmen dürfen dem nicht entgegenstehen (§1671 Abs. 4 BGB).

Diese Prüfung führt hier zur teilweisen Übertragung der elterlichen Sorge allein auf den Antragsgegner.

aa) Dem Wohl des Kindes entspricht es am besten, die bestehende gemeinsame Sorge der Eltern teilweise aufzuheben.

(1) Das Fortbestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt voraus, dass zwischen den Elternteilen eine tragfähige soziale Beziehung und in den wesentlichen Sorgerechtsbereichen ein Mindestmaß an Übereinstimmung besteht (BGH, FamRZ 2008, 592; FamRZ 2011, 796). Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sind unabdingbare Voraussetzungen für ein elterliches Zusammenwirken zur Wahrnehmung der Verantwortung für das Kind. Fehlt es hieran, weil die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage sind und einander ablehnen, sind Konflikte wahrscheinlich und meist unvermeidbar. Im vorliegenden Fall bestehen diese Konflikte seit Jahren und beeinträchtigen ersichtlich bereits das Wohl des Kindes.

Nach allgemeiner Lebenserfahrung und aufgrund der Erkenntnisse aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle ist dem Gericht bekannt, dass betroffene Kinder irgendwann beginnen unter derartigen Konflikten der Eltern ernsthaft zu leiden. Dies wird vom Stand der aktuellen psychologischen Wissenschaft bestätigt. Für diese Frage muss das Gericht darum nicht auf ein Sachverständigengutachten zurückgreifen. Tragen die Eltern ihre Uneinigkeit und ihre Auseinandersetzungen (auch) auf dem Rücken des Kindes aus, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in seiner Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt und unter Umständen in seiner Entwicklung geschädigt wird (vgl. OLG Brandenburg a.a.O. mit Verweis auf BVerfGE 127, 132).

Grundsätzlich haben die Eltern darum ihrem Kind gegenüber die Obliegenheit, sich intensiv um einen ausreichenden Konsens zu bemühen (BGH, FamRZ 2008, 592). Fehlt es an ausreichendem Bemühen oder ist insbesondere angesichts der vergangenen Entwicklungen zu besorgen, dass es den Eltern nicht gelingt, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge friedlich und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen, ist eine erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht zuträglich (BVerfGE 127, 132; BGH, FamRZ 2008, 592; OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 385). Da gilt unabhängig davon, welcher Elternteil für die fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit (überwiegend) verantwortlich ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge voraussichtlich nachteiligere Folgen für das Kind hat als ihre Aufhebung (BVerfG, FF 2009, 416; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11.05.2015-6 UF 18/15, juris Rn 15).

(2) An diesen Maßstäben gemessen muss die gemeinsame elterliche Sorge für E. in den strittigen Punkten (Aufenthaltsbestimmung und Schul- bzw. Kindergartenangelegenheiten) aufgehoben werden. Zwischen den Elternteilen besteht offenkundig schon seit langem ein tiefgreifendes Zerwürfnis. Das wird schon allein aus der Anzahl der gerichtlichen Verfahren wegen der Umgangs- und Sorgerechte deutlich. Aus dem Inhalt der entsprechenden Verfahrensakten ist ersichtlich, dass sich Antragstellerin und Antragsgegner seit ihrer Trennung - und damit seit E.s zweitem Lebensjahr - über die Ausgestaltung von Erziehung und Kontaktpflege beinahe unverändert intensiv streiten.

Um den von der Antragstellerin geplanten Umzug mit E. nach Bayern scheint es dabei gar nicht allein zu gehen; vielmehr hat das Gericht den Eindruck gewonnen, dass diese Frage beiden Seiten hauptsächlich als eine Art Kristallisationspunkt für ihre Auseinandersetzung um das Kind dient. Wie ernsthaft und wichtig die Umzugspläne für die Antragstellerin tatsächlich sind, muss an dieser Stelle allerdings nicht ergründet werden. Maßgeblich ist allein, dass trotz intensiver Bemühungen von unabhängigen Vermittlungsstellen, freien Trägern der Jugendhilfe, zwei Jugendämtern, den bevollmächtigten Rechtsanwälten, dem Verfahrensbeistand und den Gerichten keine erkennbaren Fortschritte bei der Entscheidungsfindung der Eltern erzielt wurden. Selbst als das Amtsgericht Dresden einen Umgangspfleger bestellte sowie während des laufenden Ordnungsmittelverfahrens wegen Verstoßes gegen den Umgangsvergleich, waren nur temporäre Verbesserungen festzustellen, wobei diese ersichtlich nicht auf einer Befriedung zwischen den Elternteilen beruhte. Die Hartnäckigkeit, mit der die Auseinandersetzung geführt wird, ist vor allem deswegen besonders auffällig, weil das Oberlandesgericht den Beteiligten schon 2014 einen Lösungsweg aufgezeigt hatte und beide Elternteile diesem Vorschlag zugestimmt hatten.

Das Gericht hat hier mehrfach darauf hingewiesen, dass es in den fortdauernden Auseinandersetzungen und deren Begleitumständen eine Kindeswohlgefährdung sieht, die unter Umständen familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB erfordern. Auch dies hat die Eltern aber nicht zu einem gemeinsamen Umdenken gebracht. So ist es nicht verwunderlich, dass E. seit spätestens Anfang 2016 Anzeichen einer Schädigung in ihrem geistigen, seelischen und körperlichen Wohl zeigt, so dass deswegen eine Mutter-Kind-Kur bewilligt wurde (Ärztliches Attest der Kurberatung Deutschland UG vom 31.03.2016, Bl. 43 des Ordnungsmittel-Unterheft).

bb) Dem Wohl entspricht die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsgegner im beantragten Umfang am besten (§1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).

Bei der Frage, welchem Elternteil die elterliche Sorge zu übertragen ist, ist eine Abwägung insbesondere der nachfolgend genannten Gesichtspunkte vorzunehmen (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 25 m.w.N.):

- Kontinuität der Lebensumstände
- Bindung an beide Elternteile und Geschwister
- Bindungstoleranz
- Wille des Kindes
- Förderungsgrundsatz
- Erziehungsfähigkeiten der Eltern

Dies führt hier dazu, dass dem Antragsgegner die Teile der elterlichen Sorge übertragen werden müssen, die er benötigt, um über den gewöhnlichen Aufenthaltsort E.s zu entscheiden und sie gegebenenfalls dauerhaft bei sich aufnehmen zu können.

(1) Der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt, spricht zunächst für die Antragstellerin, weil E. seit der Trennung ihrer Eltern bei ihr lebt und von ihr versorgt und erzogen wird. Der Antragsgegner war hiermit einverstanden und würde dies nach seinen Angaben unter anderen Umständen auch heute noch akzeptieren. Es darf daher nicht aus dem Blick geraten, dass der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes zum Antragsgegner einen tiefgreifenden Einschnitt für das Kind darstellt.

Jedoch will der Antragsgegner der Antragstellerin regelmäßigen Umgang mit dem Kind gewähren. Die Antragstellerin hat angekündigt, ihre Umzugspläne aufzugeben, wenn sie nicht die Entscheidungskompetenz für den Ortswechsel des Kindes bekommt, so dass einem häufigen Umgang nichts im Weg steht.

Die Bedeutung der Kontinuität der Beziehung der Antragstellerin zum gemeinsamen Kind der Beteiligten wird auch dadurch geschmälert, dass E. trotz der Auseinandersetzungen ihrer Eltern immer noch sehr an ihrem Vater hängt und zu ihm und seiner Familie ein vertrauensvolles Verhältnis hat.

Die Gründe dafür, dass ein Wechsel E.s von der Mutter in den Haushalt des Vaters einen gravierenden Einschnitt in ihrem Leben darstellt, liegen ganz überwiegend im Verantwortungsbereich der Antragstellerin. Besonders ins Gewicht fällt dabei, dass die Antragstellerin es nicht zulässt, dass E. einen Kindergarten besucht und dass sie den Äußerungen des Kindes in seiner richterlichen Anhörung zufolge auch kaum Kontakt zu gleichaltrigen Kindern hat. Für das Gericht ist mangels Mitwirkung der Antragstellerin nicht ersichtlich geworden, ob E. überhaupt einen für ihre gesunde Entwicklung ausreichenden Kontakt zu Mitmenschen hat. Folgt man den Ausführungen der Antragstellerin, erschöpfen sich die Sozialkontakte E.s im Zusammenleben mit ihrer Mutter und Großmutter und gelegentlichen Besuchen in Bayern, wobei über Einzelheiten nichts bekannt ist. Die beste Gelegenheit für E., mit anderen Menschen in vertrauensvollen Kontakt zu kommen, stellt der Umgang mit dem Antragsgegner dar, der jedoch während des laufenden Verfahrens vor dem Familiengericht mehrfach gestört war.

Hier zeigt sich eine sehr bedenkliche Entwicklung zum Nachteil des Kindes, der durch einen Wechsel des Kindes zum Antragsgegner begegnet werden kann.

Letztlich ist zu sehen, dass die Kontinuität der Entwicklung E.s auch dann beeinträchtigt würde, wenn die Antragstellerin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht erhielte. Denn dann würde ihr bisheriges soziale Umfeld weitgehend wegbrechen, auch der Kontakt zu ihrer Großmutter, und durch die Bekannten oder Verwandten der Antragstellerin am neuen Wohnort, die E. bisher nur besuchsweise kennt, ausgetauscht.

(2) Durch das Heranwachsen bei der Antragstellerin hat E. eine enge Bindung zur Antragstellerin. Ihre Beziehung zum Antragsgegner ist aber - trotz der problematischen Entwicklung - ebenfalls gut und vertrauensvoll. Das Gericht hat keinen Zweifel, dass sie spätestens nach einer gewissen Eingewöhnungszeit eine ebenso tiefe Bindung zum Antragsgegner aufbauen wird, ohne dabei ihre Bindung zur Antragstellerin aufgeben zu müssen.

Weiterhin ist zu sehen, dass der Antragsgegner bisher wenig Gelegenheit hatte, eine kontinuierliche Beziehung zu E. aufzubauen. Der Antragsgegner hatte - entgegen anfänglicher Behauptungen der Antragstellerin - von Beginn an großes Interesse an E. und hat sich auch von den ständigen Auseinandersetzungen nicht davon abhalten lassen, sich intensiv um regelmäßigen Kontakt zu ihr zu bemühen.

Bei der notwendigen Abwägung der für und wider einen Aufenthaltswechsel sprechenden Kriterien spielt es nach Ansicht des Gerichts auch eine Rolle, wenn ein Beteiligter entsprechende Argumente bewusst selbst geschaffen hat, wobei das Wohl des betroffenen Kindes stets Vorrang hat. Hier hat die Antragstellerin die Entstehung einer noch intensiveren Beziehung des Kindes zum Antragsgegner bewusst verhindert.

Um zu diesem Schluss zu kommen, muss nicht auf jeden einzelnen von beiden Seiten vorgetragenen Punkt in der bisherigen Umgangsgestaltung eingegangen werden. Bei lebensnaher Betrachtung erscheint es wenig plausibel, dass die dauerhaft und wiederkehrend auftretenden Umgangsprobleme ausschließlich zufällig entstanden oder allein vom Antragsgegner verschuldet waren. Letzteres würde auch nicht zu dem starken Interesse des Antragsgegners an E. passen, welches er in den vorhergehenden und im vorliegenden Verfahren gezeigt hat.

Der Antragsgegner hat sich dabei im Vergleich zur Antragstellerin weit mehr kompromissbereit gezeigt, während sich die Antragstellerin einer einvernehmlichen Lösung widersetzt hat. So hat sie in den ersten Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden die Erziehungs- und Umgangseignung des Antragsgegners in Zweifel gezogen und dies später ohne Begründung wieder aufgegeben. Insbesondere solle der Antragsgegner ein schwerwiegendes Alkoholproblem haben oder der Sohn des Antragsgegners ein bedenkliches Sexualverhalten an den Tag legen. Beides wurde später weder nochmals thematisiert noch hat es sich auch nur ansatzweise bestätigt. Die Familiengerichte Dresden und Riesa haben darum auch keinen Anlass gesehen, in diese Richtung zu ermitteln. Dieses Verhalten der Antragstellerin lässt auf ein rein verfahrensstrategisches Vorgehen schließen, bei dem das Wohl des Kindes für die Antragstellerin offensichtlich nicht im Mittelpunkt steht.

Das gilt auch für ihren Wunsch, mit dem Kind nach Bayern umzuziehen. Erst im späteren Verlauf der Gerichtsverfahren hat die Antragstellerin dem Gericht mitgeteilt, dass sie dort Bekannte habe und ihr erwachsener Sohn dort lebe. Dem Gericht drängt sich darum der Eindruck auf, dass die Antragstellerin zuerst den Entschluss gefasst hat, mit E. umzuziehen, und erst danach Argumente dafür gesucht hat, die Entscheidung auch für Dritte sinnvoll erscheinen zu lassen. Besonders deutlich wird diese Vorgehensweise, wenn die Antragstellerin behauptet, in der näheren Umgebung ihres derzeitigen Wohnortes keine angemessene Arbeitsstelle zu finden. Dass in der näheren Umgebung um G. und besonders im Raum Dresden zahlreiche Stellen im Pflegebereich angeboten werden, ist allgemein bekannt und weiß das Gericht insbesondere aus zahlreichen Unterhaltsverfahren. Dies hat das zuständige Jobcenter auf Anfrage des Gerichts bestätigt, auch wenn es zu der konkreten Situation der Antragstellerin keine individuellen Auskünfte erteilen wollte. Ohne dies aufgrund der Verweigerungshaltung der Antragstellerin im Einzelnen feststellen zu können, drängt sich insgesamt der Verdacht auf, dass die Antragstellerin Angebote des Jobcenters mit der Begründung ablehnt, dass sie in absehbarer Zeit nach Bayern umziehen werde und auf das laufende Familiengerichtsverfahren verweist, um zu begründen, warum der Umzug nicht schon längst stattgefunden hat. Andererseits erklärt sie vor Gericht, sie sei beim Jobcenter arbeitssuchend gemeldet, ihr würden aber keine angemessenen Angebote unterbreitet werden. Auf diese Weise können Jobcenter und Gericht gegeneinander ausgespielt werden.

(3) Dem Kindeswillen kann im Hinblick auf das Alter des Kindes keine zu große Bedeutung beigemessen werden. Da die Antragstellerin eine psychologische Begutachtung verhindert, kann das Gericht in den Fragen, inwieweit E. in der Lage ist, einen autonomen Willen zu bilden und ob ihre Äußerungen diesem etwaigen Willen entsprechen, nicht auf psychologischen Sachverstand zurückgreifen.

Es ist aber zu berücksichtigen, dass E.s Äußerungen in ihrer Anhörung am 21.11.2016 nicht uneingeschränkt zu den Ansichten der Antragstellerin passen. Dies ist umso erstaunlicher, als E. im Alltag und so auch unmittelbar vor ihrer Anhörung fast ausschließlich Kontakt zur Antragstellerin und zu deren Mutter hatte. E. sprach erst relativ spät und eher unvermittelt davon, dass der Antragsgegner und auch seine Ehefrau ‚bestraft werden müssten'; zuvor sprach sie nur positiv von ihnen. Dabei betonte sie mehrfach, dass auch ihre Mutter eine Strafe verdient habe. Außerdem habe sie sowohl ihre Mutter als auch ihren Vater lieb. Mit dem Umzugsthema konnte E. zunächst wenig anfangen. Die damit verbundenen negativen Veränderungen, z.B. dass sie ihren Vater dann nur noch selten und dessen Familie wohl kaum noch sehen würde, waren ihr nicht - auch nicht in einem altersgerechten Umfang - bewusst, obwohl sie ansonsten einen sehr aufgeweckten und intelligenten Eindruck machte. E. hat weder selbst für den Umzug begeistert noch hat sie wiedergeben können, warum ihrer Mutter der Umzug wichtig ist.

Das Gericht ist im Ergebnis davon überzeugt, dass E. sich bei dem Antragsgegner und dessen Familie wohlfühlen kann und dass es ihr wenig ausmachen würde, wenn es keinen Umzug nach Bayern geben würde.

(4) Unter dem Gesichtspunkt des Förderungskompetenz ist dem Antragsgegner der Vorrang zu geben. Er kann E. aufgrund seiner eigenen Schul- und Berufsbildung im intellektuellen Bereich unterstützen, auch mit Hilfe seiner Ehefrau. Er hat gezeigt, dass er sich auch um ihre Sozialkompetenzen intensiver als die Antragstellerin kümmern würde, die sich mit E. weitestgehend in den Haushalt ihrer Mutter zurückgezogen hat. Das familiäre Umfeld im Haushalt des Antragsgegners bietet für E. deutlich mehr Anregungen. Er will E. auch wieder die Kita besuchen lassen und einen Kontakt zu Gleichaltrigen ermöglichen.

(5) Der Vergleich der Erziehungsfähigkeiten fällt ebenfalls zugunsten des Antragsgegners aus. Er ist deutlich besser in der Lage und gewillt, seine Erziehungsverantwortung zum Wohl des Kindes auszuüben.

Das Gericht kommt nicht umhin, in dieser Frage auch die Verweigerungshaltung der Antragstellerin im Verfahren zu berücksichtigen. So hat der Vorsitzende nach Eingang des Auskunftsersuchens des Jobcenters mit der dortigen Sachbearbeiterin telefoniert, um abzuklären, welche Informationen dort benötigt würden. Die Sachbearbeiterin hat dabei angedeutet, dass sie auch aufgrund des Auftretens der Antragstellerin bei der Behörde persönliche Zweifel habe, ob die Antragstellerin bei ihrem Vorgehen das Wohl des Kindes im Blick behalte. Erst dadurch hat das Gericht Veranlassung gesehen, nicht nur die Fragen des Jobcenters zu beantworten, sondern seinerseits dort zu ermitteln. Die Auskünfte des Jobcenters hätten vor allem dazu dienen können, den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung auszuräumen. Das hat die Antragstellerin nun ohne nähere Begründung verhindert, indem sie ihre Schweigepflichtsentbindung gegenüber dem Jobcenter zurückzog. Dem Gericht ist in Anbetracht aller ihm bekannten Umstände des Falles kein anderer Grund für diesen Schritt ersichtlich als eine Absicht der Antragstellerin, gegen ihren Antrag sprechende Umstände zu verheimlichen. Denn anders als bei ihrer Begutachtung wäre mit der Auskunft des Jobcenters kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit verbunden oder das Bekanntwerden psychischer Auffälligkeiten oder Krankheiten.

Dieses Verhalten der Antragstellerin ist aus verfahrensrechtlicher Sicht bedenklich, denn die Beteiligten sind vor Gericht zur wahrheitsgemäßen Aussage und grundsätzlich auch zur ausreichenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (§ 27 FamFG). Vor allem zeigt das Verhalten der Antragstellerin, dass sie das Kindeswohl zumindest an dieser Stelle aus dem Blick verloren hat.

In diesem Kontext ist es auch zu sehen, wenn die Antragstellerin die Auswahl des Verfahrensbeistandes angreift (Bl. 46 dA), ohne stichhaltige Argumente vorzutragen, und wenn sie Bedenken gegen den Sachverständigen äußert und sich lediglich auf Äußerungen im Internet bezieht, die niemand überprüfen oder hinterfragen kann. Das Gericht erlaubt sich an dieser Stelle den Hinweis, dass ihm diese Internetkommentare schon zuvor bekannt waren. Allerdings lassen sich zu fast jedem Gutachter in Kindschaftsverfahren vergleichbare Äußerungen im Internet finden. Das Gericht hat in anderen Verfahren gute Erfahrungen mit dem ausgewählten Sachverständigen gemacht. Etwaige Bedenken hätten nach Vorlage seines Gutachtens diskutiert werden können. Die Wahl fiel hier auch deswegen auf ihn, weil er die Gutachten in vergleichsweise kurzer Zeit erstattet. Zuletzt hat die Antragstellerin im Erörterungstermin am 12.10.2016 eingeräumt, dass sie ihre Mitwirkung an der Begutachtung nicht allein wegen der Auswahl des Gutachters verweigere und dass sie auch dann nicht mitarbeiten würde, wenn ein anderer Sachverständiger gewählt würde. Eine plausible Begründung hierfür hat die Antragstellerin nicht vorgebracht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Eine solche Verhaltensweise spricht gegen die Qualität der Erziehungskompetenzen der Antragstellerin.

Das gilt auch für die Einstellung der Antragstellerin zu den Sozialkontakten des Kindes. Mit ähnlicher Begründung wie für ihre dauerhafte Arbeitslosigkeit verwehrt die Antragstellerin E. den Kindergartenbesuch. Demnach würde sich dies nicht lohnen, da sie gemeinsam umziehen wollten. Die Antragstellerin sieht dabei nicht, welche nachteiligen Folgen die Isolation des Kindes mit sich bringt. Unabhängig von der Frage, in welcher Weise das Wohl des Kindes hierdurch bereits verletzt ist oder inwieweit mit einer solchen Verletzung in Zukunft zu rechnen ist, hat die richterliche Anhörung des Kindes jedenfalls eindrucksvoll gezeigt, dass E. über diesen Umstand sehr unzufrieden ist und der Mangel an angemessenen Sozialkontakten auch nicht anderweitig kompensiert wird. So hat sie deutlich erklärt, dass sie gerne wieder in den Kindergarten gehen würde und ihre damalige Freundin vermisse, die sie seitdem nicht mehr besucht habe. Diese offensichtlich ehrliche und autonom motivierte Äußerung - zu einer Lüge hatte E. hier ersichtlich keinen Anlass - hat bei dem Richter und bei Verfahrensbeistand und Jugendamtsmitarbeiterin einen starken Eindruck hinterlassen. Im Gegensatz dazu stehen die Äußerungen der Antragstellerin dazu im anschließenden Erörterungstermin, welche kein echtes Verständnis für den Wunsch des Kindes oder ausreichende Empathie erkennen ließen.

Auch der Umgang der Antragstellerin mit der Situation nach dem Vorfall vom 12.02.2016 ist bedenklich. Ohne eine etwaige Gewaltausübung in irgendeiner Weise zu entschuldigen, sieht das Gericht in diesem Vorkommnis, soweit es überhaupt in der von der Antragstellerin geschilderten Form stattgefunden hat, jedenfalls keinen hinreichenden Anlass, an der Erziehungseignung des Antragsgegners deshalb zu zweifeln, weil E. auch in intensiven Kontakt zu dessen Ehefrau treten wird. Dass es sich nicht um eine bewusste Aggression gegen E. handelte, wird schon aus den polizeilichen Unterlagen, die das Gericht beigezogen hat, ersichtlich, ergibt sich aber auch aus der informatorischen Befragung von Frau B… Darüberhinaus hat E. auch nach diesem Vorfall ihr gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Frau B… beibehalten, wie insbesondere von Seiten des Verfahrensbeistands berichtet wird.

Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Antragstellerin diesen Vorfall offenbar nutzen will, um bei Gericht Vorbehalte gegen den Antragsgegner und seine Familie zu erzeugen. Dabei instrumentalisiert sie E. für ihre Ziele, indem sie sie z.B. vor der Polizei aussagen lässt.

Zu den weiteren auffälligen Verhaltensweisen der Antragstellerin, die gegen ihre Erziehungskompetenzen sprechen, gehört der innerfamiliäre Dauerkonflikt in ihrem Haushalt, der erst durch die spontanen Äußerungen des Kindes und auf entsprechende ausdrückliche Nachfragen des Gerichts erkennbar wurde. So hat E. angegeben, ihren Opa gerne besuchen zu wollen; er wohne mit im Haus der Antragstellerin, dürfe aber nicht mit ihr allein sein, weil er sie einmal geschlagen habe. Für das Gericht ist es bis heute nicht verständlich, wie diese Trennung der Familienmitglieder im Haushalt der Antragstellerin ausgestaltet ist. Ohne weitere Informationen kann das Gericht auch nicht beurteilen, wie sich diese Distanzierung von dem Großvater, die auf engem Raum und offenbar schon seit langem stattfindet, konkret auf E. auswirkt. Das Gericht befürchtet jedoch einen negativen Einfluss auf E.s psychische Entwicklung. Es spricht auch einiges dafür, dass der ‚Umgangsausschluss', den der Großvater hinzunehmen scheint, zumindest unverhältnismäßig ist und damit jedenfalls kein vorbildliches Verhalten darstellt.

Seltsam hat die Äußerung E.s auf das Gericht gewirkt, wonach sie sich freue, bei dem Antragsgegner ein eigenes Bett zu haben und dass er ihr abends etwas vorlese; bei der Antragstellerin schlafe sie immer gemeinsam mit ihr in deren Bett.

Unvermittelt sprach E. davon, dass sie von der Antragstellerin manchmal geschlagen werde, und zwar so, dass es ihr schmerze. Auf Nachfrage erzählte E. ein konkretes Vorkommnis, das ihr offenbar noch sehr gut in Erinnerung war, zumal sie Nasenbluten bekommen habe. Die Antragstellerin hat diesen einzelnen Vorfall danach im Erörterungstermin anders dargestellt, dabei jedoch nicht erklären können, wie das Kind zu seiner Sicht auf dieses Ereignis gekommen sein könnte oder aus welchem Grund E. sie vor Gericht falsch belasten sollte.

Selbst wenn die Antragstellerin E. in diesem Einzelfall nicht vorsätzlich verletzt hatte, muss zumindest festgehalten werden, dass E. sich in ihrer Anhörung ersichtlich bemüht hat, nicht nur (u.a.) Schlechtes über den Antragsgegner zu sagen, sondern ebenso über die Antragstellerin. In diesem Zusammenhang sagte E. wörtlich zum Richter: ‚Mit der Mama musst du auch schimpfen, nur nicht so stark wie mit dem Papa!'. Das kann den Versuch darstellen, einerseits einem Wunsch der Antragstellerin nachzukommen und den Antragsgegner in einem schlechten Licht darzustellen, andererseits aber doch auch ihre eigene Haltung wenigstens anzudeuten, nämlich dass bei der Antragstellerin nicht alles gut sei.

E. hat den erwähnten Vorfall nur als Beispiel für mehrere Vorfälle genannt. Sie werde ‚manchmal' geschlagen, und zwar mit der Hand in ihr Gesicht und auf ihr Gesäß. Die Antragstellerin hat sich anschließend auf den einzelnen Vorfall beschränkt. Inwieweit der Antragstellerin bewusst war, dass hier der Vorwurf wiederholter Gewaltanwendung gegen E. im Raum stand, ist für das Gericht nicht ersichtlich gewesen. Die Brisanz dieser Frage ist der anwaltlich vertretenen Antragstellerin wohl nicht bewusst geworden. Auch das spricht gegen ihre erzieherischen Kompetenzen.

Ob bei E. aufgrund dieser Auffälligkeiten bereits seelische Schädigungen eingetreten sind oder ob dies in absehbarer Zukunft geschieht, kann das Gericht ohne psychologischen Sachverstand nicht sicher beurteilen. Es ist aber offensichtlich, dass die von Jugendamt und Verfahrensbeistand geschilderten offeneren und toleranten Umgangsformen im Haushalt des Antragsgegners für E.s Entwicklung und Wohlbefinden förderlicher sind. Hinweise auf eine beginnende Schädigung könnten allerdings in der Schilderung des Kindes zu sehen sein, wonach sie manchmal zu einer auffallenden Atemtechnik neige (Seufzen). Neben physischen Ursachen, die vielleicht in keinem Zusammenhang mit dem Konflikt ihrer Eltern stehen, kommen hier wohl auch psychosomatische Einflüsse als Stressreaktion in Betracht. Das Gericht bedauert, dies aufgrund der Verweigerung der Antragstellerin nicht weiter untersuchen lassen zu können. Die Tatsache, dass E. eine Kur empfohlen wurde, lässt befürchten, dass erste Schädigungen schon vorliegen.

Der Vorfall vom 12.02.2016 hat in der Kindesanhörung eine überraschend geringe Rolle gespielt. E. kam hierauf zwar von selbst zu sprechen, ihre Formulierung (‚doch arg gewürgt') klang jedoch stark relativierend. Obwohl sie ansonsten schon sehr selbstbewusst auftrat und für sich selber sprechen konnte, verwies sie in diesem Zusammenhang auf die Weisungen der Antragstellerin (‚Mama hat gesagt, dass ich mit C… nicht allein sein soll.'). Dies entsprach ersichtlich nicht ihren eigenen Wünschen, denn ihr gutes Verhältnis zum Antragsgegner und seiner Ehefrau war ansonsten deutlich geworden.

Statt die Bedenken an ihrer Fähigkeit, E. ein sicheres Heim zu bieten, durch Aufklärung des Sachverhalts auszuräumen, versucht die Antragstellerin die Ermittlungen des Gerichts auch an dieser Stelle zu behindern, insbesondere indem sie Hausbesuche des Jugendamts nicht zulässt. Auf Seiten des Antragsgegners erkennt das Gericht eine viel höhere Kooperationsbereitschaft.

(6) Die notwendige Bindungstoleranz fehlt der Antragstellerin, während das Gericht in den Erörterungsterminen und aufgrund der Berichte von Jugendamt und Verfahrensbeistand andererseits überzeugt ist, dass der Antragsgegner gut in der Lage sein wird, die Bedeutung der Antragstellerin als E.s Mutter zu akzeptieren und entsprechend zu agieren. Gerade weil er lange Zeit gar nicht auf das Ziel hingearbeitet hat, E. aus dem mütterlichen Haushalt herauszuholen, sondern ausschließlich auf einen regelmäßigen und funktionierenden Umgang mit dem Kind bestanden hat, wozu auch gehörte, dass er gegen den Umzug der Antragstellerin mit dem Kind war, solange sein Umgangsrecht nicht gesichert ist, glaubt das Gericht, dass er der Antragstellerin zukünftig einen angemessenen Umgang mit dem Kind gewähren wird. Jugendamt und Verfahrensbeistand teilen diese Einschätzung.

b) Anderweitige familiengerichtliche Maßnahmen, insbesondere auf der Grundlage von § 1666 BGB sind nicht geboten. Die Gefährdung des Kindeswohls wird durch die Beseitigung des Konflikts zwischen den Eltern voraussichtlich entfallen. Das Gericht hat keine Zweifel, dass E. beim Antragsgegner und in dessen Haushalt gut versorgt und betreut wird. Soweit sehr bedenkliche Defizite in der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin erkennbar geworden sind, werden diese stark an Bedeutung für E. verlieren, wenn sie ihren Aufenthaltsort bei dem Antragsgegner hat. Ob sich solche Defizite auch während regelmäßiger Umgänge der Antragstellerin mit E. auswirken können, wird von den Beteiligten und dem Jugendamt zu beobachten sein.

Weniger einschneidende Maßnahme sind nicht ersichtlich. Zwar hat sich der Antragsgegner stets bereit erklärt, den Aufenthalt E.s bei der Antragstellerin zu akzeptieren, wenn er nur genügend Anteil an ihrer Erziehung und regelmäßigen Umgang mit ihr hat. Alle Versuche der Institutionen, dies gütlich zu vermitteln oder Maßnahmen des Gerichts in diese Richtung, sind jedoch gescheitert. Selbst die einvernehmlich formulierten Vorgaben, bei deren Erfüllung das Oberlandesgericht eine Chance für den Umzug der Antragstellerin gehen hatte, hat diese nicht erfüllt. Das Gericht vermag insoweit nicht einmal ernsthafte und nachhaltige Bemühungen der Antragstellerin in diese Richtung zu erkennen.
c) Im Ergebnis sind damit die für einen Aufenthaltswechsel erforderlichen Teile der elterlichen Sorge auf den Antragsgegner allein zu übertragen. Dieser trifft dann insbesondere die Entscheidung, wo E. ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat und wo sie zukünftig die Schule besuchen wird, hat aber auch dafür Sorge zu tragen, dass E. ihre Bindung zur Antragstellerin nicht verliert und regelmäßigen Umgang mit ihr pflegt. Außerdem hat er die Antragstellerin in den Bereichen, in denen er nicht die Alleinsorge hat, an Entscheidungen gleichberechtigt zu beteiligen und sie im Übrigen ausreichend zu informieren.

d) Der Umgang ist nicht zur regeln. Solange sich E. bei der Antragstellerin aufhält, ist das Umgangsrecht des Antragsgegners durch familiengerichtlich gebilligten Vergleich vom 07.12.2015 rechtssicher geregelt. Bedarf an einer inhaltlichen Änderung ist nicht zu erkennen, eine Abänderung dieses Titels ist damit nicht geboten (§ 1696 BGB). Soweit der Vergleich tatsächlich nicht immer umgesetzt wird, ist dies Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens. Der Antragsgegner hat insoweit einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln gestellt.

Sobald E.s gewöhnlicher Aufenthaltsort zum Antragsgegner wechselt, hat die Antragstellerin einen Umgangsanspruch gegen ihn (§ 1684 BGB). Der Antragsgegner hat angekündigt, der Antragstellerin dann Umgang mit E. in einem angemessenen Umfang zu gewähren. Er will der entsprechenden Umsetzung dieselben Maßstäbe zugrunde legen, die er auch im umgekehrten Fall für sein eigenes Umgangsrecht anwenden wollte (Schriftsatz der Antragsgegnerbevollmächtigten vom 13.04.2017, Bl 127 ff. dA). Aufgrund seines bisherigen Verhaltens während des laufenden Verfahrens ist das Gericht davon überzeugt, dass der Antragsgegner diese Zusage einhalten wird. Für eine gerichtliche Umgangsregelung, die gegebenenfalls vollstreckt werden müsste, ist darum gegenwärtig kein (Rechtsschutz-)Bedürfnis erkennbar.'

2. Die Einwände der Antragstellerin hiergegen greifen nicht durch.

a) Soweit sie darauf abhebt, sie sei wesentliche Bezugsperson des Kindes, erfasst dies nur einen Teil der Gesamtkonstellation und wurde vom Amtsgericht ausreichend berücksichtigt.

b) Soweit sie erklärt, das Kind würde jetzt die Vorschule, einen Theaterkurs, einen Reitkurs und einen Malkurs besuchen, würde damit zwar die soziale Isolierung des Kindes beseitigt, ändert jedoch nichts an den weiteren Feststellungen. Denn die Mutter ist in besonderer Weise eingeschränkt bei der Förderkompetenz. So hat sie in der Anhörung vor dem Senat erklärt, das Kind würde seine Geburtstage in Bayern mit den dortigen Freunden feiern. Diese Freunde sieht das Kind nach eigenen Angaben der Mutter allenfalls vier bis fünf Mal im Jahr. Dies zeigt eindrücklich, dass die Mutter kein Interesse an den sozialen Kontakten in der näheren Umgebung des Kindes hat und diese nicht fördert. Ohne dass es darauf ankäme, kann der Senat diesen Bekundungen keinen Glauben schenken. Die Mutter gab an, dass die Kurse seit mindestens einem Jahr stattfinden würden. Weder bei den Berufsbeteiligten des Verfahrens, noch beim Vater, noch bei den Anhörungen des Kindes kam dies zur Sprache, obwohl die Problematik des Sozialkontakts jeweils angesprochen wurde. Zudem hat die Mutter diese Angaben nicht einmal in der Sitzung beim Amtsgericht am 21. November 2016 gemacht, obwohl die sozialen Kontakte des Kindes auch dort thematisiert wurden. Dem Vater seien die Aktivitäten erstmals im Dezember 2016 bekannt geworden, vorher auch nicht vonseiten die Tochter.

c) Soweit sie vorträgt, kinderpsychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist dies jedenfalls nicht erfolgreich. Sie selbst räumt ein, das Kind nie bei einer Kinderpsychologie vorgestellt, allenfalls selbst Vorgespräche geführt zu haben.

d) Soweit sie den Umzug allein wegen einer Arbeitsstelle und einer Freundin im Bayern durchführen will, ist dies nicht glaubwürdig. Sie hat weder die ungefähre Adresse des zukünftigen Arbeitgebers noch die korrespondierende Himmelsrichtung innerhalb Münchens, noch den korrespondierenden Stadtbezirk mitteilen können, obwohl sie ein genaues Gehalt mitzuteilen imstande war. Soweit sie, nach einer Wohnung befragt, mitteilte, der Arbeitgeber würde sich um eine Wohnung kümmern, erscheint dies vor diesem Hintergrund und der bekannten Wohnverhältnisse innerhalb Münchens nicht glaubhaft.

3. Nach den umfassenden Feststellungen des Amtsgerichts, die der Senat bei der Anhörung von Kind und Mutter bestätigt sah, ist das Kind deutlich besser beim Vater aufgehoben. Daher ist ihm die elterliche Sorge zu übertragen.

4. Gleichzeitig war die Herausgabe des Kindes anzuordnen. Die Mutter ist mit dem Kind unerreichbar. Sie verheimlicht den Aufenthalt (§ 1632 Abs. 2 BGB). ..." (OLG Dresden, Beschluss vom 19.05.2017 - 22 UF 241/17)

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Maßgeblich für die Definition des gewöhnlichen Aufenthaltes nach Art. 8 EuEhe-VO ist eine gewisse Integration der Kinder in ein soziales und familiäres Umfeld. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls. Dazu gehören die Umstände und Gründe des Aufenthalts der Kinder in einem Mitgliedsstaat sowie deren Staatsangehörigkeit. Um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit vom gewöhnlichen Aufenthalt abzugrenzen, ist grundsätzlich eine gewisse Dauer des Aufenthalts erforderlich, wobei es jedoch keine Mindestdauer gibt. Maßgeblich ist vielmehr der Wille der Betreffenden dort den ständigen und gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen in der Absicht zu begründen, ihnen Beständigkeit zu verleihen. Gemessen an diesen Kriterien kann der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder praktisch mit der Übersiedlung in den anderen Mitgliedsstaat begründet werden, wenn man die Herkunft der Familie, die Staatsangehörigkeit, die Zielsetzung des Aufenthaltswechsels, die soziale Integration und das Einverständnis des Kindsvaters berücksichtigt (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.04.2017 - 2 UF 265/16).

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Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 ZPO) in einem vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) beherrschten Sorgerechtsverfahren ist bereits dann gegeben, wenn das Familiengericht auf Grund des eingeleiteten Verfahrens den Sachverhalt zu ermitteln hat, ggfs. eine Regelung treffen muss und sich nicht darauf beschränken kann, den Antrag ohne Weiteres, also ohne jede Ermittlung und ohne jede Anhörung der Beteiligten, zurückzuweisen. Eine Entscheidung des Familiengerichts, die den Antrag der Kindeseltern auf Rückübertragung der elterlichen Sorge ohne ausreichende Darlegung, weshalb das Kindeswohl im Falle der Rückkehr des Kindes in den mütterlichen Haushalt gefährdet ist, zurückweist, wird den strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nicht gerecht (im Anschluss an BVerfG, 20. Januar 2016, 1 BvR 2742/15, FamRZ 2016, 439ff, bei juris Langtext Rn 13ff m.w.N.). Die Erziehungseignung von nicht mehr sorgerechtsberechtigten Kindeseltern und eine mögliche Gefährdung für das Wohl des Kindes bei dessen Herausnahme aus der Pflegefamilie können regelmäßig nicht schon im Verfahren auf Prüfung der Verfahrenskostenhilfe abschließend beurteilt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2016 - II-2 WF 46/16).

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Zur Begründung einer Beschwerdeberechtigung im Verfahren betreffend die elterliche Sorge für ein Kind reicht alleine ein nachvollziehbares Interesse des Beschwerdeführers an der Änderung oder Beseitigung einer vom Familiengericht getroffenen Maßnahme nicht aus; erforderlich ist vielmehr, dass der Beschwerdeführer in einem ihm selbst durch Gesetz oder durch die Rechtsordnung anerkanntem und von der Staatsgewalt geschütztem materiellem Recht unmittelbar betroffen ist (OLG Hamm, Beschluss vom 09.07.2012 - 9 UF 74/12 zu §§ 59 I FamFG, 1632, 1666, 1685 BGB).

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Der wesentliche Inhalt der Kindesanhörung kann - außer in der Sitzungsniederschrift oder einem gesonderten Aktenvermerk - auch im tatbestandlichen Teil der die Instanz abschließenden Entscheidung wiedergegeben werden. Dann muss das Anhörungsergebnis aber vollständig, im Zusammenhang und frei von Wertungen des Gerichts dargestellt werden. Nur auf einen dahingehenden Willen zweier 14 bzw. 15 Jahre alten Kinder kann ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts zulasten des für sie sorgeberechtigten Elternteils oder der Erlass einer Verbleibensanordnung zu Gunsten ihrer Großeltern nicht gegründet werden. Vielmehr bedarf es hierfür der Feststellung, dass das Kindeswohl allein dadurch bereits nachhaltig gefährdet wäre, wenn man dem Kindeswillen nicht nachgäbe. Davon kann in Abwesenheit belastbarer Anhaltspunkte jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn der sorgeberechtigte Elternteil sich zwischenzeitlich von seinem Lebensgefährten getrennt hat, mit dem die Kinder nicht ausgekommen waren, die Kinder ein gutes und entspanntes Verhältnis zu dem ihnen vertrauten sorgeberechtigten Elternteil haben, bei dem sie bis zu ihrem 13. bzw. 14. Lebensjahr aufgewachsen sind, den sie regelmäßig besuchen und bei dem sie auch gelegentlich übernachten (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.05.2012 - 6 UF 20/12 zu §§ 1632 IV, 1666 BGB, 1666a BGB, 29 III , 159 FamFG).

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„... I. Die am 5.2.1987 geborene Beschwerdeführerin ist die leibliche Mutter des betroffenen Kindes M (geb. am 11.10.2006). Sie ist außerdem Mutter von drei weiteren Kindern, G (geb. am 30.1.2008), B2 (geb. am 1.4.2009) und H2 (geb. am 27.3.2010). Leiblicher Vater der vier Kinder ist Herr H, mit dem die Kindesmutter seit Februar 2009 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebt. Beide Eltern und das betroffene Kind sind italienische Staatsangehörige. Die Eltern von M sind arbeitslos. Eine gemeinsame Sorgeerklärung im Sinne des § 1629a I Nr. 1 BGB haben sie nicht abgegeben.

Die Beziehung der Kindeseltern zueinander war in der Vergangenheit von mehrfachen vorübergehenden Trennungen und Versöhnungen geprägt. In dieser Zeit wurde das betroffene Kind M geboren. Bei ihrer Geburt lebte die Kindesmutter alleine in einer Einzimmerwohnung. Sie war nicht krankenversichert und hatte keinerlei Vorkehrungen für die Zeit nach der Geburt des Kindes getroffen. Den Vorschlag der Mitarbeiter des Jugendamts, einer Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung zuzustimmen, lehnte sie ab. Daraufhin wurde M - wenige Wochen nach ihrer Geburt - im Einverständnis mit der Kindesmutter bei den Pflegeeltern U und B untergebracht. Dort lebt sie bis heute. Regelmäßige Besuchskontakte des Kindes mit seiner leiblichen Mutter finden begleitet in vierwöchigen Abständen für die Dauer von jeweils einer Stunde in den Räumen des Jugendamts statt.

Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17.7.2008 hat die Kindesmutter ihr Einverständnis mit der Unterbringung des Kindes in der Pflegefamilie widerrufen und seine Rückführung in den mütterlichen Haushalt begehrt. Auf Antrag des Jugendamts der Stadt Z1 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Witten durch Beschluss vom 11.11.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung das (als Teil der elterlichen Sorge) vorübergehend auf das Jugendamt der Stadt Z1 übertragen. Mit weiterem Beschluss vom 29.1.2009 hat es dem Jugendamt im Wege der einstweiligen Anordnung das Recht zur Beantragung eines Passes für das Kind übertragen, um M eine Auslandsreise mit ihren Pflegeeltern zu ermöglichen.

Zur Frage der von der Kindesmutter begehrten Rückführung des Kindes in den mütterlichen Haushalt hat das Familiengericht ein Sachverständigengutachten der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Kliniken F, Frau Dr. K, eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 18.6.2009 (Bl. 55 ff. d. A.) und die mündlichen Ausführungen der Sachverständigen im Termin vor dem Familiengericht vom 28.10.2009 (Bl. 109 ff. d. A.) Bezug genommen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.11.2009 und dem Berichtigungsbeschluss vom 4.12.2009 hat es der Kindesmutter die elterliche Sorge für das Kind M entzogen und angeordnet, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt weiterhin bei den Pflegeeltern haben soll. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beschlüsse wird auf Bl.. 132 ff. und 144 f. der Akten verwiesen.

Dagegen richtet sich die befristete Beschwerde der Kindesmutter. Sie ist der Ansicht, Gründe für die Entziehung der elterlichen Sorge lägen nicht vor. Hierzu trägt sie vor, sie habe sich bei der Geburt des Kindes in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Ihre persönlichen Verhältnisse hätten sich jedoch zwischenzeitlich stabilisiert. Sie sei mit der Kindererziehung und Versorgung nicht mehr überfordert. Im übrigen sei ihr infolge der eingeschränkten Umgangskontakte mit der Tochter keine Möglichkeit eröffnet worden, eine tragfähige Eltern-Kind-Beziehung zu M aufzubauen.

Die Kindesmutter, deren Begehren zunächst darauf gerichtet war, dass die angefochtenen Beschlüsse des Familiengerichts insgesamt abgeändert, d. h. die Verbleibensanordnung aufgehoben und ihr die elterliche Sorge insgesamt belassen werde, hat im Termin vor dem Senat am 18.5.2010 ihre Beschwerde teilweise - im Hinblick auf die Verbleibensanordnung - zurückgenommen. Nunmehr beantragt sie, die angefochtenen Beschlüsse vom 16.11.2009 und vom 4.12.2009 insoweit abzuändern, dass der Entzug der elterlichen Sorge entfällt.

Die - anwaltlich vertretenen - Pflegeltern beantragen, die befristete Beschwerde der Kindesmutter zurückzuweisen.

Der Senat hat das betroffene Kind, die beteiligten Kindeseltern, das Jugendamt, die Verfahrenspflegerin und die Pflegeeltern persönlich angehört. Außerdem hat er eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen, Frau Dr. K, zur Frage der elterlichen Sorge veranlasst. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung und ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks zum Senatstermin vom 18.5.2010 verwiesen.

II. Die gegen die Entziehung der elterlichen Sorge gerichtete Beschwerde der Kindesmutter hat Erfolg, denn die Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Sorge liegen nicht vor.

1) Das Verfahren zum Erlass von Maßnahmen betreffend die elterliche Sorge für das Kind M richtet sich nach altem - bis zum 31.8.2009 geltenden - Recht, denn es ist durch Anregung des Jugendamts der Stadt Z1 im November 2008 und damit vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden (Art. 111 I FGG-RG).

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus Art. 8 I der Verordnung (EG) des Rates Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 (Brüssel II-a Verordnung), denn das betroffene Kind hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Deutschland führt auch dazu, dass auf das Verfahren gem. Art. 21 EGBGB deutsches Recht anzuwenden ist (vgl. Palandt-Thorn, BGB, 69. Aufl., Anh. zu Art. 24 EGBGB, Rz. 2, 16 m. w. N.).

2) Nach § 1666 I BGB kommt eine Entziehung der Personensorge für ein Kind nur in Betracht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Dabei muss es sich um eine gegenwärtige oder zumindest nahe bevorstehende Gefahr für die Entwicklung des Kindes handeln, die so ernst zu nehmen ist, dass sich eine Beeinträchtigung seines körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls mit ziemlicher Sicherheit voraussagen lässt (vgl. BGH FamRZ 2005, 344, 345). Darüber hinaus ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Da die Entziehung der elterlichen Sorge den stärksten vorstellbaren Eingriff in das durch Art. 6 II, III GG geschützte Elternrecht darstellt, ist eine solche Maßnahme nur gerechtfertigt, wenn massiv belastende Ermittlungsergebnisse und ein entsprechend hohes Gefährdungspotential vorliegen (vgl. OLG Thüringen FamRZ 2003, 1319) und keine anderen milderen Mittel gegeben sind, die geeignet sind, die bestehende Gefahr abzuwenden (vgl. § 1666a I 1, II BGB).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die Entziehung der elterlichen Sorge der Kindesmutter für das betroffene Kind M widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen, dass ein Pflegeverhältnis generell nicht so verfestigt werden darf, dass die leiblichen Eltern mit dessen Begründung nahezu in jedem Fall den dauerhaften Verbleib ihres Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1997, 1299, 1300). Die Inpflegenahme eines Kindes stellt grundsätzlich eine vorübergehende Maßnahme dar, die zu beenden ist, sobald die Umstände es erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen haben mit dem anzustrebenden Ziel der Zusammenführung von Eltern und Kind in Einklang zu stehen (vgl. EGMR NJW 2004, 3401, 3404). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt die vom Familiengericht verfügte und mit der befristeten Beschwerde der Kindesmutter nicht angegriffene Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB ein milderes Mittel im Sinne des § 1666a BGB gegenüber dem Entzug der gesamten elterlichen Sorge dar (vgl. BVerfG FamRZ 1989, 145, 146). Denn die Verbleibensanordnung ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht auf eine dauerhafte Trennung von Eltern und Kind sondern darauf gerichtet, Nachteile, die die durch eine zur Unzeit vorgenommene Rückführung in den elterlichen Haushalt für das Kind entstehen, zu vermeiden indem der vorübergehende Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern für die Zeit der Vorbereitung der Rückführung verlängert wird (vgl. dazu: Palandt-Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1632 Rz. 9, 15 m. w. N.).

b) Eine auf die Entziehung der elterlichen Sorge gerichtete Maßnahme nach § 1666 I BGB darf daher nur dann erfolgen, wenn die Verbleibensanordnung nicht geeignet oder nicht ausreichend ist, um die bestehende Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Gefährdung des Kindeswohls nur durch einen dauerhaften unbefristeten Verbleib des betroffenen Kindes in der Pflegefamilie sichergestellt werden kann, wie zum Beispiel bei einer festgestellten dauerhaften Erziehungsunfähigkeit der leiblichen Eltern (vgl. OLG Hamm, a. a. O.) oder dann, wenn das Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern und den Pflegepersonen so gestört ist, dass eine am Kindeswohl ausgerichtete Ausübung der elterlichen Sorge nicht stattfindet oder mit ziemlicher Sicherheit nicht zu erwarten ist (vgl. dazu auch: OLG Frankfurt a/M FamRZ 2002, 1277, 1278).

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die vom Familiengericht verfügte Verbleibensanordnung nicht geeignet oder nicht ausreichend ist, um die bestehende Gefahr für das Wohl des Kindes M abzuwenden, bestehen nicht.

aa) Vorliegend folgt die für M bestehende Gefahr für ihr geistiges und seelisches Wohl ausschließlich aus dem Rückführungsverlangen der Kindesmutter. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie erziehungsunfähig oder in ihrer Erziehungsfähigkeit so weit eingeschränkt ist, dass sie nicht in der Lage ist, die elterliche Sorge für M bei dem angeordneten Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie auszuüben, bestehen nicht.

Die Beschwerdeführerin hat nach der Inpflegegabe von M drei weitere Kinder geboren. Ihre persönlichen Verhältnisse haben sich zwischenzeitlich dahingehend stabilisiert, dass sie mit dem Vater der Kinder zusammenlebt. Beide haben die Absicht bekundet, in nicht näher genannter Zeit die Ehe miteinander schließen zu wollen. Anhaltspunkte dafür, dass die bei ihr lebenden Kinder nicht ausreichend erzogen und versorgt werden, liegen nicht vor.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die - von der Sachverständigen beschriebene - fehlende Fähigkeit der Kindesmutter, auf die Wünsche und Bedürfnisse von M einzugehen und im Rahmen der bestehenden Umgangskontakte eine tragfähige Beziehung zu dem Kind aufzubauen, ihre Erziehungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt. Nach den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 18.6.2009 und ihren ergänzenden Ausführungen im Termin vor dem Senat am 18.5.2010 ist das fehlende Einfühlungsvermögen der Kindesmutter in erster Linie auf eine unrealistische Einschätzung der Problematik ihres Rückführungsverlangens für das Kind und auf einen Mangel an Erkenntnissen über das Funktionieren von Bindungsprozessen zurückzuführen. Das schließt es nicht aus, dass es der Kindesmutter in der Zukunft gelingt, gegebenenfalls mit Hilfe fachkundiger Dritter und in Zusammenarbeit mit den Pflegeeltern, eine tragfähige Beziehung zu M aufzubauen, die eine - schrittweise - Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt erlaubt.

Der Umstand, dass die Kindesmutter derzeit die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt als Träger der öffentlichen Hilfe ablehnt und zur Inanspruchnahme einer fachkundigen Beratung durch Dritte nicht bereit ist, schließt die Rückführung des Kindes in ihren Haushalt nicht grundsätzlich aus. Sie verhindert lediglich, dass eine Rückführung zeitnah erfolgen kann, weil der für eine Rückführung notwendige Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischen Mutter und Kind nach Einschätzung der Sachverständigen ohne fremde Hilfe von der hierfür verantwortlichen Kindesmutter nicht oder nur schwer geleistet werden kann.

bb) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das Verhältnis zwischen der leiblichen Mutter des Kindes M und ihren Pflegeeltern so gestört ist, dass eine am Kindeswohl ausgerichtete Ausübung der elterlichen Sorge durch die Mutter nicht mehr möglich ist.

Zwar hat die Kindesmutter durch ihr Verhalten verhindert, dass ein für April 2009 geplanter Auslandsurlaub des Kindes mit seinen Pflegeeltern nicht stattfinden konnte, weil sie trotz Aufforderung durch die Mitarbeiter des Jugendamts keinen Pass für M beim italienischen Konsulat beantragt hat. Hinreichende Anhaltpunkte dafür, dass dieses Verhalten typisch für die Art und Weise der Ausübung der elterlichen Sorge durch die Kindesmutter ist und dass sie durch ihr Verhalten in Zukunft auch andere zum Wohl des Kindes zu treffende Maßnahmen verhindern wird, bestehen jedoch nicht.

Die Verweigerung der Ausweisbeantragung erfolgte im laufenden Verfahren im Zusammenhang mit dem Rückführungsverlangen der Kindesmutter und der von ihr außergerichtlich begehrten Ausweitung der Umgangskontakte mit dem Kind. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Maßnahme mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten abgestimmt war. Im übrigen hat die Kindesmutter im Termin vor dem Senat am 18.5.2010 verbindlich zugesagt, schnellst möglich die zur Ausstellung eines Passes für das Kind erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Unter diesen Umständen kann nicht von einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Kindesmutter in Bezug auf die notwendige Beantragung des Ausweises für das Kind ausgegangen werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Kindesmutter zukünftig in anderen Bereichen der elterlichen Sorge ihre notwendige Mitwirkung verweigern oder von der Ausweitung der Umgangskontakte mit dem betroffenen Kind abhängig machen wird. Für eine solche Prognose sind keine gesicherten Anhaltspunkte vorhanden. Vergleichbare Versäumnisse der Kindesmutter bei der Ausübung der elterlichen Sorge für M in der Vergangenheit sind nicht bekannt. Streitigkeiten zwischen ihr und den Pflegeeltern bestehen nach den übereinstimmenden Bekundungen aller Beteiligten gegenwärtig nicht. Die von ihr in der Vergangenheit im Rahmen der Umgangskontakte erhobenen Vorwürfe gegenüber der Pflegemutter bezogen sich ausschließlich auf die Geltendmachung ihres Rückführungsverlangens, über welches mit dem Erlass der Verbleibensanordnung durch das Familiengericht entschieden worden ist. Alleine die vom Jugendamt beschriebene schwierige Zusammenarbeit mit der Kindesmutter rechtfertigt die Annahme, dass sie die ihr zustehende elterliche Sorge in Zukunft missbräuchlich ausüben wird, nicht.

Ergänzend weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es in erster Line der Mutter selbst obliegt, die für die Rückführung des Kindes notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere eine tragfähige Beziehung zu M aufzubauen. Dazu bedarf es nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Frau Dr. K in ihrem Gutachten und den ergänzenden Ausführungen im Senatstermin vom 18.5.2010 einer Ausweitung der bestehenden Umgangskontakte - jedenfalls derzeit - nicht. Vielmehr obliegt es der Kindesmutter, zunächst die Qualität ihres Beziehungsangebotes gegenüber dem Kind zu verbessern und ihr Verhalten im Umgang mit M entsprechend zu verändern. Ob und in welchem Umfang sie sich dazu der Inanspruchnahme fremder (fachkundiger) Hilfe bedient, liegt alleine in ihrem Verantwortungsbereich. Eine rechtliche Grundlage für eine staatliche Verordnung entsprechender Hilfen besteht nicht. ..." (OLG Hamm Beschluss vom 20.05.2010 - II-2 UF 280/09)

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Lebt ein neunjähriges Kind nach häufigen Aufenthaltswechseln zwischen Vater und Mutter jetzt seit zwei Jahren beim Vater, so kann die erzwungene Rückkehr des Kindes zur Mutter zu dessen Retraumatisierung und damit zu einer Gefährdung des Kindes führen. Wird ein in diesem Zusammenhang vom Kind geäußerter klarer und autonom gefasster Wille, beim Vater bleiben zu wollen, missachtet, so erhöht dies die Gefahr der Kindeswohlgefährdung. Um diese Kindeswohlgefährdung zu vermeiden, ist der allein sorgeberechtigen Mutter das gem. §§ 1666, 1666a BGB zu entziehen und gem. § 1680 III, II 2 BGB auf den Vater zu übertragen. Eine Verbleibensanordnung gem. § 1632 IV BGB reicht nicht aus, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Eine Verbleibensanordnung gem. § 1632 IV BGB hat als das milderer Mittel zwar Vorrang vor einer Sorgerechtsbeschränkungsmaßnahme gem. § 1666 BGB. Nach ihrem Sinn und Zweck ist sie aber eine vorübergehende Maßnahme, die ein Herausnehmen des Kindes zur Unzeit verhindern und einen Aufenthaltswechsel zum erziehungsberechtigten Elternteil vorbereiten

soll. Ist mit einem Sinneswandel des Kindes und damit mit einer Rückkehr zur Mutter jedoch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, würde eine bloße Verbleibensanordnung den schutzwürdigen Belangen des Kindes nicht gerecht, sondern würde sowohl das Kind als auch die Eltern anhaltend und erheblich verunsichern. Deshalb muss der allein sorgeberechtigten Mutter das entzogen und auf den nicht sorgeberechtigten Vater, bei dem das Kind lebt, übertragen werden. Nur eine derart klare Regelung ist geeignet, dem stark verunsicherten Kind die notwendige Klarheit und Sicherheit für seine gesunde Entwicklung zu geben und so ein weitere Gefährdung seines Wohls abzuwehren. Damit wird sogleich die Kontinuität in der Betreuung und Erziehung des Kindes sichergestellt, und das Kind kann erfahren, dass sein Aufenthalt beim Vater gesichert und seinem Wunsch, dort zu bleiben, entsprochen ist. Nur eine solche Lösung wird dem auch zu berücksichtigenden Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG gerecht (KG, Beschluss vom 10.02.2005 - 13 UF 4/04, NJW-RR 2005, 878).

Die Eltern können auch verlangen, dass eine Pflegeperson ihr Kind an Großeltern herausgibt. Die Betreuung des Kindes durch die Großeltern ist in der Regel vorrangig vor einer Betreuung durch nicht familienangehörige Pflegepersonen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2004 - 16 UF 88/04, FamRZ 2005, 1501).

Es kann zum Wohl des Kindes im Einzelfall geboten sein, ein afghanisches Mädchen, das von einer Hilfsorganisation mit lebensgefährlichen Kriegsverletzungen zur Behandlung nach Deutschland geholt worden ist, hier mehr als vier Jahre verbleibt und seit ca. drei Jahren in einer Familienpflege lebt, trotz guten Heilungsverlaufs nicht in sein Heimatland zurückzuführen, sondern es gegen den Willen der leiblichen Eltern in der bisherigen Familienpflege - zunächst befristet für einen gewissen Zeitraum - zu belassen (OLG Hamm, Beschluss vom 19.12.2003 - 11 UF 373/02, FamRZ 2004, 1396).

Bei der Entscheidung über eine Verbleibensanordnung zu Gunsten der Pflegeeltern ist neben dem Elternrecht aus Art. 6 III 1 GG i.V. mit Art. 1 I GG und der Grundrechtsposition der Pflegefamilie aus Art. 6 I und III GG Rechnung zu tragen. Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, die Tragweite der Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie - unter Berücksichtigung der Intensität entstandener Bindungen - in die Entscheidung über die Verbleibensanordnung einzubeziehen. Die Erziehungsfähigkeit der Eltern ist auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventeullen Traumatisierung des Kindes gering zu halten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.12.2003 - 20 UF 47/02, FamRZ 2004, 722).

Die Voraussetzungen des § 1632 IV BGB sind gegeben, wenn ein Kind die gesamte Dauer des bisherigen Lebens - hier 18 Monate - von den Pflegeeltern betreut wurde, zu ihnen die primäre Bindung aufgebaut hat und zusätzliche Aspekte in der Persönlichkeit der handelnden Person und der konkreten Situation es erfordern, den natürlichen Wunsch der leiblichen Eltern nach eigener Betreuung des Kindes zugunsten eines Pflegekindverhältnisses zurückzustellen. Wenn nach den überzeugenden Ausführungen des vom Gericht eingeholten Gutachtens die Herausnahme des Kindes aus seinem bisherigen Umfeld die Folge einer schwerwiegenden Traumatisierung mit nachhaltigen Störungen der weiteren Entwicklung hätte, könnte dies nur durch eine besonders kompetente Beziehungsperson mit überdurchschnittlicher Fähigkeit, die Situation eines so getrennten Kindes aufzufangen, überwunden werden. Auch wenn die Mutter des Kindes ihre Erziehungseignung im Hinblick auf drei bei ihr lebende Kinder nachgewiesen hat, reicht dies nicht aus, wenn sie aufgrund ihrer eigenen Biographie nicht die Fähigkeit hat, eine enge Beziehung zu ihrem durch einen vorausgegangenen Beziehungsabbruch besonders gestörten Kind aufzubauen. Dies wäre aber erforderlich, um in der gegebenen Situation einen Wechsel der Beziehung verantworten zu können (OLG Frankfurt, Entscheidung vom 14.10.2003 - 1 UF 64/03, FamRZ 2004, 720).

Die Übertragung des Sorgerechts auf einen Dritten (hier: die Großmutter des Kindes) in einem Vorverfahren hat keine Bindungswirkung zu Lasten der an jenem Verfahren nicht beteiligten Pflegeeltern. Dem Verlangen nach Herausgabe des Kindes nicht an einen leiblichen Elternteil, sondern an die Großmutter ist nur stattzugeben, wenn ein Gefährdung des Kindeswohls ausgeschlossen ist (OLG Hamm, Beschluss vom 13.05.2003 - 13 UF 367/02, FamRZ 2003, 1858).

Kann und soll das (hier: 1997 geborene) Kind nicht in den Haushalt seiner leiblichen Mutter zurückkehren, so ist eine Trennung vom Pflegevater nur zulässig, wenn mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Wegnahme mit psychischen oder physischen Schäden verbunden ist. Für eine vorläufige Maßnahme, mit der die Rückkehr des Kindes zum Pflegevater angeordnet wird, ist weder die Wirksamkeit des Pflegevertrages noch das Vorliegen einer Pflegeerlaubnis Voraussetzung. Das Jugendamt ist zur Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie nur befugt, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass insoweit die Voraussetzungen des § 1666 BGB vorliegen und Gefahr im Verzug ist. Aus einem sexualisierten Verhalten des Kindes allein lässt sich kein Hinweis auf stattgefundenen sexuellen Missbrauch ableiten (OLG Bremen, Beschluss vom 24.04.2002 - 5 WF 26/02, FamRZ 2003, 54).

*** (AG)

Bei Herausnahme eines längere Zeit in Familienpflege weilenden Kindes aus dieser durch das Jugendamt kann im Interesse des Kindeswohls eine vorläufige Anordnung der Rückführung geboten sein (AG Kamenz, Beschluss vom 17.04.2003 - 1 F 162/03, FamRZ 2005, 124).

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§ 1664 Beschränkte Haftung der Eltern

(1) Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen.

(2) Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

Leitsätze/Entscheidungen:

Eltern handeln regelmäßig widerrechtlich, wenn sie Sparguthaben ihrer minderjährigen Kinder für Unterhaltszwecke verwenden. Sie sind gegebenenfalls gemäß § 1664 BGB verpflichtet, die verwendeten Gelder an die Kinder zurückzuzahlen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.05.2015 - 5 UF 53/15):

„... Der Antragsteller ist das minderjährige, 7-jährige Kind Z der Antragsgegnerin. Z wird gesetzlich durch seinen Vater vertreten, nachdem diesem mit Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 17.08.2012 die elterliche Sorge für Z allein übertragen wurde. Zuvor übte die Kindesmutter das Sorgerecht für Z ihrerseits alleine aus, nachdem die Kindeseltern nicht miteinander verheiratet waren und eine Sorgeerklärung von ihnen nicht abgegeben worden war.

Im Jahre 2008 wurde für Z von seinen Großeltern väterlicherseits ein Sparbuch angelegt, das auf den Namen von Z lautet und auf das von den Großeltern 1.000 € eingezahlt wurden. Im weiteren Verlauf des Jahres 2008 erfolgte eine weitere Einzahlung in Höhe von 1.350 €, die vom Vater des Antragstellers veranlasst wurde und als Verwendungszweck "Geburts- und Taufgeld" ausweist.

Das Sparbuch war dem Kindesvater von den Großeltern ausgehändigt worden. Die Kindeseltern lebten bis zum Jahre 2011 in einem gemeinsamen Haushalt. Im Jahre 2011 kam es zur Trennung der Kindeseltern. Die Kindesmutter nahm bei ihrem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung das auf den Namen des Antragstellers lautende Sparbuch mit und hob den Betrag in Höhe von 2.367,97 €, der zum Zeitpunkt ihres Auszugs auf dem Konto aufgelaufen war, in voller Höhe ab. Die Kindesmutter und Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt des Auszugs aus der früheren gemeinsamen Wohnung berufstätig und verdiente netto 1.100 €. Sonderbedarf für Einrichtungsgegenstände für Z machte sie gegenüber dem Kindesvater nicht geltend. Der Kindesunterhalt wurde vom Kindesvater zunächst nicht gezahlt, später jedoch ausgeglichen. Sie behauptet, sie habe bei Auszug aus der früheren gemeinsamen Wohnung für Z mit dem Geld Gegenstände angeschafft. Hierbei habe es sich um ein Kinderbett nebst Lattenrost, eine hochwertige Matratze, ein Kleiderschrank, ein Kinderschreibtisch, Wandregale, Sitzhocker, ein Spielteppich, Renovierungsmaterial für das Kinderzimmer, ein Autokindersitz, Ober- und Unterbekleidung, Schuhe, Socken etc. und eine Grundausstattung Spielzeug gehandelt. Darüber hinaus sei die Anschaffung einer Waschmaschine und eines Trockners unabdingbar gewesen. Bei Auszug habe ihr der Kindesvater zugesagt, 5.000 € für die Gründung des neuen Hausstandes und Unterhalt für Z zu zahlen.

Das Amtsgericht hat zunächst im Wege des Versäumnisbeschlusses, der mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 16.01.2015 im Wesentlichen bestätigt wurde, die Kindesmutter und Beschwerdeführerin verpflichtet, an den Antragsteller 2.367,97 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Antragsteller habe aus § 1664 BGB einen Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung der auf dem Sparbuch angelegten Summe, da die Kindesmutter nicht berechtigt gewesen sei und somit durch pflichtwidriges, schuldhaftes Handeln das Vermögen des Antragstellers geschädigt habe.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin und beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 16.01.2015 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. ...

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, die dem Sparbuch entnommene Summe an den Antragsteller zurückzuzahlen.

Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller im Hinblick auf das streitgegenständliche Sparguthaben forderungsberechtigter Gläubiger gegenüber der Bank und damit Kontoinhaber war bzw. ist.

Allein die Tatsache, dass Sparbücher auf den Namen der Kinder angelegt werden, gibt zwar regelmäßig keine eindeutige Auskunft über die Forderungsinhaberschaft. Entscheidend ist der erkennbare Wille der das Konto Errichtenden. Hierbei ist der Name des als Kontoinhaber benannten Dritten nur ein Indiz für den Parteiwillen. Darüber hinaus ist der Besitz des Sparbuchs von Bedeutung, da gemäß § 808 BGB der Besitzer des Sparbuchs die Verfügungsmöglichkeit über das Guthaben hat. Behält der Anleger nach Einzahlung des Geldes das Sparbuch in seinem Besitz, spricht dies dafür, dass er weiterhin Inhaber der Forderung bleiben möchte (BGH NJW 2005, 980; Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 6 Auflage, Rdn. 717). So liegt der Fall hier gerade nicht. Die Großeltern Z haben das Sparbuch nicht behalten, sondern es in den Verfügungsbereich des Kindes kommen lassen. Weitere Einzahlungen auf dem Sparbuch wurden auch nicht mehr von den Großeltern getätigt, sondern vom Kindesvater mit dem Vermerk "Geburts- und Taufgeld". Hierbei ist davon auszugehen, dass es sich - entsprechend des genannten Verwendungszweckes - um Gelder handelte, die dem Antragsteller anlässlich seiner Geburt und Taufe von Dritten geschenkt worden sind. Dies ist mit dem Fall des Oberlandesgerichts Bremen (NJW 2015, 564 f.) vergleichbar, wenn Sparbücher zu dem Zweck angelegt werden, dass Dritte auf diese Sparbücher einzahlen können. Bei derartigen auf den Sparkonten befindlichen Beträgen handelt es sich von vorneherein nicht um eigenes Geld der Einzahler oder der Kindeseltern, sondern es spricht die Annahme für einen Vertrag zu Gunsten Dritter (vgl. Wever a.a.O.).

Die Antragsgegnerin, die das Sparguthaben in vollem Umfang abgehoben und verbraucht hat, ist gemäß § 1664 BGB - aus dem sich nicht nur ein Haftungsmaßstab ergibt, sondern der zugleich die Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Kindes gegen seine Eltern darstellt (OLG Köln, FamRZ 1997, 1351; MüKo Huber, Rdn. 1; Palandt-Götz, § 1664 Rdn. 1) - verpflichtet, die dem Sparkonto entnommenen Gelder im Rahmen ihrer Schadensersatzpflicht zu erstatten. Es handelt sich bei der Abhebung des Guthabenbetrages vom Konto des Antragstellers um ein pflichtwidriges Verhalten der zum damaligen Zeitpunkt allein sorgeberechtigten Kindesmutter. Es kann hier dahinstehen, ob sie tatsächlich die behaupteten Gegenstände für den Antragsteller von der abgehobenen Summe des Sparguthabens gezahlt hat, denn auch dann stellt es pflichtwidriges Verhalten und ein Verstoß gegen die Vermögensinteressen des Antragstellers dar. Die Ausstattung des Kindes mit Einrichtungs- und Bekleidungsgegenständen haben die Kindeseltern aus eigenen Mitteln im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten (vgl. OLG Bremen, FamRZ 2015, 861 f.; Klein, Handbuch des Familienvermögensrecht, 2. Auflage, Kap. 7 Rdn. 342, S. 1341), Kindesvermögen darf hierzu nicht herangezogen werden (vgl. § 1602 Abs. 2 BGB). Gleiches gilt umso mehr für den Erwerb von Haushaltsgegenständen wie Waschmaschine und Wäschetrockner. Der Einsatz von Vermögen des Kindes ist insoweit nicht vorgesehen. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen es sich hierbei um dringend notwendige Gegenstände gehandelt haben könnte, sodass eine solche Notsituation entstanden sein könnte, in der denkbar wäre, dass das Kind mit seinem Vermögen hierfür einstehen müsste. Unterstellt, dass tatsächlich die Notwendigkeit für die Anschaffung bestanden hat, wäre sie gehalten gewesen, Sonderbedarf gegenüber dem Kindesvater geltend zu machen oder hätte den Sozialhilfeträger um Unterstützung bitten müssen. Auch wenn der Kindesvater - wie sie behauptet - der Beschwerdeführerin zugesichert haben sollte, ihr 5.000 € zu Verfügung zu stellen, berechtigt dies nicht, Vermögen des minderjährigen für Unterhaltszwecke Kindes einzusetzen. Das Versprechen des Kindesvaters berührt allein das Verhältnis der beiden unterhaltsverpflichteten Eltern. ..."

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§ 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG erfasst Ansprüche des Kindes auf Schadensersatz gemäß § 1664 BGB sowie deliktische Ansprüche auf Grund von Pflichtverletzungen bei Ausübung der elterlichen Sorge. Für einen Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer vom Antragsgegner veranlassten Beschneidung des Kindes ist das Amtsgerichts - Familiengericht - sachlich zuständig (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.09.2014 - 18 WF 219/13):

„... I. Der Antragsteller begehrt Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 12.000 € wegen einer vom Antragsgegner veranlassten Beschneidung.

Der Antragsteller ist der Sohn des Antragsgegners. Die Ehe der Eltern des Antragstellers wurde im April 2010 rechtskräftig geschieden.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Fürstenwalde vom 25.01.2010 (…) wurde der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Antragsteller übertragen. Im Übrigen verblieb es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge. In einer am 25.01.2010 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Fürstenwalde geschlossenen Vereinbarung zum Umgangsrecht einigten sich die Eltern des Antragstellers unter anderem, dass der Antragsteller nicht beschnitten werden darf.

In der Zeit vom 08.07.2011 bis zum 22.07.2011 verbrachte der Antragsteller nach Einwilligung der Kindsmutter mit dem Antragsgegner Urlaub in T.. Am 15.07.2011 wurde der Antragsteller einer Beschneidung unterzogen. Bei einer Untersuchung ihres Sohnes nach seiner Rückkehr am Abend des 23.07.2011 stellte die Mutter des Antragstellers fest, dass das Glied des Antragstellers gerötet und infiziert und die Vorhaut völlig entfernt worden war. Noch am selben Abend begab sich die Kindsmutter mit dem Antragsteller in ärztliche Behandlung.

Der Antragsteller trägt vor, dass die Beschneidung ohne wirksame Einwilligung durchgeführt worden sei. Die Beschneidung sei weder medizinisch indiziert gewesen noch nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Eine zwingend erforderliche medizinische Nachsorge habe der Antragsgegner nicht veranlasst. Es sei zu einer Entzündung mit Folgeschäden gekommen, gegebenenfalls sei ein korrigierender Eingriff notwendig. Der Antragsteller behauptet, er habe bei und infolge der Beschneidung massive Schmerzen und psychische Beeinträchtigungen erlitten. Infolge der Beschneidung habe er Verhaltensauffälligkeiten entwickelt. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 23.07.2013 (…) wurde für den Antragsteller ein Ergänzungspfleger zur Wahrnehmung der gesetzlichen Vertretung im vorliegenden Verfahren bestellt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 23.08.2013 wurde der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Das Familiengericht sei für den Anspruch auf Schmerzensgeld sachlich unzuständig. Der behauptete Anspruch stütze sich nicht auf das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen diese - ihm am 27.08.2013 zugestellten - Beschluss hat der Antragsteller mit am 06.09.2013 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Das Familiengericht sei gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG wegen des nach § 1664 BGB bestehenden Anspruchs zuständig. Im Übrigen habe der Antragsteller eine zunächst beim Landgericht Freiburg eingereichte Klage auf Schmerzensgeld (…) nach entsprechendem Hinweis des Einzelrichters zurückgenommen.

Der Antragsgegner beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Das Familiengericht hat der sofortigen Beschwerde des Antragstellers mit Beschluss vom 09.09.2014 nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Begehren des Antragstellers auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes fehlt es nicht von vornherein an der hinreichenden Erfolgsaussicht, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG in Verbindung mit § 114 ZPO.

Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist hinreichend, wenn nach vorläufiger summarischer Prüfung der Rechtsstandpunkt des Antragstellers zumindest objektiv vertretbar erscheint und für den Verfahrenserfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Zöller/Geimer, ZPO, 30. Auflage 2014, § 114 Rn. 19; Johannsen/Henrich, Familienrecht, 5. Auflage 2010, § 114 ZPO Rn. 11). An die Prüfung der Erfolgsaussichten dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden, insbesondere darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG FamRZ 2008, 131; NJW 2010, 1129).

1. Der Antrag des Antragstellers ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht - Familiengericht - sachlich für das Verfahren zuständig, §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 GVG.

Es liegt eine sonstige Familiensache gemäß §§ 111 Nr. 10, 112 Nr. 3, 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vor. § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG erfasst aus dem Eltern-Kind-Verhältnis herrührende Ansprüche. In Ergänzung zur Zuständigkeit für Kindschaftssachen soll das Familiengericht auch für sonstige zivilrechtliche Ansprüche aus dem Eltern-Kind-Verhältnis zuständig sein (BT-Drucksache 16/6308, S. 263 linke Spalte). Dabei muss der Anspruch im Eltern-Kind-Verhältnis selbst seine Grundlage haben, ein bloßer Zusammenhang hierzu genügt nicht (BT-Drucksache 16/6308, a.a.O.).

§ 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG erfasst dabei Ansprüche des Kindes auf Schadensersatz gemäß § 1664 BGB (MünchKomm/Erbarth, FamFG, 2. Auflage 2013, § 266 Rn. 154; Prütting/Helms, FamFG, 3. Auflage 2014, § 266 Rn. 57a; Zöller/Lorenz, a.a.O., § 266 FamFG Rn. 19; Heiter FamRB 2010, 121, 123) sowie deliktische Ansprüche auf Grund von Pflichtverletzungen bei Ausübung der elterlichen Sorge (Johannsen/Henrich, a.a.O., § 266 FamFG Rn. 16; Prütting/Helms, a.a.O., § 266 Rn. 57a; Heiß FPR 2011, 96, 98; Burger FamRZ 2009, 1017, 1020).

Vorliegend kommt neben einem Anspruch des Antragstellers aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 1664 BGB in Betracht. Wenngleich § 1664 BGB nach seinem Wortlaut nur den Haftungsmaßstab für die elterliche Haftung bei der Schädigung des Kindes normiert, enthält die Vorschrift nach herrschender Meinung zugleich eine selbständige Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche eines Kindes gegen seine Eltern für den Fall einer Pflichtverletzung in Ausübung ihrer elterlichen Sorge (BGH vom 10.02.1988 - IVb ZR 111/86, juris Rn. 14; OLG Köln FamRZ 1997, 1351, juris Rn. 2; OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 239, juris Rn. 62; OLG Karlsruhe NJW 2012, 3043, juris Rn. 25; Palandt/Götz, BGB, 73. Auflage 2014, § 1664 Rn. 1; MünchKomm/Huber, BGB, 6. Auflage 2012, § 1664 Rn. 1; Erman/Döll, BGB, 14. Auflage 2014, § 1664 Rn. 1).

2. Der vom Antragsteller geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch hat nach den im Verfahrenskostenhilfeprüfverfahren anzuwendenden Maßstäben hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Als Anspruchsgrundlagen kommen §§ 1664, 253 Abs. 2 sowie §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB in Betracht. Eine Körperverletzung sowie eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (so OLG Frankfurt/M. FamRZ 2008, 785, juris Rn. 13) des Antragstellers liegen vor. Eine Einwilligung des zum Zeitpunkt des Eingriffs 6-jährigen Antragstellers zur Vornahme der Beschneidung kann mangels Einsichtsfähigkeit nicht angenommen werden. Die mitsorgeberechtigte Mutter des Antragstellers hatte eine Zustimmung zu einer Beschneidung ausdrücklich abgelehnt. In Hinblick auf das vorgelegte rechtsmedizinische Gutachten des Dr. K. vom 03.07.2012 spricht vieles dafür, dass für die Beschneidung des Antragstellers keine medizinische Indikation vorlag. Der Eingriff war somit rechtswidrig. Nach dem schlüssigen Vortrag des Antragstellers sind sowohl in der Veranlassung einer medizinisch nicht indizierten (und möglicherweise nicht fachgerecht durchgeführten) Beschneidung des Antragstellers, als auch in der nicht veranlassten, aber dringend erforderlichen ausreichenden medizinischen Nachsorge schuldhafte Pflichtverletzungen des Antragsgegners in der Ausübung der elterlichen Sorge zu sehen.

Dem Antrag des Antragstellers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von jedenfalls 12.000 € kann unter Berücksichtigung seines Vortrags zu den Folgen des Eingriffs nicht von vorherein die Erfolgsaussicht versagt werden (s. OLG Frankfurt/M. FamRZ 2008, 50, juris Rn. 2: 10.000 € bei einer medizinisch ordnungsgemäß durchgeführten Beschneidung). Die Bestimmung der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldanspruchs bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. ..."



§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Das Gericht kann Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge ersetzen.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

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http://www.fernuni-hagen.de (Qualitätsmerkmale in der familienrechtspsychologischen Begutachtung - Gutachten unbrauchbar)

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Leitsätze/Entscheidungen:

*** (EGMR)

„... VERFAHREN

1. Der Rechtssache lagen zwei Individualbeschwerden (Nrn. 18734/09 und 9424/11) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die zwei österreichische Staatsangehörige, Herr B. B. und Frau F. B. („die Beschwerdeführer"), am 31. März 2009 beziehungsweise am 22. Dezember 2010 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention") beim Gerichtshof eingereicht hatten. Der Kammerpräsident hat dem Antrag der Beschwerdeführer stattgegeben, ihre Namen nicht offen zu legen (Artikel 47 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).

2. Die Beschwerdeführer, denen Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, wurden durch Frau T., Rechtsanwältin in D., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung") wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Die Beschwerdeführer behaupteten insbesondere, dass die Entscheidung, das elterliche Sorgerecht zu entziehen, ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens unter Verstoß gegen Artikel 8 der Konvention verletzt habe.

4. Am 1. März 2012 wurden die Beschwerden der Regierung übermittelt. Nachdem sie über ihr Recht zur schriftlichen Stellungnahme informiert worden war, zeigte die österreichische Regierung an, dass sie sich am Verfahren nicht beteiligen wolle.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Die 19.. bzw. 19.. geborenen Beschwerdeführer sind ursprünglich türkischer Herkunft und leben in D.

A. Verfahren über die Entziehung des elterlichen Sorgerechts

6. Am 23. Mai 2008 beantragte die Stadt Krefeld beim Familiengericht Krefeld, den Beschwerdeführern das Sorgerecht für ihre beiden Kinder, eine 19.. geborene Tochter und einen im Jahr 20.. geborenen Sohn, zu entziehen. Laut Auskunft der Schulleiterin des Mädchens würden beide Kinder von ihrem Vater systematisch geschlagen, wenn sie keine guten Schulnoten erhielten. Die Schule habe bereits im vorausgegangenen Halbjahr erfahren, dass das Kind geschlagen worden sei. Da die Eltern des Mädchens als sehr angepasst und überhöflich wahrgenommen würden, habe die Schule nicht sofort reagiert, sondern beschlossen, das Kind besser zu beobachten. So sei aufgefallen, dass das Mädchen von der Familie über sein Handy streng kontrolliert werde. Der Vater habe das Kind auch aus dem Biologieunterricht abgemeldet, weil Sexualkunde auf dem Stundenplan stand. Das Mädchen dürfe nicht mit ins Schullandheim fahren und werde stattdessen krankgemeldet.

7. Als eine Lehrerin das Kind beim Manipulieren der Note einer Klassenarbeit ertappte, habe es sich seiner Lehrerin endlich anvertraut. Das Mädchen habe auch geäußert, dass sein Bruder noch mehr unter Druck stehe, gute Noten zu erzielen, und „drakonisch" bestraft werde, wenn er den Anforderungen nicht genüge. Die Schulleiterin nahm Kontakt zum Kinderschutzbund Krefeld auf, der das Jugendamt informiert hatte.

8. Am 23. Mai 2008 entzog das Amtsgericht - Familiengericht - Krefeld im Wege der einstweiligen Anordnung den Beschwerdeführern das elterliche Sorgerecht für ihre beiden Kinder und übertrug es vorübergehend dem Jugendamt; es verwies insoweit auf die in dem Antrag der städtischen Behörde angeführte Begründung.

9. Am 28. Mai 2008 wurden die beiden Kinder durch das Jugendamt an ihrer Schule abgeholt und in eine Wohngruppe für Kinder gebracht. Noch am selben Tag informierte das Jugendamt die Beschwerdeführerin telefonisch und persönlich über die Gründe der Inobhutnahme. Der Aufenthaltsort der Kinder wurde den Beschwerdeführern nicht mitgeteilt. Die Beschwerdeführerin betonte, dass die Kinder nie geschlagen worden seien.

10. Am 2. Juni 2008 trugen die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht vor, es stimme, dass sie es für wichtig hielten, dass ihre Kinder gute schulische Leistungen erzielten. Jedoch seien sie gegenüber den Kindern nie gewalttätig geworden. Ferner legten sie zwei ärztliche Atteste ihrer Hausärztin Dr. D. vom 29. Mai 2008 vor, in denen bestätigt wurde, dass sie beide Kinder regelmäßig in ihrer Praxis untersucht hatte. Beide Kinder hätten einen ausgeglichenen, stabilen und fröhlichen Eindruck gemacht. Es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass sie Gewalt erfahren hätten. Die Ärztin führte ferner aus, dass sie den Jungen mit Ultraschall untersucht habe. Es habe keine Hinweise auf eine Gewaltanwendung gegenüber dem Jungen gegeben, weder Hämatome noch Verletzungen oder Blutergüsse. Die Beschwerdeführer legten darüber hinaus ärztliche Atteste vor, um zu zeigen, dass das Mädchen tatsächlich krank war, als sie nicht an dem Schulausflug teilnahm. Zudem legten sie eine Reihe von Zeugnissen vor, um darzulegen, dass die Kinder gute Noten hatten, ein angemessenes Sozialverhalten zeigten und selten die Schule versäumten. Schließlich brachten sie vor, dass die Kinder regelmäßig am Sportunterricht teilgenommen hätten. Die Beschwerdeführer behaupteten, es sei möglich, dass das Mädchen die ganze Geschichte erfunden habe, als sie beim Manipulieren von Schulnoten erwischt worden sei.

11. In einem ersten Termin vor dem Amtsgericht am 8. Juli 2008 einigten sich die Parteien darauf, dass eine persönliche Anhörung der Kinder seitens des Gerichts stattfinden solle.

12. Am 16. Juli 2008 hörte der Richter am Amtsgericht die beiden Kinder in Abwesenheit der anderen Verfahrensbeteiligten an. Wie aus dem Gerichtsprotokoll hervorgeht, wurden beide Kinder getrennt voneinander angehört. Das Mädchen erklärte, dass die Beschwerdeführer erheblichen Druck bezüglich guter Schulnoten auf sie ausübten. Sobald die verlangten Ergebnisse nicht erzielt würden, werde sie von ihrem Vater mit Händen und Gegenständen geschlagen. In den vergangenen Jahren habe ihr Vater sie mit einer Eisenstange auf die Fußsohlen geschlagen. Anschließend habe sie ihre Füße ins kalte Wasser halten müssen, um keine Spuren zu hinterlassen. Einmal habe ihre Mutter ihre Beine ausgepeitscht. Sie erklärte ferner, dass sie sich in der Wohngruppe wohl fühle und nicht wieder nach Hause wolle, da sie Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten habe.

13. Der Junge erklärte, dass er seit dem Eintritt in die Schule ständig geschlagen worden sei, wenn er nicht die besten Schulnoten erzielte. Sein Vater habe auch Gegenstände wie eine Eisenstange verwendet. Solange sein Vater gewalttätig sei, wolle er nicht wieder zurück nach Hause.

14. Am 22. Juli 2008 richteten die Beschwerdeführer ein Schreiben an das Amtsgericht, in dem sie bestritten, die Kinder jemals geschlagen zu haben. Sie erklärten, dass ihre Tochter lüge und ihren Bruder manipuliere. Die Ärzte, die bestätigen könnten, dass sie zu keinem Zeitpunkt Symptome körperlicher Gewalt festgestellt hätten, hätten beide Kinder regelmäßig untersucht. Die Kinder hätten regelmäßig am Schul- und Sportunterricht teilgenommen; dabei hätten die Lehrer keine Misshandlungsspuren entdeckt. Die Beschwerdeführer verwiesen auch auf einen Mitarbeiter des städtischen Psychologischen Dienstes, der den Jungen mehrmals begutachtet und keine Anzeichen von körperlicher Gewalt festgestellt habe.

15. Im Hauptsacheverfahren vom 4. August 2008 entzog das Amtsgericht Krefeld den Beschwerdeführern die elterliche Sorge für ihre beiden Kinder und übertrug sie dem Jugendamt. Aufgrund eigener Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der beiden Kinder, war das Gericht überzeugt, dass die Beschwerdeführer ihren Kindern gegenüber mehrfach gewalttätig geworden seien. Nach der Einschulung der Kinder hätten die Eltern erheblichen Druck ausgeübt, der darin gipfelte, dass die Kinder bei schulischen Leistungen, die nicht den Erwartungen entsprachen, körperlich bestraft worden seien. Beide Kinder seien unter anderem mit einer Eisenstange auf die Fußsohlen geschlagen worden.

16. Da das Gericht von der Richtigkeit der Äußerungen der Kinder überzeugt war, hielt es die Einholung eines Glaubwürdigkeitgutachtens nicht für erforderlich. Beide Kinder hätten ihre Aussagen im Beisein ihrer Mutter gegenüber dem Jugendamt bestätigt. Eine inhaltliche Beeinflussung des Jungen durch seine ältere Schwester sei auszuschließen, da die Mitarbeiter des Jugendamts ausdrücklich darauf geachtet hätten, dass die Kinder sich über die Vorfälle nicht unterhalten konnten, bevor auch der Junge befragt worden sei. Obwohl zu berücksichtigen sei, dass das Mädchen möglicherweise über eine lebendige Phantasie verfüge, hielt das Gericht es für ausgeschlossen, dass das Kind seine Eltern über einen so langen Zeitraum zu Unrecht belasten könnte. Ihre Aussagen seien vielmehr durch die Tendenz gekennzeichnet gewesen, ihre Eltern zu entlasten.

17. Das Amtsgericht war unter Berücksichtigung dieser Sachverhalte der Auffassung, dass die Beschwerdeführer derzeit erziehungsunfähig seien und eine Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt mit einer schwerwiegenden Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre.

18. Am 17. September 2008 legten die Beschwerdeführer, die anwaltlich vertreten waren, Beschwerde ein. Am 8. Oktober 2008 trugen die Beschwerdeführer vor, dass die angegriffene Entscheidung auf einer unrichtigen Darstellung des Sachverhalts beruhe. Die Kinder seien insbesondere nie im Beisein ihrer Mutter befragt worden. Darüber hinaus habe das Amtsgericht es versäumt, den erheblichen Sachverhalt vor der Entscheidung über die endgültige Entziehung des elterlichen Sorgerechts hinreichend zu prüfen. Vorliegend sei die Einholung eines Gutachtens über die Glaubwürdigkeit der Kinder unverzichtbar.

19. Zu keinem Zeitpunkt habe es objektive Anhaltspunkte wie blaue Flecken, Verletzungen, häufiges Fehlen in der Schule u. s. w., die auf Misshandlungen hindeuten könnten, gegeben. Jeder Mediziner könne bestätigen, dass auch das Eintauchen ins kalte Wasser die Entstehung von blauen Flecken nicht verhindern könne, wenn die Kinder tatsächlich mit einer Eisenstange geschlagen worden wären. Zudem wären Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Taubheitsgefühl und Schmerzen die Folgen einer derartigen Misshandlung. Diese Symptome seien bei den Kindern zu keinem Zeitpunkt beobachtet worden.

20. Da die Eltern vehement bestritten, ihre Kinder je geschlagen zu haben, gab es ihres Erachtens außer den eigenen Angaben der Kinder keine objektiven Anhaltspunkte für die behauptete Misshandlung. Vor einer so einschneidenden Entscheidung wie der Entziehung des elterlichen Sorgerechts war daher nach Auffassung der Beschwerdeführer ein Sachverständigengutachten einzuholen, um die Glaubwürdigkeit der Kinder zu überprüfen.

21. Am 6. November 2008 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Beschwerde der Beschwerdeführer zurück. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts war das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der Beschwerdeführer und der Kinder aus zutreffenden Gründen davon ausgegangen, dass die elterliche Sorge nach § 1666 BGB (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht", unten) zu entziehen sei.

22. Das Oberlandesgericht teilte die von dem Amtsgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Es komme nicht darauf an, dass das Amtsgericht davon ausgegangen sei, dass die Angaben auch in Gegenwart der Mutter gemacht worden seien.

23. Anhaltspunkte dafür, dass die Kinder, insbesondere das Mädchen, die Beschwerdeführer zu Unrecht belasteten, seien nicht ersichtlich. Dies ergebe sich aus den Gründen, auf die das Amtsgericht sich gestützt habe, und insbesondere dem Umstand, dass die Kinder, denen die Konsequenzen ihrer Vorwürfe voll und ganz bewusst gewesen seien, diese Angaben über einen längeren Zeitraum widerspruchsfrei wiederholt hätten. Dass die Kinder ihre Vorwürfe lediglich aus Angst vor der Reaktion der Lehrerin auf den Versuch des Mädchens, seine Schulnoten zu manipulieren, erfunden und daran festgehalten hätten, könne unter diesen Umständen ausgeschlossen werden.

24. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hatte das Amtsgericht weitere Ermittlungen nicht anzustrengen. Insbesondere sei es nicht darauf angekommen, ob die die Kinder behandelnden Ärzte anlässlich der regelmäßigen Konsultationen Verletzungen festgestellt hätten, weil die Verletzungshandlungen nicht zu sichtbaren Spuren geführt haben müssten bzw. von den Ärzten übersehen worden seien oder zu Zeitpunkten erfolgt sein könnten, in denen kein Arztbesuch bevorstand.

25. Das Amtsgericht sei auch nicht verpflichtet, ein Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Kinder einzuholen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Würdigung von Zeugenaussagen und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen Aufgabe des Gerichts. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nur geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die Zuverlässigkeit einer Zeugenaussage in Frage stellen könnten, und wenn für die Feststellung solcher Faktoren und ihres Einflusses auf den Inhalt einer Zeugenaussage eine besondere Sachkunde erforderlich sei. Solch ein konkreter Anhaltspunkt könne nicht bereits von der Tatsache abgeleitet werden, dass die Beweisperson in kindlichem oder jugendlichem Alter war. Amtsgericht und Oberlandesgericht seien mangels entgegenstehender konkreter Umstände in der Lage gewesen, die Glaubwürdigkeit der Angaben der vom Amtsgericht angehörten Kinder ohne Hilfe eines Sachverständigen zu beurteilen.

26. Am 3. März 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne weitere Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zur Entscheidung anzunehmen.

B. Weitere Entwicklungen

27. Am 17. März 2009 beantragten die Beschwerdeführer beim Amtsgericht, ihnen ein Umgangsrecht mit ihren Kindern zu gewähren. In einem Termin vor dem Amtsgericht am 7. Juli 2009 wurde für den 16. Juli 2009 ein Treffen mit den Eltern, den Kindern und dem Jugendamt vereinbart.

28. Während des Treffens am 16. Juli 2009 gestand die Tochter, dass sie gelogen habe und die Vorwürfe, die sie im vergangenen Jahr gemacht hatte, nicht wahr seien. Der Sohn bestätige dies. Das Mädchen übergab auch je einen an ihre Eltern und an das Amtsgericht gerichteten Brief, in denen sie gestand, dass sie gelogen habe, und den Wunsch äußerte, zu ihrer Familie zurückzukehren.

29. Am 28. August 2009 bestätigten beide Kinder gegenüber dem Amtsrichter, dass ihre Eltern sie nie geschlagen hätten. Die Parteien vereinbarten, die Umgangskontakte zwischen den Beschwerdeführern und ihren Kindern mit dem Ziel der Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt auszubauen.

30. Am 9. Oktober 2009 kehrten die Kinder in den Haushalt der Beschwerdeführer zurück. Am 13. April 2010 hob das Amtsgericht seinen Beschluss vom 4. August 2008 auf und übertrug den Beschwerdeführern die elterliche Sorge zurück.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT

31. § 1666 BGB sieht vor, dass das Gericht bei einer Gefährdung des Kindeswohls die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat. Nach § 1666a Abs. 1 sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von den Eltern verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen (§ 1666a Abs.2).

32. Nach § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

33. Die Beschwerdeführer rügten, dass die Entziehung des Sorgerechts sie in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention verletze; Artikel 8 lautet wie folgt:

"1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer."

34. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

35. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführer zwei Individualbeschwerden beim Gerichtshof eingereicht haben, die erste (Nr. 18734/09) betreffend die Inobhutnahme ihrer Kinder und die zweite (Nr. 9242/11) betreffend die Verweigerung einer Entschädigung seitens der Behörden. Angesichts des ähnlichen Gegenstands der Individualbeschwerden hält es der Gerichtshof für angemessen, diese zu verbinden.

36. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 der Konvention ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Das Vorbringen der Beschwerdeführer

37. Die Beschwerdeführer rügten insbesondere, dass die innerstaatlichen Behörden den erheblichen Sachverhalt nicht hinreichend geprüft hätten. Das Jugendamt und die Familiengerichte stützten sich ausschließlich auf die Aussagen der Kinder, die nicht durch Tatsachenbeweise bestätigt würden. Die Eltern hingegen hätten sämtliche Behauptungen häuslicher Gewalt fortwährend zurückgewiesen.

38. Im vorliegenden Fall gebe es genügend Gründe, den Behauptungen der Kinder zu misstrauen. Das Tagebuch des Mädchens, das auszugsweise den Gerichten vorgelegt worden sei, enthalte keine Hinweise darauf, dass sie Gewalt erfahren hätte. Die Hausärztin der Familie habe keine Hinweise auf jegliche Form der Misshandlung feststellen können. Die ärztlichen Atteste seien den Gerichten vorgelegt worden. Es sei ferner dargelegt worden, dass die Kinder regelmäßig an Freizeitaktivitäten teilgenommen hätten. Dasselbe gelte für die Zeugnisse der Kinder und die Tatsache, dass sie nur selten den Unterricht versäumt hätten. Wären sie den behaupteten Misshandlungen tatsächlich ausgesetzt gewesen, hätten sie zwangsläufig für längere Zeit in der Schule fehlen müssen.

39. Die Beschwerdeführer wiesen ferner darauf hin, dass die innerstaatlichen Gerichte eine weitere Beweiserhebung ablehnten. Weder die Lehrer der Kinder, noch die Hausärztin der Familie seien formell angehört worden. Die Gerichte ignorierten die ärztlichen Atteste und stellten keine Nachforschungen bei den Sportclubs der Kinder an. Zudem berücksichtigten sie nicht, dass auch der Mitarbeiter des Psychologischen Dienstes der Stadt, der beide Kinder kenne, keine Hinweise auf körperliche Misshandlungen festgestellt habe.

40. Auch hätten die innerstaatlichen Behörden die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sich die Kinder im Vorfeld über ihre Aussage vor Gericht verständigt hätten, und sie hätten die Kinder nicht getrennt voneinander angehört. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts seien die Kinder in der Lage gewesen, auf Türkisch zu kommunizieren, als sie in die Obhut des Jugendamts genommen worden seien.

2. Die Stellungnahmen der Regierung

41. Nach Auffassung der Regierung war die Entziehung der elterlichen Sorge notwendig, um das Wohl der Kinder zu schützen. Die Regierung wies darauf hin, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung betont habe, dass bei der Herbeiführung eines gerechten Ausgleichs zwischen den betroffenen Interessen das Kindeswohl im Vordergrund stehe. Die innerstaatlichen Entscheidungen in der vorliegenden Rechtssache seien ausschließlich so zu verstehen, dass sie dem Kindeswohl dienten.

42. Das Amtsgericht habe alle Verfahrensbeteiligten angehört. Die Aussagen der Kinder sowohl beim Jugendamt als auch vor dem Richter reichten aus, um den Schluss des Gerichts zuzulassen, dass das Wohl der Kinder ernsthaft gefährdet sei. Beide Kinder hätten beschrieben, wie sie von ihren Eltern geschlagen worden seien. Es gebe keinen Grund für eine weitere Beweisaufnahme. Die Regierung führte aus, dass hierbei die Bewertung des Sachverhalts durch das Amtsgericht aus einer ex ante Perspektive zu betrachten sei. Die Tatsache, dass die Kinder ein Jahr später, im Jahr 2009, ausgesagt hätten, sie hätten damals vor Gericht gelogen, müsse unberücksichtigt bleiben.

43. Zum damaligen Zeitpunkt hätte für das Amtsgericht kein Grund bestanden, an der Glaubwürdigkeit der Kinder zu zweifeln. Das Gericht hörte die Kinder getrennt voneinander und in Abwesenheit anderer Personen an. Beide Kinder schilderten dabei die gleichen Sachverhalte. Wenn es sich bei diesen Aussagen tatsächlich um Falschaussagen gehandelt haben sollte, dann hätte der Familienrichter davon ausgehen müssen, dass sich die Kinder im Vorfeld über ihre Aussagen verständigt hätten. Diese Annahme sei jedoch bei einem 8- und einer 12-Jährigen fernliegend. Außerdem stimmten die Aussagen der Kinder mit ihrer früheren Darstellung gegenüber dem Jugendamt überein. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Kinder bereits zwei Monate von ihren Eltern getrennt gewesen seien. Dementsprechende habe zumindest der 12-jährigen Tochter die Auswirkungen einer etwaigen falschen Aussage bewusst sein müssen. Schließlich hielten auch die Lehrerin der Kinder sowie der Leiter der Beratungsstelle des Deutschen Kinderschutzbundes in Krefeld, der den Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen hatte, die Aussagen der Kinder für glaubhaft. Auch später hätten sich die Kinder stets entsprechend ihrer Aussage vor Gericht geäußert.

44. Allein der Umstand, dass minderjährige Kinder vor Gericht vernommen würden, impliziere nicht automatisch, dass ihnen nicht geglaubt werden könne und zwangsläufig ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten aufgrund der Aussagen der Kinder, an deren Glaubwürdigkeit kein Zweifel bestanden hätte, davon ausgehen müssen, dass die Beschwerdeführer gegenüber ihren Kindern massiv gewalttätig geworden sind. Die Entscheidung sei somit zum damaligen Zeitpunkt notwendig und verhältnismäßig gewesen, um das Wohl der Kinder zu schützen.

3. Würdigung durch den Gerichtshof

45. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass die Bundesregierung nicht bestreitet, dass die Entziehung des elterlichen Sorgerechts in das nach Artikel 8 der Konvention geschützte Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens eingriffen hat. Der Gerichtshof bestätigt diese Bewertung. Jeder Eingriff dieser Art stellt eine Verletzung von Artikel 8 dar, es sei denn, er ist „gesetzlich vorgesehen", verfolgte ein oder mehrere Ziele, die nach Absatz 2 dieser Bestimmung legitim sind, und kann als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" angesehen werden.

46. Der Gerichtshof stellt fest, dass die angegriffene Maßnahme den Erfordernissen des innerstaatlichen Rechts entsprach und das legitime Ziel des Schutzes der Rechte anderer verfolgte, nämlich der Rechte der Kinder der Beschwerdeführer. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass er bei der Frage, ob ein Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war, zu prüfen hat, ob die zur Rechtfertigung der Maßnahmen angeführten Gründe, im Lichte des Falles als Ganzem, „zutreffend und ausreichend" waren und ob der Entscheidungsprozess fair war und die gebührende Achtung der Rechte der Beschwerdeführer aus Artikel 8 sicherstellte.

47. Bei der Prüfung der zur Rechtfertigung der Maßnahmen angeführten Gründe und des Entscheidungsprozesses berücksichtigt der Gerichtshof gebührend die Tatsache, dass die innerstaatlichen Behörden den Vorteil hatten, mit allen Beteiligten unmittelbar in Verbindung zu stehen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofs, an Stelle der nationalen Behörden deren Aufgaben in Fragen des Sorgerechts wahrzunehmen (vgl. u.v.a, H. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 11057/02, Rdnr. 89, ECHR 2004-III). Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Behörden einen großen Ermessensspielraum haben, insbesondere bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kind in Pflege zu nehmen ist. Dagegen ist eine genauere Kontrolle bei weitergehenden Beschränkungen erforderlich, wie beispielsweise bei Einschränkungen des Umgangsrechts der Eltern (siehe z.B. E. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25735/94, Rdnr. 64, ECHR 2000-VIII und A.D. und O.D. ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 28680/06, Rdnr. 83, 16. März 2010).

48. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Fehlurteile oder -einschätzungen von Fachkräften nicht per se dazu führen, dass Maßnahmen betreffend die Sorge für die Person des Kindes mit den Erfordernissen von Artikel 8 der Konvention unvereinbar sind. Die Behörden, sowohl im medizinischen als auch im sozialen Bereich, sind zum Schutz von Kindern verpflichtet und können nicht jedes Mal dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ein echter und gerechtfertigter Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Sicherheit von Kindern im Verhältnis zu Mitgliedern ihrer Familie sich - rückblickend - als fehlgeleitet erweist (R.K. und A.K. ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr.. 38000/05, Rdnr. 36, 30. September 2008 und A.D. und O.D., a.a.O., Rdnr. 84). Daraus folgt, dass die innerstaatlichen Entscheidungen nur im Lichte der Sachlage geprüft werden können, wie sie sich den innerstaatlichen Behörden zum Zeitpunkt der Entscheidungen dargestellt hat.

49. Im Hinblick auf die Umstände der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass sich die innerstaatlichen Behörden zumindest dem ersten Anschein nach glaubhaften Behauptungen schweren körperlichen Missbrauchs gegenüber sahen. Der Gerichtshof ist daher der Ansicht, dass das Amtsgericht Krefeld auf der Grundlage der schweren Vorwürfe der Kinder hinreichende Gründe dafür hatte, die Kinder im Wege der einstweiligen Anordnung unverzüglich aus ihrer Familie herauszunehmen, um einen möglichen weiteren Missbrauch zu verhindern. Daraus folgt, dass die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vom 23. Mai 2008 die Rechte der Beschwerdeführer aus Artikel 8 der Konvention nicht verletzte.

50. Es bleibt noch festzustellen, ob die Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die endgültige Entziehung der elterlichen Sorge die Rechte der Beschwerdeführer aus Artikel 8 der Konvention hinreichend gewährleistete. Der Gerichtshof stellt fest, dass der einzige Beweis, auf den das Amtsgericht Krefeld seine Entscheidung vom 4. August 2008 stützte, die persönlichen Äußerungen der beiden Kinder gegenüber dem Jugendamt und vor dem Amtsgericht waren. Es gab keinen objektiven Beweis für den behaupteten Missbrauch. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Amtsgericht zwar den Vorteil des unmittelbaren Kontakts zu den Kindern hatte, das Berufungsgericht hingegen seine Bewertung ausschließlich auf den Inhalt der Verfahrensakte stützte, ohne die Kinder erneut persönlich anzuhören. Die Beschwerdeführer wiederum stützten sich auf die Aussagen der behandelnden Ärzte der Kinder und eines Psychologen, die den Jungen wiederholt untersucht und keinen Hinweis auf einen Missbrauch festgestellt hatten. Sie wiesen ferner darauf hin, dass die Kinder regelmäßig die Schule besucht und an sportlichen Aktivitäten teilgenommen hätten. Auch wurde vor den innerstaatlichen Gerichten nicht bestritten, dass das Mädchen eine lebhafte Phantasie hatte. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass diese Tatsachen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Behauptungen der Kinder aufkommen lassen.

51. Der Gerichtshof stellt weiterhin fest, dass die innerstaatlichen Gerichte bei ihrer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht unter Druck standen, eine übereilte Entscheidung zu treffen, nachdem die Kinder sicher in einer Wohngruppe für Kinder untergebracht waren. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass die deutschen Familiengerichte nach § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen (siehe Rdnr. 33) verpflichtet sind, von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, und dass die Bundesregierung keine tatsächlichen Gründe angeführt hat, aus denen die innerstaatlichen Gerichte daran gehindert hätten sein können, den Sachverhalt vor Erlass einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren weiter zu untersuchen. Unter diesen Umständen und im Hinblick auf die schwerwiegenden Auswirkungen, die die vollständige Entziehung der elterlichen Sorge der Beschwerdeführer auf die Familie insgesamt hatte, vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass die innerstaatlichen Gerichte im Hauptsacheverfahren keine hinreichenden Gründe dafür angeführt haben, den Beschwerdeführern die elterliche Sorge zu entziehen.

52. Folglich ist Artikel 8 der Konvention verletzt worden.

II. ANDERE BEHAUPTETE KONVENTIONSVERLETZUNGEN

53. Die Beschwerdeführer rügen nach Artikel 8 der Konvention, dass ihnen der Umgang mit ihren Kindern während ihrer Obhutnahme verwehrt worden sei. Darüber hinaus beanstanden sie nach Artikel 14 der Konvention, gegenüber Eltern deutscher Herkunft diskriminiert worden zu sein. Abschließend rügen sie nach Artikel 3 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention, dass ihnen eine Entschädigung für die fehlerhaften Entscheidungen der deutschen Gerichte versagt worden sei.

54. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und soweit die gerügten Angelegenheiten unter seine Zuständigkeit fallen, stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass hier keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten ersichtlich sind.

Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

III. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION

55. Artikel 41 der Konvention lautet:

„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist."

A. Schaden

56. Die Beschwerdeführer verlangen die Zahlung von insgesamt 35.923,74 Euro in Bezug auf den materiellen Schaden. Sie trugen vor, sie hätten in eine andere Stadt ziehen müssen, weil sie es nicht hätten ertragen können, in Krefeld zu leben, nachdem ihnen die Kinder weggenommen worden seien. Die Ausgaben für den Umzug in eine neue Wohnung, einschließlich der Anschaffung neuer Möbel und zusätzlicher Ausgaben, sowie die Unterbringungskosten in Höhe von 1.834,93 Euro, die sie an das Jugendamt zahlen mussten, finanzierten sie mit einem Kredit in Höhe von 21.095,34 Euro. Darüber hinaus brachten sie vor, der erste Beschwerdeführer sei infolge erheblicher Traumatisierung arbeitslos geworden, und errechneten einen Verdienstausfall in Höhe von 14.828,40 Euro.

57. Die Regierung führte aus, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen dem behaupteten Verstoß und dem Umzug bestehe, der eine freiwillige Entscheidung der Beschwerdeführer gewesen sei. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer den behaupteten Verdienstausfall sowie den kausalen Zusammenhang zwischen der behaupteten Verletzung ihrer Konventionsrechte und des Verlusts des Arbeitsplatzes des Beschwerdeführers nicht substantiiert.

58. Der Gerichtshof kann keinen hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen der festgestellten Verletzung, dem Umzug der Beschwerdeführer, der Anschaffung neuer Möbel, den Kosten des Privatkredits und dem behaupteten Verdienstausfall erkennen. Jedoch spricht er den Beschwerdeführern 1.834,93 in Euro für die Unterbringungskosten der Kinder, als sie in behördlicher Obhut standen, zu.

59. Die Beschwerdeführer verlangten ferner jeweils 55.000 EUR als Entschädigung für den immateriellen Schaden. Sie trugen vor, dass sie 497 Tage von ihren Kindern getrennt gewesen seien, dass sie mit der Tatsache leben müssten, dass ihre Tochter im Heim sexuell missbraucht worden sei, und dass der erste Beschwerdeführer seinen Arbeitsplatz verloren habe.

60. Die Regierung hielt den von den Beschwerdeführern geltend gemachten Betrag für überzogen. Angesichts der Tatsache, dass die innerstaatlichen Gerichte keinen Grund gehabt hätten, an der Glaubwürdigkeit der Behauptung der Kinder zu zweifeln, sei es in der vorliegenden Rechtssache nicht angezeigt, eine Entschädigung für immaterielle Schäden zuzusprechen.

61. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Beschwerdeführer aufgrund der Verletzung ihrer Rechte vor den innerstaatlichen Gerichten große Angst und Frustration verspürt haben müssen. Im Hinblick ferner auf die weitreichenden Folgen, die die angefochtenen Entscheidungen für die Familie der Beschwerdeführer insgesamt hatten, entscheidet der Gerichtshof nach Billigkeit und spricht jedem Beschwerdeführer unter dieser Rubrik 25.000 Euro zu.

B. Kosten und Auslagen

62. Die Beschwerdeführer, die sich auf Belege stützen, verlangten 3.078,74 EUR für Kosten und Auslagen vor den innerstaatlichen Gerichten. Darüber hinaus machten sie einen Pauschalbetrag in Höhe von 300 Euro für Fahrtkosten, Porto, Papier und Arztkosten geltend.

63. Nach Auffassung der Regierung haben sie lediglich Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 2.095,41 Euro nachgewiesen.

64. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Beschwerdeführer nur soweit Anspruch auf Ersatz von Kosten und Auslagen, als nachgewiesen wurde, dass diese tatsächlich und notwendigerweise entstanden waren und der Höhe nach angemessen sind. In der vorliegenden Rechtssache hält es der Gerichtshof unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der oben genannten Kriterien für angemessen, für Kosten und Auslagen im innerstaatlichen Verfahren 2.095,41 EUR zuzusprechen.

C. Verzugszinsen

65. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde zu legen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Individualbeschwerden werden verbunden;
2. Die Rüge nach Artikel 8 der Konvention bezüglich der Entziehung der elterlichen Sorge wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;
3. Artikel 8 der Konvention ist verletzt worden;
4. a) Der beschwerdegegnerische Staat hat den Beschwerdeführern binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem das Urteil nach Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, folgende Beträge zu zahlen:
i) an beide Beschwerdeführer zusammen 1.834,93 Euro (eintausendachthundertvierunddreißig Euro und dreiundneunzig Cent) für den materiellen Schaden, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
ii) an jeden Beschwerdeführer 25.000 EUR (fünfundzwanzigtausend Euro) für den immateriellen Schaden, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
iii) an beide Beschwerdeführer zusammen 2.095,41 Euro (zweitausendundfünfundneunzig Euro und einundvierzig Cent) für Kosten und Auslagen, zuzüglich der den Beschwerdeführern gegebenenfalls zu berechnenden Steuern;
b) Nach Ablauf der vorgenannten Frist von drei Monaten fallen für die obengenannten Beträge bis zur Auszahlung einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;
5. Im Übrigen wird die Forderung der Beschwerdeführer nach gerechter Entschädigung zurückgewiesen. ..." (EGMR, Urteil vom 14.03.2013 - 18734/09, 9424/11)

***

„... SACHVERHALT

Der 19… geborene Beschwerdeführer, Herr D., ist deutscher Staatsangehöriger und in B. wohnhaft.

A. Die Umstände des Falls

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

1. Der Hintergrund der Rechtssache

Der Beschwerdeführer hat einen Sohn, der 1995 nichtehelich geboren wurde. Noch im selben Jahr erkannte er die Vaterschaft für das Kind an. Da die Eltern keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben hatten, erhielt die Mutter nach § 1626a Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (‚BGB' - siehe ‚Das einschlägige innerstaatliche Recht') die alleinige elterliche Sorge.

Von 1995 bis Dezember 1997, als die Eltern sich trennten und die Mutter in eine andere Wohnung in der Nachbarschaft umzog, lebten der Beschwerdeführer und die Kindesmutter zusammen mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt in B. Im Zeitraum von Januar 1998 bis Januar 2002 betreuten beide Eltern das Kind wöchentlich abwechselnd im selben Umfang.

Im Januar 2002 verzog die Mutter mit dem Sohn von B. nach S., einer Stadt, die 650 km von B. entfernt ist, ohne dies mit dem Beschwerdeführer abgesprochen zu haben. Die Mutter behauptete, sie sei umgezogen, weil das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit dem Wohl des Kindes geschadet habe.

2. Das Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge und des Umgangs

(a) Das Verfahren bis zur Regelung des Umgangsrechts des Beschwerdeführers

Mit Schriftsätzen vom 29. Januar und 1. Februar 2002 beantragte der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht B., ihm die elterliche Sorge, hilfsweise das für das Kind zu übertragen. Außerdem beantragte der Beschwerdeführer Umgang mit seinem Sohn abwechselnd wöchentlich sowie darüber hinaus eine einstweilige Anordnung hinsichtlich einer vorläufigen Regelung seines Umgangs mit dem Kind.

Mit Schreiben vom 6. Februar 2002 teilte das Gericht dem Beschwerdeführer mit, dass die Sache an das Amtsgericht S. abgegeben worden sei; dort wurden zwei getrennte Verfahren eröffnet: ein Verfahren über die Übertragung des Sorgerechts auf den Beschwerdeführer (Az.: 41 F 36/02) und ein weiteres Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf Umgang mit seinem Sohn (Az.: 41 F 37/02). In der Folgezeit wurden die Verfahren weitgehend gleichzeitig geführt.

Am 1. März 2002 erstattete der Beschwerdeführer Strafanzeige gegen die Mutter u. a. wegen Kindesentziehung. Das daraufhin gegen die Mutter eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Nachdem die Mutter den Beschwerdeführer beschuldigt hatte, das Kind sexuell missbraucht zu haben, leitete die Staatsanwaltschaft B. gegen ihn ein Ermittlungsverfahren ein.

Am 21. Juni 2002 teilte das Jugendamt S. dem Amtsgericht mit, dass es eine Stellungnahme zu der Frage, wie der Umgang des Vaters mit dem Sohn geregelt werden sollte, nicht abgeben könne, da die Mutter Gesprächsangebote abgelehnt habe.

Bei einer Anhörung im Verfahren über das Umgangsrecht (Az.: 41 F 37/02) am 26. Juni 2002 beantragte der Beschwerdeführer unbetreuten Umgang mit seinem Sohn.

Mit Beschluss vom 5. November 2002 räumte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer im Wege der einstweiligen Anordnung betreuten Umgang unter Einschaltung des Ortsverbandes S. (nahe S.) des Deutschen Kinderschutzbundes ein. Das Gericht wies den Antrag des Beschwerdeführers auf unbetreuten Umgang mit der Begründung ab, dass darüber erst im Hauptsacheverfahren entschieden werden könne, nachdem das Gericht ein Gutachten zu einer möglichen Regelung des Umgangs zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn eingeholt habe.

In den Hauptsacheverfahren (Az.: 41 F 37/02 and 41 F 36/02) wurden die Eltern und das Kind am 11. bzw. 18. Dezember 2002 angehört. Das Kind äußerte den Wunsch, abwechselnd eine Woche bei seiner Mutter und eine Woche bei seinem Vater zu verbringen.

Mit Beschluss vom 14. Januar 2003 ordnete das Amtsgericht S. ein psychologisches Sachverständigengutachten zu der Frage an, welche Ausgestaltung des Sorge- und Umgangsrechts dem Kindeswohl dienlich wäre, und bestellte eine Gutachterin. Beide Elternteile wandten sich gegen die Entscheidung des Gerichts und lehnten die Gutachterin ab. Später weigerte sich die Mutter, mit der Gutachterin zusammenzuarbeiten.

Zwischen dem 27. Dezember 2002 und dem 18. Juli 2003 hatte der Beschwerdeführer in etwa zwölf Mal betreuten Umgang mit seinem Sohn in den Räumlichkeiten des Kinderschutzbundes Schifferstadt. Dann stellte er die Besuche ein, da er die Bedingungen, unter denen der Umgang mit seinem Sohn stattfand, als für das Wohl des Kindes schädlich ansah.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2003 teilte die Staatsanwaltschaft B. dem Beschwerdeführer mit, dass das 2002 gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs seines Sohnes eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.

Am 2. und 16. Juli 2003 beantragte der Beschwerdeführer erneut im Wege einer einstweiligen Anordnung ein unbetreutes Umgangsrecht und verwies zur Begründung darauf, dass nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens kein Grund mehr bestehe, sein Recht auf Umgang mit seinem Sohn Einschränkungen zu unterwerfen.

In einem Beschluss vom 16. Januar 2004, mit dem die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags des Beschwerdeführers gegen den mit der Sache befassten Richter am Amtsgericht S. bestätigt wurde, wies das Oberlandesgericht Zweibrücken darauf hin, dass eine missbräuchliche Vereitelung des Umgangs des Beschwerdeführers mit dem Kind durch die Mutter Zweifel an ihrer Erziehungseignung begründen und sogar den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts zur Folge haben könne.

Mit Beschluss vom 27. Januar 2004 gab das Amtsgericht den Parteien auf, mit der Sachverständigen zusammenzuarbeiten, und drohte im Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld bis zu 2.000,00 Euro an.

Am 29. Januar 2004 verbrachte der Beschwerdeführer mit Einverständnis der Mutter vier Stunden allein mit seinem Sohn.

Ein erstes Treffen zwischen der Sachverständigen und der Mutter fand im März 2004 statt.

Am 11. März 2004 hob das Oberlandesgericht Zweibrücken den Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Januar 2004 auf und stellte fest, dass Eltern zwar nach dem Gesetz nicht verpflichtet seien, ihr Kind begutachten zu lassen, und ihnen deshalb auch kein Zwangsgeld angedroht werden könne, die beharrliche Weigerung der Mutter, mit der Sachverständigen zusammenzuarbeiten, im vorliegenden Fall jedoch Zweifel an ihrer Geeignetheit zur Ausübung der elterlichen Sorge aufkommen lassen könne.

Mit Beschluss vom 27. Mai 2004 wies das Amtsgericht S. den Antrag des Beschwerdeführers ab, seinen Beschluss vom 5. November 2002 abzuändern und ihm nicht betreuten Umgang mit seinem Sohn einzuräumen. Das Gericht stellte fest, dass in Anbetracht der von der Mutter erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs ein nicht betreuter Umgang erst dann in Betracht kommen könne, wenn das Gutachten vorliege und Klarheit in Bezug auf den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen bestehe.

Am 18. Juni 2004 sprach die Sachverständige mit dem Kind.

Am 5. und 8. Juli 2004 beantragte der Beschwerdeführer im Wege einer einstweiligen Anordnung erneut unbetreuten Umgang mit seinem Sohn.

Nachdem ein Richterwechsel stattgefunden hatte, bestellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. Juli 2004 eine Verfahrenspflegerin für das Kind.

Am 5. August 2004 wurden die Eltern und das Kind erneut angehört.

Mit Beschluss vom 11. August 2004 bestellte das Amtsgericht einen neuen Sachverständigen, nachdem hinsichtlich der Kompetenz und Objektivität der zunächst bestellten Gutachterin Zweifel entstanden waren.

Mit Beschluss vom selben Tag wies das Amtsgericht nach Anhörung der Eltern und des Kindes sowie unter Bezugnahme auf eine schriftliche Stellungnahme der zunächst bestellten Gutachterin vom 8. Juli 2004 den erneuten Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung des unbetreuten Umgangs bis zur Fertigstellung eines Gutachtens durch den neu bestellten Sachverständigen ab. Das Gericht war nach Anhörung der Mutter der Auffassung, dass die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs nicht gänzlich unsubstantiiert seien und deshalb auf ein Sachverständigengutachten nicht verzichtet werden könne. Die ausdrückliche Weigerung des Beschwerdeführers, seinen Sohn unter den Bedingungen eines betreuten Umgangs zu sehen oder andere Formen des betreuten Umgangs zu akzeptieren, ließen Zweifel an der Bedeutung aufkommen, die er dem Wohl des Kindes zumesse.

Das Gutachten wurde am 12. November 2004 erstattet, nachdem die Eltern und das Kind befragt worden waren. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass es unter den gegebenen Umständen dem Kindeswohl abträglich wäre, der Mutter das Sorgerecht zu entziehen und die alleinige Sorge dem Vater zu übertragen. Ein gemeinsames Sorgerecht diene dem Kindeswohl auch nicht, denn das Verhältnis zwischen den Eltern sei immer noch angespannt. Der Sachverständige empfahl jedoch regelmäßigen Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Sohn. Zunächst könne vorgesehen werden, dass der Vater seinen Sohn an jedem zweiten Wochenende in S. besucht; nach einer Probezeit von sechs Monaten könnten längere Aufenthalte des Kindes im Haushalt des Vaters in Betracht gezogen werden.

Nachdem sie die Eltern und das Kind angehört hatte, sprach sich die Verfahrenspflegerin in ihren schriftlichen Stellungnahmen vom 3. und 27. Dezember 2004 ebenfalls gegen eine Übertragung des Sorgerechts auf den Beschwerdeführer aus, empfahl aber, ihm sofort ein Recht auf unbetreuten Umgang mit seinem Sohn einzuräumen. Die Verfahrenspflegerin wies darauf hin, dass nach dem anwendbaren Recht die Übertragung der Alleinsorge auf den nichtehelichen Vater, wenn die Zustimmung der Mutter nicht vorliege, nach § 1666 BGB nur dann möglich sei, wenn die Mutter erziehungsunfähig und dadurch das Wohl des Kindes gefährdet sei. Der Mutter könne zwar vorgeworfen werden, dass sie den Sohn ohne einen triftigen Grund aus seiner vertrauten Umgebung in B. herausgerissen und ihm den Vater als Bezugsperson entzogen habe, aber es gebe keine Anhaltspunkte für die Behauptungen des Beschwerdeführers, dass sie psychisch gestört und deshalb erziehungsunfähig sei. Die Verfahrenspflegerin war ferner der Meinung, dass in Anbetracht der anhaltenden Streitigkeiten und der Uneinigkeit zwischen den Eltern über die Erziehung des Kindes ein gemeinsames Sorgerecht ebenfalls ausscheide.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2005 räumte das Amtsgericht S. dem Beschwerdeführer unbetreuten Umgang mit dem Kind an jedem zweiten Wochenende mit der Maßgabe ein, dass die Begegnungen im Umkreis von 30 km vom Wohnsitz der Mutter stattfinden müssten. Gegen diesen Beschluss legten beide Parteien Rechtsmittel ein.

Mit Beschluss vom 15. Juli 2005 änderte das Oberlandesgericht Zweibrücken den Beschluss des Amtsgerichts vom 2. Februar 2005 ab und gewährte dem Beschwerdeführer regelmäßigen unbetreuten Umgang mit dem Kind an jedem dritten Wochenende sowie während der Hälfte der Schulferien.

In der Folgezeit konnte der Beschwerdeführer sein Umgangsrecht anscheinend dementsprechend ausüben.

(b) Das Sorgerechtsverfahren im Übrigen

Im Rahmen der Vorbereitung auf einen Sitzungstermin in dem noch immer anhängigen Sorgerechtsverfahren, in dem der Sachverständige sein Gutachten vom 12. November 2004 näher erläutern sollte, beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht S. die Zulassung eines Diplom-Pädagogen, der den psychologischen Sachverständigen an seiner Stelle befragen sollte, da weder er noch sein Anwalt über den erforderlichen psychologischen Sachverstand verfügten, um die relevanten Fragen zu stellen. Mit Beschluss vom 25. Juli 2005 wies das Gericht den Antrag des Beschwerdeführers mit der Feststellung zurück, sein Anwalt habe dem Sachverständigen bereits schriftlich eine Liste mit relevanten Fragen vorgelegt, die den von ihm behaupteten Mangel an Sachverstand nicht erkennen lasse. Das Gericht war außerdem der Meinung, dass der vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Pädagoge nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfüge. Unter Hinweis darauf, dass Verhandlungen in Familiensachen grundsätzlich nicht öffentlich seien und die Zulassung von weiteren Beiständen für die Parteien deshalb die Ausnahme bleiben müsse, vertrat das Gericht die Auffassung, dass außergewöhnliche Umstände, die eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen würden, im vorliegenden Fall nicht gegeben seien.

Am 19. Juni 2006 fand eine mündliche Verhandlung statt, in welcher der Sachverständige weitere Ausführungen machte. Die Verfahrenspflegerin berichtete, dass das Kind nach seinem letzten Besuch beim Vater Anfang Juni 2006 den Wunsch geäußert habe, er wolle jetzt bei seinem Vater wohnen und seine Mutter nur besuchen.

Mit Beschluss vom 23. August 2006 wies das Amtsgericht S. den Antrag des Beschwerdeführers zurück, ihm nach § 1672 bzw. 1666 BGB die alleinige elterliche Sorge für das Kind, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Seinen weiter hilfsweise gestellten Antrag, die gemeinsame Sorge herzustellen und die nach § 1672 Abs. 1 BGB erforderliche Zustimmung der Mutter hierzu nach Art. 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB, einer vom deutschen Gesetzgeber am 31. Dezember 2003 eingeführten Übergangsvorschrift (siehe ‚Das einschlägige innerstaatliche Recht'), zu ersetzen, wies das Gericht ebenfalls zurück.

In Bezug auf die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge stellte das Gericht zunächst fest, dass der Antrag des Beschwerdeführers, sofern er nach § 1672 BGB gestellt sei, als unzulässig zurückgewiesen werden müsse. Das Gericht wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer und die Kindesmutter niemals miteinander verheiratet gewesen seien und keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben hätten und dass die elterliche Sorge daher nach § 1626a BGB der Mutter allein zustehe. Gemäß § 1672 Abs. 1 könne, wenn die Kindeseltern nicht nur vorübergehend getrennt lebten und die elterliche Sorge für das Kind nach § 1626a BGB der Mutter zustehe, der Vater nur mit Zustimmung der Mutter beantragen, dass ihm das Gericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein übertrage. Da die Mutter im vorliegenden Fall ihre Zustimmung verweigert habe, scheide § 1672 Abs. 1 als Rechtsgrundlage für den diesbezüglichen Antrag des Vaters aus. Auf die Gründe, aus denen die Mutter die Zustimmung verweigert habe, komme es nicht an, denn die genannte Vorschrift sehe die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersetzung der Zustimmung der Mutter grundsätzlich nicht vor. Dabei sei leider hinzunehmen, dass nach wie vor keine Gleichstellung von Vätern nichtehelicher Kinder mit den Vätern ehelicher Kinder erreicht sei.

Anschließend befasste sich das Gericht mit der Frage, ob eine Übertragung des Sorgerechts durch eine Gerichtsentscheidung ohne Zustimmung der Mutter unter den in § 1666 BGB genannten Ausnahmen in Betracht kommen könnte; danach sei das Familiengericht befugt, die erforderlichen Schutzmaßnahmen anzuordnen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet sei und die Eltern nicht gewillt seien, selbst Maßnahmen zu ergreifen. Das Gericht war jedoch insbesondere unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten vom 12. November 2004, das in der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2006 ergänzt worden war, der Auffassung, dass das Wohl des Kindes im vorliegenden Fall durch das alleinige Sorgerecht der Mutter nicht gefährdet sei. Der Sachverständige hatte festgestellt, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Kindeswohl widersprechen würde, insbesondere im Hinblick auf das angespannte Verhältnis zwischen den Eltern, das im Wesentlichen darauf zurückzuführen sei, dass der Vater versuche, die von der Mutter geleistete Erziehungsarbeit zu untergraben. Die früher von der Mutter erhobenen sexuellen Missbrauchsvorwürfe könnten nicht zu einer anderen Einschätzung führen, denn sie habe diese Vorwürfe vor ihm nicht aufrechterhalten und aus der Exploration des Kindes ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Vater und Sohn infolge der Behauptungen der Mutter Schaden genommen habe. Der Sachverständige führte weiter aus, dass es keine Anhaltspunkte für die Behauptung des Vaters gebe, dass die Mutter an einer pathologischen Persönlichkeitsstörung leide und deshalb erziehungsunfähig sei. Dass das Kind nach seinem letzten Aufenthalt bei seinem Vater im Juni 2006 den Wunsch geäußert habe, er wolle nunmehr auch einmal bei seinem Vater leben und seine Mutter nur besuchen, sei eine normale Konfliktreaktion eines Kindes, dessen Eltern sich getrennt haben. Doch da der Sohn erst 11 Jahre alt und deshalb nicht fähig sei, sich die Konsequenzen eines Umzugs zu seinem Vater vorzustellen, könnten die Äußerungen des Kindes keine Änderung seiner Schlussfolgerung, nämlich die alleinige elterliche Sorge der Mutter beizubehalten, bewirken.

Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen deckten sich mit den Schilderungen der Verfahrenspflegerin in der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2006; sie hatte kurz vor dem Verhandlungstermin mit dem Kind gesprochen und bestätigt, dass das Kind emotional stabil sei. Nach alledem war das Gericht der Auffassung, dass eine weitere Anhörung des Kindes nicht erforderlich sei.

Abschließend stellte das Gericht fest, dass der Hilfsantrag des Beschwerdeführers auf Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB sowie Art. 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB zwar zulässig, aber unbegründet sei. Nach dieser Übergangsvorschrift sei es zwar grundsätzlich möglich, die gemeinsame elterliche Sorge anzuordnen und die diesbezügliche Zustimmung der Mutter zu ersetzen, wenn sich die Eltern, wie im vorliegenden Fall, vor dem 1. Juli 1998 getrennt und vor der Trennung mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung mit dem Kind zusammengelebt hätten, aber Voraussetzung sei auch, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl diene. Unter Bezugnahme auf seine Begründung hinsichtlich der Voraussetzungen für die Übertragung der alleinigen oder gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1666 BGB sowie die Einschätzung des Sachverständigen in der Anhörung vom 19. Juni 2006 und die Stellungnahmen der Vertreterin des Jugendamts und der Verfahrenspflegerin gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass in Anbetracht der anhaltenden Spannungen zwischen den Eltern die gemeinsame Sorge zu weiteren Auseinandersetzungen über die Erziehung des Sohnes, seine Betreuung und die Frage seines Aufenthaltsorts führen würde. Diese Auseinandersetzungen könnten die positive Entwicklung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn gefährden und liefen somit dem Kindeswohl zuwider. Das Gericht hob ferner hervor, dass sich keine Zweifel an der Fachkompetenz des bestellten Gutachters oder der Richtigkeit seiner Feststellungen ergeben hätten.

Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil mit Schriftsatz vom 6. November 2006 Beschwerde ein. Er machte insbesondere geltend, dass in Anbetracht der Tatsache, dass das Kind vom Gericht und von dem Sachverständigen zuletzt im Jahr 2004 angehört worden sei, im Juni 2006 aber gegenüber der Verfahrenspflegerin erklärt habe, dass es nun bei seinem Vater leben wolle, eine erneute Anhörung seines Sohnes durch das Gericht sowie ein neues Sachverständigengutachten unverzichtbar seien für eine Entscheidung über die Frage, welche Zuordnung der elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen würde.

Am 10. Januar 2007 wies das Oberlandesgericht Zweibrücken die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück. Das Oberlandesgericht schloss sich den Feststellungen des Amtsgerichts S. an und wies ergänzend darauf hin, dass die gemeinsame elterliche Sorge ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zwischen den Eltern voraussetze; im vorliegenden Fall, in dem die unüberbrückbaren Konflikte zwischen den Eltern durch eine gemeinsame Sorge eher noch verschärft würden, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Diese Feststellungen könnten aus dem Inhalt der Akten und ohne Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens getroffen werden. Einer weiteren Anhörung des Kindes oder der übrigen Prozessbeteiligten habe es ebenfalls nicht bedurft, da hiervon keine weiteren, für die Entscheidung bedeutsamen Erkenntnisse hinsichtlich der Übertragung der elterlichen Sorge zu erwarten gewesen seien.

Am 30. Januar 2007 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge zum Oberlandesgericht Zweibrücken.

Am 14. Februar 2007 erhob er Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts S. vom 23. August 2006 sowie gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 10. Januar 2007 und focht die Ablehnung seines Antrags auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, hilfsweise der gemeinsamen Sorge für seinen Sohn gemäß § 1666 BGB bzw. Art. 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB an.

Mit Beschluss vom 22. Februar 2007 wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. In Ergänzung der in seinem Beschluss vom 10. Januar 2007 angeführten Gründe vertrat das Oberlandesgericht die Auffassung, dass das Amtsgericht den Sachverhalt umfassend ermittelt und seine Entscheidung auf der Grundlage der Erklärungen der Verfahrensbeteiligten getroffen habe, die mit Ausnahme des Kindes zeitnah angehört worden seien. Seit dem Beschluss des Amtsgerichts hätten sich keine entscheidungserheblichen tatsächlichen Änderungen ergeben, und es könne deshalb ausgeschlossen werden, dass eine erneute Anhörung zu einer anderen Einschätzung des Sachverhalts führen würde. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter erziehungsungeeignet sei oder das Kindeswohl in einem Maß gefährdet habe, das die Entziehung ihres Sorgerechts nach § 1666 BGB rechtfertigen würde. Außerdem stehe außer Zweifel, dass der erhebliche Konflikt zwischen den Eltern eine gemeinsame elterliche Sorge unmöglich mache; ein weiteres Sachverständigengutachten oder eine erneute Anhörung des Kindes könne daher für die Entscheidung darüber, wer das Sorgerecht erhalte, keine Rolle spielen.

Mit Schriftsatz vom 26. März 2007 erstreckte der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde auf den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 22. Februar 2007.

Am 3. März 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne weitere Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (1 BvR 846/07). Die Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 23. März 2009 zugestellt.

3. Das Verfahren vor dem Gerichtshof

Am 14. September 2005 erhob der Beschwerdeführer beim Gerichtshof eine erste Individualbeschwerde nach Artikel 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Individualbeschwerde Nr. 40014/05) betreffend das Sorgerecht für seinen Sohn und das Recht auf Umgang mit ihm. Unter Berufung auf Artikel 6 Abs. 1 sowie die Artikel 8 und 14 der Konvention rügte er die Dauer des innerstaatlichen Verfahrens und die Weigerung der innerstaatlichen Gerichte, ihm unbetreuten Umgang mit seinem Sohn zu gewähren.

In seinem Urteil hierüber vom 8. Juli 2010 entschied der Gerichtshof, dass zwar die Dauer des umgangsrechtlichen Verfahrens noch konventionskonform sei, die Dauer des Sorgerechtsverfahrens aber das in Artikel 6 der Konvention verankerte Gebot der Entscheidung innerhalb ‚angemessener Frist' verletzt habe, und erklärte die Beschwerde im Übrigen für unzulässig. Der Gerichtshof erklärte dazu allerdings, dass die Rüge des Beschwerdeführers nach Artikel 8 ausschließlich das Umgangsrechtsverfahren betreffe und die Vereinbarkeit des Sorgerechtsverfahrens mit dieser Vorschrift Gegenstand einer gesonderten Individualbeschwerde sei (vorliegende Individualbeschwerde Nr. 50216/09).

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht und die innerstaatliche Praxis

Nach Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Die Gesetzesbestimmungen zu Sorge- und Umgangsrecht finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Nach § 1626 Abs. 1 BGB haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das Kind zu sorgen (elterliche Sorge).

Nach § 1666 BGB hat das Familiengericht die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch Vernachlässigung gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt sind, diese Maßnahmen selbst zu treffen. Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von einem Elternteil verbunden ist, sind nur zulässig, wenn das Kind andernfalls in Gefahr wäre (§ 1666a BGB).

Nichtehelich geborene Kinder standen - nach § 1705 BGB in der früheren Fassung - automatisch unter der elterlichen Sorge der Mutter. Diese Bestimmung wurde jedoch 1996 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Am 1. Juli 1998 trat die Reform zum Kindschaftsrecht (Bundesgesetzblatt 1997, S. 2942) zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1996 in Kraft. Die einschlägigen Bestimmungen im BGB wurden wie folgt geändert: Nach § 1626a Abs. 1 können die Eltern eines nichtehelichen minderjährigen Kindes die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, wenn sie eine entsprechende Erklärung abgeben (Sorgeerklärung) oder einander heiraten. Andernfalls sieht § 1626a Abs. 2 vor, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht erhält.

Leben die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht die alleinige elterliche Sorge nach § 1626a Abs. 2 BGB der Mutter zu, so sieht § 1672 Abs. 1 BGB vor, dass das Familiengericht die elterliche Sorge dem Vater allein übertragen kann, wenn ein Elternteil mit Zustimmung des anderen Elternteils den entsprechenden Antrag stellt. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn die Übertragung dem Wohl des Kindes dient.

Im Gegensatz hierzu führen Eltern nach ihrer Trennung das Sorgerecht gemeinsam fort, wenn sie vor ihrer Trennung die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt haben, entweder weil das Kind ehelich geboren wurde, weil die Eltern einander nach der Geburt des Kindes geheiratet haben, oder weil sie eine Sorgeerklärung abgegeben haben, es sei denn, ein Gericht spricht einem Elternteil auf dessen Antrag hin, und wenn es dem Wohl des Kindes dient, nach § 1671 BGB das alleinige Sorgerecht zu.

Am 29. Januar 2003 befand das Bundesverfassungsgericht, dass § 1626a BGB nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, da eine Übergangsregelung für unverheiratete Eltern fehle, die 1996 zusammengelebt, sich aber noch vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 getrennt hätten (also diejenigen, denen es unmöglich war, eine Sorgeerklärung abzugeben). Um die oben genannte mangelnde Verfassungsmäßigkeit zu beheben, führte der deutsche Gesetzgeber am 31. Dezember 2003 Artikel 224 § 2 Buchstabe a [sic] des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) ein, wonach ein Gericht auf Antrag des Vaters die Sorgeerklärung der Mutter ersetzen kann, wenn nicht miteinander verheiratete Eltern mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung mit ihrem Kind zusammengelebt und sich vor dem 1. Juli 1998 getrennt haben, vorausgesetzt, die gemeinsame elterliche Sorge dient dem Kindeswohl.

In seinem Urteil vom 29. Januar 2003 befand das Bundesverfassungsgericht auch, dass § 1626a Abs. 2 BGB - von der fehlenden Übergangsregelung abgesehen - das Recht von Vätern nichtehelich geborener Kinder auf Achtung ihres Familienlebens nicht verletze.

In einem späteren Urteil vom 21. Juli 2010 stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch u. a. unter Bezugnahme auf die Schlussfolgerungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Z. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 22028/04, 3. Dezember 2009) fest, dass das nach Artikel 6 Abs. 2 GG garantierte Elternrecht des Vaters dadurch verletzt werde, dass dieser generell von der Sorgetragung für ein nichteheliches Kind ausgeschlossen werde, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung verweigere, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt werde, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen oder die alleinige Sorge für das Kind auf ihn selbst zu übertragen sei. Das Bundesverfassungsgericht entschied folglich, dass § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB verfassungswidrig und bis zum Inkrafttreten der erforderlichen gesetzlichen Neuregelung mit der Maßgabe anzuwenden seien, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge gemeinsam oder allein übertrage, soweit zu erwarten sei, dass dies dem Kindeswohl entspreche.

RÜGEN

Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention, dass die Tatsache, dass ihm das Sorgerecht für seinen Sohn nur deshalb verwehrt worden sei, weil er mit der Kindesmutter nicht verheiratet gewesen sei, einen Verstoß gegen sein Recht auf Achtung seines Familienlebens und eine ungerechtfertigte Diskriminierung wegen des Geschlechts darstelle. Ferner rügte er, dass die innerstaatlichen Gerichte seinen Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, hilfsweise der gemeinsamen Sorge für seinen Sohn gemäß § 1666 BGB sowie Art. 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB abgelehnt hätten.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

1. Unter Berufung auf Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention rügte der Beschwerdeführer, dass die innerstaatlichen Behörden mit ihrer Entscheidung, ihm jegliches Sorgerecht für seinen Sohn mit der Begründung zu verweigern, dieser sei nichtehelich geboren, seine Elternrechte im Vergleich zur Kindesmutter unverhältnismäßig stark beschnitten hätten.

Artikel 8 sieht Folgendes vor:

‚(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.'

Artikel 14 lautet wie folgt:

‚Der Genuss der in [der] Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.'

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelich geborenen Kindes im vorliegenden Fall im Wesentlichen eine gegen Artikel 8 und 14 der Konvention verstoßende Ungleichbehandlung gegenüber der Mutter rügte, da er keine Möglichkeit habe, ohne deren Zustimmung das alleinige oder gemeinsame Sorgerecht zu erlangen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die elterliche Sorge für ein nichteheliches Kind nach § 1626a BGB zunächst der Mutter zukommt, es sei denn, die beiden Elternteile einigen sich darauf, die gemeinsame elterliche Sorge zu beantragen. Die einschlägigen Bestimmungen schließen zwar nicht kategorisch aus, dass der Vater künftig das gemeinsame Sorgerecht erlangen kann, doch nach §§ 1666 und 1672 BGB kann das Familiengericht das Sorgerecht nur dann auf den Vater übertragen, wenn das Wohl des Kindes durch Vernachlässigung seitens der Mutter gefährdet ist oder wenn ein Elternteil mit Zustimmung des anderen Elternteils einen entsprechenden Antrag stellt. Lagen diese Voraussetzungen nicht vor, d.h. war das Wohl des Kindes nicht gefährdet und stimmte die Mutter einer Übertragung des Sorgerechts nicht zu, wie im vorliegenden Fall festgestellt wurde, sah das zur Zeit des hier in Rede stehenden Verfahrens geltende deutsche Recht grundsätzlich keine gerichtliche Überprüfung der Frage vor, ob dem Kindeswohl mit der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Vater oder mit der Einrichtung der gemeinsamen Sorge beider Elternteile gedient wäre.

Das Amtsgericht S. hat in seinem Beschluss vom 23. August 2006 mithin festgestellt, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge oder eines Teilbereichs davon, sofern er nach § 1672 Abs. 1 BGB gestellt sei, als unzulässig zurückzuweisen sei, da eine solche Übertragung nur mit Zustimmung der Mutter möglich sei. Dabei sei leider hinzunehmen, dass in dieser Hinsicht nach wie vor keine Gleichstellung von Vätern nichtehelicher Kinder mit den Vätern ehelicher Kinder erreicht sei.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerde gegen den genannten Beschluss des Amtsgerichts S. und in seiner anschließenden Verfassungsbeschwerde lediglich das Ergebnis der Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte in seinem besonderen Fall angefochten hat, nämlich deren Ablehnung seines Antrags auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB, hilfsweise der gemeinsamen Sorge gemäß Artikel 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB. Er hat anscheinend nicht gerügt, dass er im Vergleich zur Mutter insoweit diskriminiert wurde, dass ihm nach §§ 1626a und 1672 BGB die Möglichkeit verwehrt war, das alleinige Sorgerecht oder die gemeinsame Sorge ohne die Zustimmung der Mutter zu erlangen oder die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter gerichtlich überprüfen zu lassen.

Selbst unter der Annahme, der innerstaatliche Rechtsweg wäre diesbezüglich erschöpft, weist der Gerichtshof darauf hin, dass er bereits die Frage geprüft hat, ob die Bestimmungen des BGB, nach denen die alleinige Sorge für ein nichtehelich geborenes Kind der Mutter zusteht und eine Übertragung des Sorgerechts oder eines Teilbereichs davon auf den Vater ihrer Zustimmung bedarf, ohne dass eine gerichtliche Überprüfung für den Fall einer Verweigerung der Zustimmung vorgesehen ist, mit Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention vereinbar sind (siehe Z. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnrn. 42 ff, und S. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 38102/04, 7. Dezember 2010). Der Gerichtshof ließ zwar gelten, dass die ursprüngliche Zuweisung der Alleinsorge für ein nichteheliches Kind an die Mutter zum Schutz des Kindeswohls gerechtfertigt war, stellte aber fest, dass der grundsätzliche Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung des alleinigen Sorgerechts an die Mutter hingegen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stand, nämlich dem Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes. Der Gerichtshof stellte folglich fest, dass Artikel 14 i. V. m. Artikel 8 der Konvention verletzt wurde (siehe Z., a. a. O., Rdnrn. 55 und 63). Der Gerichtshof nimmt in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 21. Juli 2010 u. a. unter Bezugnahme auf das Urteil Z. die Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des BGB (§§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und 1672 Abs. 1) festgestellt hat. Das Bundesverfassungsgericht erließ bis zum Inkrafttreten der erforderlichen gesetzlichen Neuregelung eine verbindliche Übergangsregelung, nach der die genannten Bestimmungen mit der Maßgabe anzuwenden waren, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge für ein nichteheliches Kind gemeinsam oder allein überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.

Im Hinblick auf die besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache weist der Gerichtshof allerdings darauf hin, dass bereits zur Zeit des hier in Rede stehenden Verfahrens nach der Übergangsbestimmung in Artikel 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB eine Ausnahme vom Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter einen nichtehelichen Kindes gegeben war. Nach dieser Bestimmung kann das Familiengericht die gemeinsame elterliche Sorge anordnen und bei nicht miteinander verheirateten Eltern, die sich vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 getrennt und vor ihrer Trennung mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung mit dem Kind zusammengelebt haben, die diesbezügliche Zustimmung der Mutter ersetzen, wenn die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl dient. Während sich die Eltern im Fall Z. nach dem 1. Juli 1998 getrennt hatten und die Übergangsregelung somit nicht galt, haben sich die Eltern in der vorliegenden Rechtssache im Dezember 1997 getrennt und die innerstaatlichen Gerichte konnten somit - anders als im Sorgerechtsverfahren im Fall Z. - auf Antrag des Beschwerdeführers in vollem Umfang überprüfen, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Sohnes des Beschwerdeführers dienen würde.

Nach alledem stellt der Gerichtshof fest, dass dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

2. Der Beschwerdeführer rügte ferner, dass der Verfahrensausgang sein Recht auf Achtung seines Familienlebens verletzt habe. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass diese Rüge allein nach Artikel 8 der Konvention zu prüfen ist. Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Rüge des Beschwerdeführers wegen der Dauer des Sorgerechtsverfahrens sowie seine Rügen in Bezug auf das Umgangsrechtsverfahren bereits im Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 2010 (Individualbeschwerde Nr. 40014/05) behandelt wurden und nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde sind. In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof zu entscheiden, ob die innerstaatlichen Gerichte bei ihren Entscheidungen in dem Sorgerechtsverfahren das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens beachtet haben.

Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass für einen Elternteil und sein Kind das Zusammensein einen grundlegenden Bestandteil des Familienlebens darstellt, selbst wenn die Beziehung zwischen den Eltern zerbrochen ist, und innerstaatliche Maßnahmen, welche die Betroffenen an diesem Zusammensein hindern, einen Eingriff in das durch Artikel 8 der Konvention geschützte Recht bedeuten (siehe u. a. E. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25735/94, Rdnr. 43, ECHR 2000-VIII).

Die angegriffenen Maßnahmen im vorliegenden Fall, nämlich die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte, mit denen die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Beschwerdeführer, hilfsweise die Erstellung der gemeinsamen Sorge, die das Recht auf Ausübung der elterlichen Sorge u. a. in Bezug auf die Erziehung und Betreuung seines Sohnes sowie die Bestimmung seines Aufenthalts einschließt, abgelehnt wurde, waren einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens. Ein solcher Eingriff stellt eine Verletzung von Artikel 8 dar, es sei denn, er ist ‚gesetzlich vorgesehen', verfolgt ein oder mehrere Ziele, die nach Absatz 2 dieser Bestimmung legitim sind, und kann als ‚in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' angesehen werden.

Die maßgeblichen Entscheidungen des Amtsgerichts S., mit denen dieses ablehnte, der Mutter das alleinige Sorgerecht zu entziehen und es dem Beschwerdeführer zu übertragen bzw. die gemeinsame elterliche Sorge für seinen Sohn herzustellen, beruhten auf innerstaatlichem Recht, nämlich auf § 1666 BGB bzw. Artikel 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB. Der Gerichtshof ist ferner überzeugt, dass die angegriffenen Gerichtsentscheidungen den Schutz des Kindeswohls zum Ziel hatten und somit ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 verfolgten.

Bei der Entscheidung darüber, ob die angegriffenen Maßnahmen ‚in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' waren, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob die zur Rechtfertigung dieser Maßnahmen angeführten Gründe in Anbetracht der Rechtssache insgesamt im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 zutreffend und ausreichend waren. Von entscheidender Bedeutung ist bei jeder Rechtssache dieser Art zweifellos die Überlegung, was dem Kindeswohl am besten dient. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die nationalen Behörden insoweit im Vorteil sind, als sie unmittelbaren Kontakt zu allen Beteiligten haben. Die Aufgabe des Gerichtshofs besteht demnach nicht darin, an Stelle der nationalen Behörden deren Aufgaben in Fragen des Sorge- und Umgangsrechts wahrzunehmen, sondern er hat vielmehr im Lichte der Konvention die Entscheidungen zu überprüfen, die diese Behörden im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums getroffen haben (siehe S. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 30943/96, Rdnr. 64, EGMR 2003-VIII).

Welcher Beurteilungsspielraum den zuständigen innerstaatlichen Behörden dabei einzuräumen ist, hängt von der Art der streitigen Fragen und der Bedeutung der betroffenen Interessen ab. Insbesondere bei Sorgerechtsentscheidungen hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Behörden insofern einen großen Spielraum haben. Einer genaueren Kontrolle bedarf es jedoch bei weitergehenden Beschränkungen, wie beispielsweise bei Einschränkungen des Umgangsrechts der Eltern durch diese Behörden, sowie bei allen gesetzlichen Maßnahmen, die einen wirksamen Schutz des Rechts von Eltern und Kindern auf Achtung ihres Familienlebens gewährleisten sollen. Solche weitergehenden Beschränkungen bergen die Gefahr, dass die Familienbeziehungen zwischen einem kleinen Kind und einem oder beiden Elternteilen endgültig abgeschnitten werden (siehe N. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 39741/02, Rdnr. 64, 12. Juli 2007).

Der Gericht weist insoweit erneut darauf hin, dass die innerstaatlichen Behörden nach Artikel 8 einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Kindes und denen der Eltern herbeizuführen und dabei dem Wohl des Kindes, das je nach seiner Art und Bedeutung den Interessen der Eltern vorgehen kann, besonderes Gewicht beizumessen haben. Insbesondere kann ein Elternteil nach Artikel 8 der Konvention nicht beanspruchen, dass Maßnahmen getroffen werden, die der Gesundheit und der Entwicklung des Kindes schaden würden (siehe S. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 31871/96, Rdnr. 64, ECHR 2003-VIII). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof gelten lassen, dass es triftige Gründe dafür geben kann, einem nicht verheirateten Vater die Teilhabe an der elterlichen Sorge zu versagen; wenn Streitigkeiten oder mangelnde Kommunikation zwischen den Eltern das Kindeswohl gefährden können (siehe Z., a. a. O., Rdnr. 56).

Im Hinblick auf die Umstände der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die innerstaatlichen Gerichte insbesondere unter Bezugnahme auf die Feststellungen des psychologischen Sachverständigen vom 12. November 2004, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 19. Juni 2006 ergänzt wurden, zu dem Schluss kamen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Wohl des Kindes durch die aktuelle Sorgerechtsregelung gefährdet sei, und deshalb auch keine Veranlassung bestehe, der Mutter nach § 1666 BGB das alleinige Sorgerecht zu entziehen und es dem Vater zu übertragen. In Anbetracht der anhaltenden Spannungen zwischen den Eltern und der Versuche des Vaters, die Erziehungsarbeit der Mutter zu untergraben, waren die Gerichte der Auffassung, dass vielmehr eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Vater dem Kindeswohl abträglich wäre. Die Feststellungen des Sachverständigen deckten sich mit der Einschätzung der für das Kind bestellten Verfahrenspflegerin. Die innerstaatlichen Gerichte trugen dem Umstand, dass sich das Kind nach seinem letzten Aufenthalt bei seinem Vater in B. im Jahr 2006 dahingehend geäußert hatte, nun bei seinem Vater leben und seine Mutter nur besuchen zu wollen, zwar Rechnung, waren aber gleichwohl von der Einschätzung des Sachverständigen überzeugt, dass das Kind aufgrund seines jungen Alters nicht fähig sei, sich die Konsequenzen einer solchen Entscheidung vorzustellen, und sich deshalb durch eine entsprechende Äußerung des Kindes eine Änderung der Einschätzung der Situation nicht ergeben könne. In seinem Beschluss vom 23. August 2006 führte das Amtsgericht S. auch aus, warum Zweifel an der Fachkompetenz des Sachverständigen oder der Richtigkeit seiner Schlussfolgerungen nicht veranlasst seien.

Insbesondere in Anbetracht der anhaltenden und unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Eltern sowie der mangelnden Einigung in Fragen der Erziehung, der Betreuung und des Aufenthaltsortes ihres Sohnes kamen die innerstaatlichen Gerichte zu dem Schluss, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl auch nicht dienlich wäre, und wiesen deshalb den Antrag des Beschwerdeführers, die diesbezügliche Zustimmung der Mutter nach Artikel 224 § 2 Buchstabe a [sic] EGBGB zu ersetzen, zurück.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die innerstaatlichen Gerichte die Begründung ihrer Beschlüsse auf Erwägungen gestützt haben, die auf eine Übertragung der elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes gerichtet waren, und dass diese Gründe daher im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 zutreffend und ausreichend waren.

Darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der erforderliche Schutz der Interessen des Beschwerdeführers im Entscheidungsprozess der innerstaatlichen Gerichte nicht gewährleistet war. Das Amtsgericht S. hörte die Eltern an und berücksichtigte Äußerungen und Berichte der Verfahrenspflegerin und des zuständigen Jugendamts sowie die Feststellungen des psychologischen Sachverständigen. Der Beschwerdeführer konnte in den Verfahren vor dem Amtsgericht und dem Oberlandesgericht alle Argumente für eine Übertragung des Sorgerechts für seinen Sohn auf ihn vorbringen. Es wurde ihm insbesondere Gelegenheit gegeben, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2006 zu befragen, und er hatte auch Zugang zu allen maßgeblichen Informationen, auf die sich die Gerichte gestützt haben.

Im Hinblick auf den Antrag des Beschwerdeführers, den Sachverständigen von einem Pädagogen befragen zu lassen, stellte das Amtsgericht S. in seinem Beschluss vom 25. Juli 2005 fest, dass die beantragte Maßnahme im innerstaatlichen Recht regelmäßig nicht vorgesehen sei, und führte schlüssig begründet aus, dass im Fall des Beschwerdeführers keine besonderen Umständen vorlägen, die eine Abweichung von dieser Regel rechtfertigen würden. Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass es generell Sache der nationalen Gerichte ist, die ihnen vorliegenden Beweise zu würdigen; dies gilt auch für die Mittel zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (Vidal ./. Belgien, 22. April 1992, Rdnr. 33, Serie A Band 235-B).

Hinsichtlich des Problems, dass das Kind vom Amtsgericht zuletzt im Jahr 2004, d.h. zwei Jahre vor dessen Beschluss vom 23. August 2006, angehört worden war, stellt der Gerichtshof fest, dass die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, das Sorgerecht für den Sohn allein bei der Mutter zu belassen, auf ihrer Einschätzung beruhte, dass eine Übertragung des Sorgerechts bzw. die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes nicht dienlich sei, weil die Eltern offensichtlich und unbestritten keine Kooperationsbereitschaft zeigten. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die Verfahrenspflegerin, die an der Gerichtsverhandlung am 19. Juni 2006 teilnahm, erst kurz vor diesem Termin mit dem Kind gesprochen hatte. Unter diesen Umständen durften das Amtsgericht und das Oberlandesgericht zu der Einschätzung gelangen, dass eine erneute Anhörung des Kindes für die Entscheidung über eine Sorgerechtsübertragung nicht nötig war und es keines weiteren psychologischen Sachverständigengutachtens bedurfte.

Der Gerichtshof erinnert außerdem daran, dass der Wunsch des Kindes, bei seinem Vater zu wohnen, im Rahmen des früheren Umgangsrechtsverfahrens berücksichtigt worden war. Mit Beschluss des Amtsgerichts S. vom 5. November 2002 war dem Beschwerdeführer im Wege der einstweiligen Anordnung ein Recht auf betreuten Umgang mit seinem Sohn eingeräumt worden; dieses Recht wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 15. Juli 2005 durch ein Recht auf regelmäßigen nicht betreuten Umgang mit seinem Sohn ersetzt. Der Gerichtshof ist der Meinung, dass diese Entscheidungen darauf gerichtet waren, eine übermäßige Einschränkung des Verhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn zu vermeiden.

Aus den vorstehenden Erwägungen und unter Berücksichtigung des großen Beurteilungsspielraums, der den innerstaatlichen Behörden in Sorgerechtsfragen zusteht, ist der Gerichtshof überzeugt, dass die Verfahrensweise der deutschen Gerichte unter den gegebenen Umständen angemessen war und dass sie mit ihren Beschlüssen in dem Sorgerechtsverfahren einen gerechten Ausgleich zwischen dem Wohl des Kindes und den Interessen der Eltern hergestellt haben.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass dieser Teil der Beschwerde ebenfalls offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Individualbeschwerde mit Stimmenmehrheit für unzulässig. ..." (EGMR, Entscheidung vom 21.02.2012 - 50216/09)

***

„... Die Bf., die Axel Springer AG, hat ihren Sitz in Hamburg. Die von ihr herausgegebenen Bild-Zeitung veröffentlichte am 29.9.2004 auf der Titelseite folgende Schlagzeile in großen Buchstaben : ‚Kokain ! TV-Kommissar Y auf dem Oktoberfest erwischt !' Sie berichtete über die Festnahme des bekannten Schauspielers X in einem Bierzelt auf dem Münchner Oktoberfest, der seit 1998 die Rolle des Kommissars Y in einer bekannten Fernsehserie spielte. Der Artikel wurde mit drei Fotos von X illustriert und im Inneren des Blatts fortgesetzt. Dort wurde unter der Überschrift ‚ TV-Star X mit Kokain erwischt. Eine Brezn, eine Maß und eine Nase Koks' berichtet. In dem Artikel heißt es, X habe die Aufmerksamkeit der Polizei erregt, weil er seine Nase gewischt habe. Eine Überprüfung habe ergeben, dass er 0,23 Gramm Kokain bei sich hatte. X sei schon im Juli 2000 wegen Drogenbesitzes zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Am 7.7.2005 veröffentlichte die Bild-Zeitung im inneren Teil einen weiteren Artikel unter der Schlagzeile : ‚TV-Kommissar X. Kokain-Beichte vor Gericht. 18 000 Euro Strafe !' Auch dieser Artikel war mit einem Foto von X illustriert.

X beantragte unmittelbar nach Erscheinen des ersten Artikels eine einstweilige Verfügung gegen die Bf.. Das LG Hamburg gab dem Antrag am 30.9.2004 statt und verbot der Bf. die weitere Veröffentlichung des Artikels und am 6.10.2004 auch der Fotos. Mit zwei Urteilen vom 12.11.2004 bestätigte es die einstweiligen Verfügungen. Die Bf. focht die Entscheidung nicht an, die sie sich auf die Fotos bezog. Die im Übrigen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Im Hauptverfahren verbot das LG Hamburg mit Urteil vom 11.11.2005 jede weitere Veröffentlichung des nahezu vollständigen ersten Artikels unter Androhung eines Ordnungsgelds und verurteilte die Bf. zur Zahlung von 5000 Euro für die erste Veröffentlichung. Das Recht des X auf Achtung seines Privatlebens überwiege das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Das OLG Hamburg wies die Berufung dagegen am 21.3.2006 zurück und setzte den zu zahlenden Betrag auf 1000 Euro herab. Der BGH wies die Beschwerde des Verlags gegen die Nichtzulassung der Revision am 7.11.2006 zurück, am 11.12.2006 eine Anhörungsrüge.

Wegen des zweiten Artikels über die Verurteilung des X hatte das LG Hamburg am 5.5.2006 ein entsprechendes Verbotsurteil erlassen, gegen das Berufung und Revision erfolglos blieben. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde des Verlags am 5.3.2008 nicht zur Entscheidungan.

Am 18.8.2008 hat die Bf. beim Gerichtshof Beschwerde eingelegt und sich gegen das Verbot der Berichterstattung über die Festnahme und Verurteilung des allgemein bekannten Schauspielers wegen eines Drogendelikts gewendet. Am 30.3.2010 hat eine Kammer der V. Sektion die Sache nach Art. 30 EMRK an die Große Kammer abgegeben. Der Präsident hat der Media Lawyers Association, der Media Legal Defence Initiative, dem International Press Institute und der World Association of Newspapers and News Publishers nach Art. 36 II EMRK, Art. 44 II VerfO Gelegenheit gegeben, schriftlich Stellung zu nehmen. Am 7.2.2012 hat der Gerichtshof aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.10.2012 die Beschwerde einstimmig für zulässig erklärt, mit 12 : 5 Stimmen festgestellt, dass Art. 10 EMRK verletzt ist, und Deutschland nach Art. 41 EMRK (Gerechte Entschädigung) verurteilt, an die Bf. binnen drei Monaten

17 734,80 Euro als Ersatz für Nichtvermögensschaden und
32 522, 80 Euro als Ersatz für Kosten und Auslagen zu zahlen. ...

II. Behauptete Verletzung von Art. 10 EMRK

[53] Die Bf. wendet sich gegen das ihr gegenüber ausgesprochene Verbot der Berichterstattung über die Festnahme und Verurteilung von X. Sie beruft sich auf Art. 10 EMRK. ...

A. Zulässigkeit

[54] Die Beschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet i. S. von Art. 35 III lit. a EMRK und auch nicht aus einem anderen Grund unzulässig. Deswegen ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

I. Vortrag der Parteien (zusammengefasst)

1. Die Regierung

[55 - 64] Die Regierung macht geltend, die Beschwerde sei unbegründet. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte griffen zwar in den Schutzbereich von Art. 10 EMRK ein, seien aber ‚gesetzlich vorgesehen' und verfolgten ein berechtigtes Ziel i. S. von Art. 10 II EMRK, nämlich den Schutz der Privatsphäre. Der Eingriff sei auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen. X sei ein allgemein bekannter Schauspieler und eine Person des öffentlichen Lebens. Die Berichterstattung habe ein geringfügiges Drogendelikt betroffen. Bei der Beurteilung hätten die Gerichte einen Ermessensspielraum, den sie nicht überschritten hätten.

II. Die Bf.

[65 - 70] Die Bf. tragen vor, X sei ein allgemein bekannter Schauspieler, der die Hauptrolle in einer sehr beliebten Krimi-Serie im Fernsehen gespielt habe. Er sei also nicht eine gewöhnliche Person, für die sich die Medien nicht interessierten. Eine Straftat sei nie eine private Angelegenheit und das Publikumsinteresse an Informationen darüber habe mehr Gewicht als das Recht von X auf Achtung seines Privatlebens. Er selbst habe die öffentliche Aufmerksamkeit gesucht. Im Gegensatz dazu habe im Fall von Hannover/Deutschland Nr. 2 (in diesem Heft S. …) die Bf. zu 1 ständig versucht, ihr Privatleben abzuschirmen. Die Tatsachen, über die berichtet worden sei, seien unstreitig richtig. Die Bild-Zeitung habe im Übrigen erst über die Verhaftung berichtet, nachdem die Strafverfolgungsbehörden die Tatsachen und die Identität von X bekannt gemacht habe. Die Aufgabe der Presse dürfe nicht darauf reduziert werden, nur über Politiker zu berichten. ...

3. Beurteilung durch den Gerichtshofs

[75] Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte in das in Art. 10 EMRK geschützte Recht der Bf. auf Freiheit der Meinungsäußerung eingegriffen haben.

[76] Ein solcher Eingriff verletzt Art. 10 EMRK, wenn er nicht nach Art. 10 II EMRK gerechtfertigt ist. Deswegen ist zu prüfen, ob er ‚gesetzlich vorgesehen' war, eines oder mehrere der in dieser Vorschrift genannten berechtigten Ziele verfolgte und ‚in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' war, um das Ziel zu erreichen.

[77] Der Eingriff war unstreitig in § 823 I BGB und § 1004 I BGB, ausgelegt unter Berücksichtigung des Rechts auf Schutz des Persönlichkeitsrechts, vorgesehen. ...Die Parteien stimmen auch darin überein, dass er ein berechtigtes Ziel verfolgte, nämlich den Schutz des guten Rufs oder der Rechte anderer i.S. von Art. 10 II EMRK, was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfassen kann (s. EGMR, Slg. 2004-VI Nr. 70 - Chauvy u.a./Frankreich; EGMR, NJW-RR 2008, 1218 Nr. 35 - Pfeifer/Österreich). Streitig ist aber, ob der Eingriff ‚in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' war.

(a) Grundsätze

(i) Freiheit der Meinungsäußerung

[78-79] (Der Gerichtshof wiederholt die im Urteil von Hannover/Deutschland Nr. 2 [in diesem Heft S. ] in Nrn. 101, 102 niedergelegten Grundsätze zu Art. 10 EMRK).

[80] Die Aufgabe der Presse bezieht sich auch auf die Berichterstattung und Kommentierung von Gerichtsverfahren, die, wenn sie die genannten Grundsätze berücksichtigt, zu deren Öffentlichkeit beitragen und deswegen mit dem Erfordernis nach Art. 6 I EMRK, dass gerichtliche Verfahren öffentlich sind, im Einklang stehen. Es ist nicht vorstellbar, dass es über ein Gerichtsverfahren keine vorherige oder gleichzeitige Diskussion in Spezialzeitschriften oder in der breiten Öffentlichkeit geben dürfte. Die Medien haben nicht nur die Aufgabe, solche Informationen und Ideen zu vermitteln, die Öffentlichkeit hat auch das Recht,sie zu erhalten (s. EGMR, Slg. 2000-I Nr. 56 = MR 2000, 221 - News Verlags GmbH & Co. KG/Österreich; EGMR, Slg. 2007-VII Nr. 35 = NJW 2008, 3412 - Dupuis u. a./Frankreich; EGMR, Urt. v. 24.4.2008 - 17107/05 Nr. 31- Campos Dâmaso/Portugal).

[81] Zur journalistischen Freiheit gehört auch die Möglichkeit einer gewissen Übertreibung und sogar Provokation (s. EGMR, Slg. 2004-XI Nr. 71 = NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark). Außerdem ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofs und auch nicht der staatlichen Gerichte, anstelle der Presse über die anzuwendende Technik zu entscheiden (s. EGMR, 1994, Serie A, Bd. 298 Nr. 31 = NStZ1995, 237 -Jersild/Dänemark; EGMR, Urt. v. 10.2.2009 -3514/02 Nr. 65 - Eerikäinen u.a./Finnland).

(ii) Grenzen der Meinungsfreiheit

[82] Art. 10 II EMRK bestimmt aber, dass die Freiheit der Meinungsäußerung ‚mit Pflichten und Verantwortung verbunden' ist. Das gilt für die Medien auch bei der Berichterstattung über Angelegenheiten großen öffentlichen Interesses. Diese Pflichten und Verantwortung können von besonderer Bedeutung sein, wenn die Gefahr besteht, den guten Ruf eines namentlich Genannten zu schädigen oder die ‚Rechte anderer' zu verletzen. Daher müssen besondere Gründe vorliegen, um die Medien von der sie grundsätzlich treffenden Verpflichtung zu entbinden, die Richtigkeit ehrverletzender Tatsachenbehauptungen über andere zu prüfen. Ob solche Gründe gegeben sind, hängt insbesondere von Art und Gewicht solcher ehrverletzender Behauptungen ab und davon, wie weit die Medien ihre Quelle vernünftigerweise als vertrauenswürdig ansehen können (s. EGMR, Slg. 2004-XI Nr. 78 = NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark; EGMR, Slg. 2007-III Nr. 89 - Tønsbergs Blad A.S. u. Haukom/Norwegen).

[83] Das Recht auf Schutz des guten Rufs ist als Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens von Art. 8 EMRK geschützt (s. EGMR, Slg. 2004-VI Nr. 70 - Chauvy u.a./Frankreich; EGMR, NJW-RR 2008, 1218 Nr. 35 - Pfeifer/Österreich; EGMR, Urt. v. 21.9.2010 - 34147/06 Nr. 40 - Polanco Torres u. Movilla Polanco/Spanien). Der Begriff ‚Privatleben' ist umfassend und einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich. Darunter fallen die geistige und körperliche Identität einer Person und damit zahlreiche Aspekte der Persönlichkeit, wie die geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung, der Name oder Aspekte, die das Recht einer Person am eigenen Bild betreffen (s. EGMR, Slg. 2008 Nr. 66 = NJOZ 2010, 696 - S. u. Marper/Vereinigtes Königreich). Der Begriff umfasst auch persönliche Informationen, von denen der Betroffene berechtigterweise erwarten kann, dass sie nicht ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden (s. EGMR, Urt. v. 6.4.2010 - 25576/04 Nr. 75 - Flinkkilä u.a./Finnland; EGMR, Urt. v. 12.10.2010 - 184/06 Nr. 61 - Saaristo u.a./Finnland).

Um Art. 8 EMRK ins Spiel zu bringen, muss der Angriff auf den guten Ruf einer Person eine bestimmte Schwere erreichen und die Ausübung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens beeinträchtigen (s. EGMR, NJW-RR 2010, 1483 Nr. 64 - A./Norwegen). Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass sich eine Person nicht nach Art. 8 EMRK über eine Verletzung ihres guten Rufs beschweren kann, wenn die Verletzung vorhersehbare Folge einer eigenen Handlung ist, z.B. des Begehens einer Straftat (s. EGMR, Slg. 2004-VIII Nr. 49 - Sidabras u. Dziautas/Litauen).

[84] Wenn zu prüfen ist, ob ein Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft ‚zum Schutz des guten Rufs oder der Rechte anderer' notwendig ist, kann es erforderlich sein festzustellen, ob die staatlichen Behörden und Gerichte einen gerechten Ausgleich beim Schutz von zwei in der Konvention geschützten Rechten hergestellt haben, die in bestimmten Fällen kollidieren können, z. B. die in Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung und das in Art. 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens (s. EGMR, Urt. v. 14.6.2007 - 71111/01 Nr. 43 - Hachette Filipacchi Associés/Frankreich; EGMR, NJOZ 2012, … Nr. 142 - MGN Limited/Vereinigtes Königreich).

(iii) Ermessensspielraum

[85 - 88] ( Der Gerichtshof führt aus, die staatlichen Behörden und Gerichte hätten einen Ermessensspielraum, und wieder- holt die im Urteil von Hannover/Deutschland Nr. 2 [in diesem Heft] Nrn. 104-107 wiedergegebenen Grundsätze).

(iv) Grundsätze für die Interessenabwägung

[89 - 92, 94] Wenn das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens abgewogen werden muss, gelten die nachstehenden Grundsätze. (Der Gerichtshof weist darauf hin,dassdie im Urteil von Hannover/Deutschland Nr. 2 [in diesem Heft] Nrn. 109 - 112 genannten Grundsätze zu beachten sind, nämlich ob der Bericht zu einer Diskussion allgemeinen Interesses beigetragen hat, der Bekanntheitsgrad des Betroffenen und der Gegenstand des Berichts, das vorherige Verhalten des Betroffenen, die Umstände der Aufnahme von Fotos sowie Inhalt und Form der Veröffentlichung. Er fügt zwei Gesichtspunkte hinzu)

(dd) Wie die Information erlangt worden ist und ihre Richtigkeit

[93] Weiterere wichtige Gesichtspunkte sind die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, und ob sie zutreffend ist. Der Schutz, den Art. 10 EMRK Journalisten für ihre Berichterstattung über Fragen allgemeinen Interesses gewährt, setzt voraus, dass sie sich in gutem Glauben auf der Grundlage exakter Tatsachen äußern und ‚zuverlässige und genaue' Informationen in Übereinstimmung mit ihrem Berufsethos liefern (s. u.a. EGMR, Slg. 1999-I Nr. 54 = NJW 1999, 1315 - Fressoz u. Roire/Frankreich; EGMR, Slg. 2004-XI Nr. 78 = NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark; EGMR, Slg. 2007-V Nr. 103 = NJW-RR 2008, 1141 - Stoll/Schweiz). ...

(ff) Schwere der verhängten Sanktion

[95] Schließlich müssen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Freiheit der Meinungsäußerung Art und Schwere der verhängten Sanktion berücksichtigt werden (s. EGMR, Slg. 2004-XI Nr. 93 = NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark; EGMR, Urt. v. 6.4.2010 - 43349/05 Nr. 77 -Jokitaipale u.a./Finnland).

(b) Anwendung im vorliegenden Fall

(i) Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses

[96] Die Zeitungsartikel betrafen die Festnahme und Verurteilung des Schauspielers X , also öffentliche Tatsachen aus der Justiz, die in bestimmten Maß von allgemeinem Interesse sind. Die Öffentlichkeit hat in der Regel ein Interesse, über Strafverfahren unterrichtet zu werden und sich unterrichten zu können, wobei die Unschuldsvermutung strikt beachtet werden muss (s. EGMR, Slg. 2000-I Nr. 56 = MR 2000, 221 - News Verlags GmbH & Co. KG/Österreich; EGMR, Slg. 2007-VII Nr. 37 = NJW 2008, 3412 - Dupuis u. a./Frankreich; EGMR, Urt. v. 24.4.2008 - 17107/05 Nr. 32- Campos Dâmaso/Portugal; só auch die Empfehlung (2003)13 des Ministerkomitees des Europarats über Informationen durch die Medien bezüglich Strafverfahren, insbes. Grundsätze 1 u. 2 der Anlage ...). Das Interesse ist allerdings unterschiedlich groß und kann nach der Festnahme im Lauf des Verfahrens größer werden, wobei mehrere Faktoren eine Rolle spielen, wie der Bekanntheitsgrad des Betroffenen, die Unmstände des Falls und andere Entwicklungen während des Verfahrens.

(ii) Bekanntheit von X und Gegenstand der Artkel

[97] Die deutschen Gerichte sind bei der Beurteilung des Bekanntheitsgrads von X zu erheblich unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Das LG nahm an, X habe nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht in einem Ausmaß gesucht, dass angenommen werden könne, er habe auf den Schutz seines Persönlichkeitsrechts verzichtet, wenn er auch ein bekannter Schauspieler sei und häufig im Fernsehen aufgetreten sei … Das OLG nahm demgegenüber an, X sei allgemein bekannt und sehr populär, er habe lange Zeit die Rolle eines Kommissars gespielt, ohne das Idol oder ein Vorbildcharakter des Ordnungshüters geworden zu sein, was ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit hätte begründen können zu erfahren, ob er selbst einem solchen Leitbild entsprechend lebe...

[98] Grundsätzlich ist es in erster Linie Aufgabe der staatlichen Gerichte, den Bekanntheitsgrad einer Person festzustellen, insbesondere wenn die Person hauptsächlich im betroffenen Land bekannt ist. X war zur maßgebenden Zeit Hauptdarsteller in einer sehr populären Krimi-Serie, in der er die Hauptrolle des Kommissars Y spielte. Seine Popularität geht im Wesentlichen auf die Fernseh-Serie zurück, von der bei Erscheinen des ersten Zeitungsartikels 103 Episoden gesendet worden waren, in 54 davon hatte X den Kommissar Y gespielt. Er war also nicht, wie das LG annahm, ein weniger bedeutender Schauspieler, dessen Bekanntheit trotz vieler Filmrollen (mehr als 200 …) begrenzt geblieben sei. Das OLG hat nicht nur darauf hingewiesen, dass es X-Fan-Clubs gab, sondern auch darauf, dass seine Fans möglicherweise dazu ermutigt worden wären, ihn durch Drogenkonsum nachzuahmen, wenn die Straftat der Öffentlichkeit nicht verborgen geglieben wäre. ...

[99] Es trifft zwar zu, dass die Öffentlichkeit im Allgemeinen zwischen dem Schauspieler und der Person, die er darstellt, unterscheidet. Trotzdem kann es eine enge Verbindung zwischen beiden geben, besonders, wenn der Schauspieler, wie hier, hauptsächlich wegen einer bestimmten Rolle bekannt ist. Im Fall des X war das noch dazu die Rolle eines Polizeikommissars, dessen Aufgabe es ist, für Gesetzestreue zu sorgen und Verbrechen zu bekämpfen. Das steigerte das Interesse der Öffentlichkeit daran, über die Festnahme des X wegen einer Straftat informiert zu werden. Unter Berücksichtigung dessen und der Begründung der deutschen Gerichte für seinen Bekanntsheitsgrad war X jedenfalls so gut bekannt, dass er als Person des öffentlichen Lebens eingestuft werden kann. Das hat das Interesse der Öffentlichkeit, über seine Festnahme und das Strafverfahren gegen ihn informiert zu werden, verstärkt.

[100] Was den Gegenstand der zwei Zeitungsartikel angeht, haben die deutschen Gerichte festgestellt, dass die von X begangene Straftat nicht geringfügig war, weil Kokain eine harte Droge ist.Trotzdem habe die Straftat nur mittleres, ja geringes Gewicht, weil X nur eine geringe Menge der Droge bei sich gehabt habe und nur für den eigenen Konsum, und wegen der großen Zahl von derartigen Straftaten und Strafverfahren. Die deutschen Gerichte haben der Tatsache, dass X schon wegen eines ähnlichen Delikts verurteilt worden war, kein großes Gewicht beigemessen und darauf hingewiesen, dass es seine einzige Vortat gewesen sei, die außerdem schon vor einigen Jahren begangen worden sei. Sie sind zu dem Schluss gekommen, das Interesse der Bf. an der Veröffentlichung der Artikel beruhe nur darauf, dass X eine Straftat begangen habe, über die vermutlich nie berichtet worden wäre, wenn eine in der Öffentlichkeit unbekannte Person sie begangen hätte. ...

Dem ist im Wesentlichen zuzustimmen. Hinzuweisen ist aber darauf, dass X in der Öffentlichkeit festgenommen worden ist, in einem Zelt auf dem Münchner Oktoberfest. Das hat nach Auffassung des OLG in der Öffentlichkeit großes Interesse erregt, wenn es sich auchnicht auf die Beschreibung und Charakterisierung der Straftat bezogen hat, die nicht in der Öffentlichkeit begangen worden war.

(iii) Verhalten des X vor der Veröffentlichung

[101] Zu berücksichtigen ist weiter das vorherige Verhalten des X gegenüber den Medien. Er hatte selbst in vielen Interviews Einzelheiten über sein Privatleben offenbart …, also die Öffentlichkeit aktiv gesucht, só dass angesichts seines Bekanntheitsgrads seine ‚berechtigte Erwartung', dass sein Privatleben wirksam geschützt werde, reduziert war (s. mutatis mutandis EGMR, MR 2009, 298 Nr. 53 - Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS)/Frankreich und andererseits EGMR, Urt. v. 10.2.2009 -3514/02 Nr. 66 - Eerikäinen u.a./Finnland).

(iv) Wie die Information erlangt wurde und ob sie richtig war.

[102] Was die Art und Weise angeht, wie sie zu den veröffentlichten Informationen gekommen ist, trägt die Bf. vor, sie habe über die Festnahme von X erst berichtet, nachdem die Strafverfolgungsbehörden die Tatsachen und die Identität des X bekannt gemacht hätten. Alle von ihr veröffentlichten Informationen seien schon vorher , insbesondere auf einer Pressekonferenz und in einer Presseerklärung der StA der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden .. Die Regierung bestreitet, dass es eine Pressekonferenz der StA gegeben habe, und trägt vor, erst nach Erscheinen des ersten Artikels habe StA W anderen Medien gegenüber die Tatsachen bestätigt, über welche die Bf. berichtet hatte.

[103] Aus den Unterlagen, die dem Gerichtshof vorliegen, ergibt sich nicht nicht, dass die Behauptung der Bf. zutrifft, vor der Veröffentlichung des ersten Artikels seien eine Pressekonferenz abgehalten und eine Presseerklärung herausgegeben worden. Im Gegenteil hat sich die Behauptung nach einer vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage als unzutreffend erwiesen. Das Verhalten der Bf. ist insoweit bedauerlich.

[104] Aus den im weiteren Verlauf ergangenen Entscheidungen der deutschen Gerichte und dem Parteivortrag dazu in den Gerichtsverfahren ergibt sich aber, dass die Gerichte auf diese Frage nicht eingegangen sind. Für die Prüfung des vorliegenden Falls genügt die Feststellung, dass die Bf. allen ihren Stellungnahmen in den verschiedenen Verfahren vor den deutschen Gerichten die Erklärung einer ihrer Journalistinnen beigefügt hat, wie die am 29.9.2004 veröffentlichten Informationen erlangt worden sind, … und dass die Regierung das nicht bestritten hat. Die Bf. kann also nicht geltend machen, sie habe nur Informationen veröffentlicht, welche die StA München auf einer Pressekonferenz schon vorher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hätte. Doch bleibt, dass die veröffentlichten Informationen, insbesondere über die Identität von X, von der Polizei und StA W stammten,dem damaligenPressesprecher der StA München.

[105] Der erste Zeitungsartikel hatte also eine ausreichende Tatsachengrundlage, weil er auf Informationen des Pressesprechers der Münchner StA beruhte (s. EGMR, Slg. 1999-IIINr. 72 = NJW 2000, 1015 - Bladet Tromsø u. Stensaas/Norwegen; EGMR, Urt. v. 10.2.2009 -3514/02 Nr. 64 - Eerikäinen u.a./Finnland; EGMR, Entsch. v. 15.5.2009 - 4020/03 - Pipi/Türkei). Die Wahrheit der Informationen in den beiden Artikeln war vor den deutschen Gerichten und ist vor dem Gerichtshof nicht streitig (s. EGMR, Slg. 2004-X Nr. 44 = NJW 2006, 591 - Karhuvaara u. Iltalehti/Finnland).

[106] Die deutschen Gerichte waren der Meinung, aus der Tatsache, dass die Informationen von der StA München stammten, ergebe sich nur, dass sich die Bf. auf ihre Richtigkeit verlassen konnte. Das habe sie aber nicht von der Verpflichtung entbunden, ihr Interesse an der Veröffentlichung gegen das Recht des X auf Achtung seines Privatlebens abzuwägen. Nur die Presse könne diese Abwägung vornehmen, weil eine Behörde oder ein Gericht nicht wissen könnten, wie und in welcher Form die Information veröffentlicht würde. ...

[107] Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Abwägung nicht vorgenommen worden ist. Richtig ist aber, dass die Bf., welche eine Bestätigung der Information von den Strafverfolgungsbehörden selbst erhalten hatte, unter Berücksichtigung der von X begangenen Straftat, seinem Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit und den Umständen seiner Festnahme sowie der Richtigkeit der Information keine ausreichenden Gründe hatte anzunehmen, sie müsse die Anonymität von X wahren. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass StA W anderen Zeitschriften und Fernsehkanälen noch am Tage des Erscheinens des ersten Artikels alle von der Bf. enthüllten Informationen bestätigt hat. Als der zweite Artikel erschien, waren die der Verurteilung von X zugrunde liegenden Tatsachen der Öffentlichkeit bereits bekannt (s. mutatis mutandis EGMR, Urt. v. 16.12.2010 - 24061/04 Nr. 49 - Aleksey Ovchinnikov/Russland). Auch das OLG nahm an, der Bf. könne nicht mehr als leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, weil die von der StA mitgeteilten Information sie dazu veranlassen konnte anzunehmen, der Bericht sei legal … Danach ist nicht nachgewiesen, dass die Bf. bei der Veröffentlichung in bösem Glauben gehandelt hat.

(v) Inhalt, Form und Auswirkungen der Artikel

[108] Der erste Artikel berichtete nur über die Festnahme von X, die von der StA erhaltenen Informationen und eine rechtliche Beurteilung des Gewichts der Straftat durch einen juristischen Sachverständigen … Der zweite Artikel schilderte das vom Gericht am Ende der mündlichen Verhandlung und nach dem Geständnis von X erlassene Urteil … Die Artikel enthielten also keine Einzelheiten über das Privatleben von X, sondern nur über die Umstände und Ereignisse nach seiner Festnahme (s. EGMR, Urt. v. 6.4.2010 - 25576/04 Nr. 84 - Flinkkilä u.a./Finnland; EGMR, Urt. v. 6.4.2010 - 43349/05 Nr. 72 -Jokitaipale u.a./Finnland). Sie enthielten keine abschätzigen Bemerkungen oder grundlose Behauptungen … Dass der erste Artikel Wendungen enthielt, welche die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen sollten, wirft nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Probleme auf (s. EGMR, Urt. v. 6.4.2010 - 25576/04 Nr. 74 - Flinkkilä u.a./Finnland; EGMR, Entsch. v. 15.5.2009 - 4020/03 - Pipi/Türkei).

Im Übrigen hat das LG die Veröffentlichung der Fotos, welche die Artikel illustrierten, verboten, und die Bf. hat das auch nicht angefochten. Deswegen ist anzunehmen, dass die Form der Artikel keinen Grund für ein Verbot ihrer Veröffentlichung darstellten. Die Regierung hat im Übrigen nicht dargelegt, dass die Veröffentlichung der Artikel für X Schäden zur Folge hatte.

(vi) Schwere der Sanktion

[109] Die der Bf. auferlegte Sanktion war war zwar mild, konnte aber eine abschreckende Wirkung haben. Jedenfalls war sie aus den erwähnten Gründen nicht gerechtfertigt.

(c) Ergebnis

[110] Die von den deutschen Gerichten angeführten Gründe sind also zwar stichhaltig, aber nicht ausreichend, um zu belegen, dass der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Trotz des den Konventionsstaaten zustehenden Ermessensspielraums gab es kein angemessenes Verhältnis zwischen den von den deutschen Gerichten verfügten Einschränkungen des Rechts der Bf. auf Freiheit der Meinungsäußerung einerseits und dem verfolgten berechtigten Ziel andererseits. Deswegen ist Art. 10 EMRK verletzt. ..." (EGMR, Urteil 07.02.2012 - 39954/08)

*** (BVerfG)

1a. Kinder haben nach Art 2 Abs 1 und Abs 2 S 1 iVm Art 6 Abs 2 S 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können (zur Schutzverantwortung des Staates vgl BVerfG, 29.07.1968, 1 BvL 20/63, BVerfGE 24, 119 <144>; BVerfG, 19.02.2013, 1 BvL 1/11, BVerfGE 133, 59 <73 Rn. 42>).
1b. Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl BVerfG, 16.01.2003, 2 BvR 716/01, BVerfGE 107, 104 <117>).
1c. Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten. Zwar ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen (Art 6 Abs 2 Satz 1 GG; Art 6 Abs 3 GG). Genügen allerdings helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen zur Zielerreichung nicht, so darf und muss der Staat den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend, ggf sogar dauernd entziehen (vgl BVerfGE 24, 119 <144f>; BVerfG, 24.06.2014, 1 BvR 2926/13, BVerfGE 136, 382 <391 Rn 28>; BVerfG, 19.11.2014, 1 BvR 1178/14 <Rn 23>; stRspr ).
1d. Ob die Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab.
2a. Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht oder nicht mehr für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art 6 Abs 2 S 2 GG grds nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt.
2b. Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insb dann, wenn das Gericht nicht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor (vgl BVerfG, 14.04.2021, 1 BvR 1839/20 <Rn 20>).
3. Zum strengen Kontrollmaßstab bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen, die die Frage der Trennung des Kindes von seinen Eltern oder des Aufrechterhaltens einer Trennung zur Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung betreffen, siehe bereits BVerfGE 136, 382 (391 Rn 28); BVerfG, 03.02.2017, 1 BvR 2569/16 (Rn 52); stRspr.
4. Hier: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Verfahrensbeiständin eines Kleinkindes gegen eine Entscheidung über dessen Rückführung von seinen Pflegeeltern zu seinem Vater (§ 1632 Abs 4 BGB) trotz Gefährdung des Kindeswohls.
4a. Die angegriffene Entscheidung legt nicht hinreichend dar, sich eine ausreichend zuverlässige Grundlage für die Prognose über die dem Kind drohenden Beeinträchtigungen verschafft zu haben, und weicht dennoch von den Empfehlungen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin sowie des Ergänzungspflegers ab (wird ausgeführt).
4b. Zudem übergeht das OLG in seiner Abwägung erhebliche Umstände, die für eine Gefährdung des Kindeswohls bei der Betreuung durch den Vater sprechen (wird insb mit Blick auf Zweifel an der Erziehungsfähigkeit und -willigkeit der im Entscheidungszeitpunkt mit dem Vater zusammenlebenden Mutter des betroffenen Kindes ausgeführt).
5a. Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Vollzug der angegriffenen Rückführungsentscheidung einstweilen außer Vollzug gesetzt wurde, siehe den Kammerbeschluss vom 07.03.2022, 1 BvR 65/22.
5b. Ablehnung des Antrags der im vorliegenden Verfahren äußerungsberechtigten Mutter des betroffenen Kindes (§ 94 Abs 3 BVerfGG) auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels Vorbringens neuer Gesichtspunkte (zum Maßstab: BVerfG, 24.01.1995, 1 BvR 1229/94, BVerfGE 92, 122 <123ff>). (BVerfG, Beschluss vom 05.09.2022 - BvR 65/22, juris-Orientierungssätze)

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1a. Der Schutz des Elternrechts (Art 6 Abs 2 S 1 GG) erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts. Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf (vgl BVerfG, 27.11.2020, 1 BvR 836/20 <Rn 25>). Art 6 Abs 3 GG gestattet diesen Eingriff nur unter strengen Voraussetzungen (vgl BVerfG, 21.09.2020, 1 BvR 528/19
1b. Die fachgerichtlichen Annahmen dazu, ob die Voraussetzungen für eine Trennung des Kindes von den Eltern im Einzelfall erfüllt sind, unterliegen wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Der verfassungsgerichtliche Kontrollmaßstab kann sich ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken (vgl BVerfG, 24.06.2014, 1 BvR 2926/13, BVerfGE 136, 382 <391 Rn 28>; stRspr; zu den Anforderungen an die Sachaufklärung im Sorgerechtsverfahren siehe BVerfG, 05.11.1980, 1 BvR 349/80, BVerfGE 55, 171 <182>; stRspr; siehe auch BVerfG, 12.10.1988, 1 BvR 818/88, BVerfGE 79, 51 <62>).
1c. Deutliche Fehler bei der Feststellung des Sachverhalts liegen jedenfalls dann vor, wenn nicht hinreichend erkennbar wird, auf welche Erkenntnisgrundlage die Gerichte ihre tatsächlichen Annahmen stützen. Gleiches kommt in Betracht, wenn die Erkenntnisquellen des Gerichts zu einer entscheidungserheblichen Frage inhaltlich voneinander abweichen und das Gericht in einem solchen Fall nicht weitere Erkenntnisquellen nutzt oder nicht deutlich macht, aus welchem Grund es einer der voneinander abweichenden Erkenntnisquellen folgt.
2a. Vor diesem Hintergrund ist es in fachrechtlicher Hinsicht bedenklich, wenn die Gerichte ein von dem zuständigen Abteilungsrichter des Familiengerichts geführtes Telefongespräch mit dem von einer Sorgerechtsentziehung mit Fremdunterbringung betroffenen Minderjährigen (hier: 15-Jähriger) als persönliche Anhörung iSv § 159 FamFG ausreichen lassen. Die Vorschrift verlangt grds, dass ein 15-jähriges Kind durch das Gericht persönlich anzuhören ist. Steht - wie hier - der Entzug der elterlichen Sorge bezüglich dieses Kindes in Rede und sind insofern die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung, muss sich das Gericht selbst einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschaffen (vgl BGH, 28.04.2010, XII ZB 81/09, BGHZ 185, 272 <285f Rn 40>; BGH, 16.03.2011, XII ZB 407/10 <Rn 65>; zum Verfassungsrecht vgl BVerfGE 55, 171 <179f>), also das Kind visuell und akustisch wahrnehmen.
2b. Selbst unter der Geltung des strengen verfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstabs geht aber nicht mit jedem Verstoß gegen einfaches Recht stets eine Verletzung von Verfassungsrecht einher. Verfassungsrechtlich kommt es bei der Beurteilung eines Eingriffs in das Elternrecht darauf an, ob die Gerichte den Sachverhalt dergestalt ermittelt haben, dass eine möglichst zuverlässige Tatsachengrundlage für eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung vorliegt.
2c. Hat das Gericht aber eine zuverlässige Tatsachengrundlage für eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung ermittelt, kann selbst der vollständige Verzicht auf eine einfachrechtlich vorgesehene persönliche Anhörung in Sorgerechtsangelegenheiten mit Verfassungsrecht in Einklang stehen, wenn er mit dem Zweck der betroffenen Anhörungsregelung vereinbar ist (vgl BVerfG, 20.08.2020, 1 BvR 886/20 <Rn 9>). Entsprechendes gilt - selbst bei der durch Art 6 Abs 3 GG gebotenen strengen verfassungsrechtlichen Kontrolle - im Fall einer den fachrechtlichen Anforderungen wohl nicht genügenden Durchführungsform der Kindesanhörung.
3. Hier: 3a. Zwar begegnet es hinsichtlich der fachrechtlichen Anforderungen Bedenken, dass das AG den 15-jährigen Sohn der Beschwerdeführerin lediglich telefonisch angehört und das OLG auf dieses Basis von einer persönlichen Anhörung abgesehen hat. Allerdings verfügten die Fachgerichte über den eindeutigen Inhalt der telefonischen Anhörung hinaus über weitere Erkenntnisquellen (Äußerungen des Sohnes gegenüber dem Sachverständigen, dem Jugendamt, der Verfahrensbeiständin und Betreuern der Wohngruppe) zu dem mehrfach klar geäußerten Wunsch des Sohnes, nicht in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurückkehren zu wollen.
3b. Soweit die Beschwerdeführerin hinsichtlich der lediglich telefonischen Anhörung ihres Sohnes eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht, ist sie mit Blick auf den offensichtlichen Interessenkonflikt zwischen ihr und ihrem Sohn im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht vertretungsbefugt (vgl BVerfG, 12.02.2021, 1 BvR 1780/20 <Rn 19>; Orientierungssätze BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.02.2022 - 1 BvR 1655/21).

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„... Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und gibt ihr statt. Die Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).